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Kein gerechter Krieg

Anti-krieg Der Schauspieler Robert Stadlober und der Musiker Andreas Spechtl bringen Michael Morpurgos Roman „Private Peaceful“ auf die Bühne der Kammerspiele

von Robert Matthies

Plötzlich ist der Erste Weltkrieg vorbei: Neben dem jungen britischen Infanteristen Tommo Peaceful liegt der sterbende Bruder im Schützengraben, mit dem er alles geteilt hat, auch die Liebe zur gemeinsamen Freundin Molly. Tommo verweigert den Befehl zum Gegenangriff auf die Deutschen, wird schließlich als Deserteur erschossen.

Hintergrund von Michael Morpurgos Jugendroman „Private Peaceful“ aus dem Jahr 2003 ist die Erschießung von 306 Soldaten, die in Großbritannien während des Ersten Weltkrieges als Deserteure von Militärgerichten verurteilt worden waren. Morpurgos Roman rückt den Kriegsalltag als existenzielle Erfahrung, die Sinnlosigkeit des Krieges in den Mittelpunkt, prangert die Ungerechtigkeit der Exekutionen desertierter britischer Soldaten an. Erst 2006 wurden sie posthum begnadigt.

Eben dieser Hintergrund sei für ihn zunächst problematisch gewesen, erzählt nun der Schauspieler und Regisseur Robert Stadlober. Gemeinsam mit Regisseur Martin Dueller und dem –als Sänger, Texter und Gitarristen der Band „Ja, Panik“ zum Kritikerliebling avancierten –Musiker Andreas Spechtl bringt er die Theaterfassung des Stoffes jetzt als düsteren Monolog an den Hamburger Kammerspielen erstmals auf eine deutsche Bühne.

„In einem deutschen Theater und mit deutschen und österreichischen Künstlern ist die Frage der Desertion vor dem Hintergrund der Geschichte des Nationalsozialismus eine ganz andere Diskussion“, sagt Stadlober. Ins Zentrum gerückt sei deshalb ganz allgemein die Situation junger Kämpfer, die ungewollt oder naiv in einen Krieg ziehen und sich irgendwann, aus welchen Gründen auch immer, einem Befehl verweigern.

„Für uns ist Tommo eine exemplarische Figur, die für viele steht“, sagt Stadlober. Angefüllt worden sei das Stück deshalb mit einer Reihe subjektiver Kriegserfahrungen, zusammengesammelt aus Erlebnisberichten, Dokumentationen, Tagebüchern oder Briefen. Ganz unterschiedliche Kriege und Figuren treffen so aufeinander: US-Marines im Irakkrieg, russische Soldaten im Tschetschenienkrieg, Bundeswehrdeserteure, aber auch Terroristen des Islamischen Staates oder linke deutsche AktivistInnen wie Ivana Hoffmann, die in Syrien für die kurdische YPG/YPJ kämpft.

Dass sie mitunter auch aus ideologischen Gründen in den Krieg gezogen sind, sei dabei unwesentlich, finden Stadlober und Spechtl. Jenen Soldaten, für die die exemplarische Figur des Tommo stehe, gehe es nicht um eine bestimmte Ideologie, sagt Stadlober: „Die werden von einer Ideologie benutzt.“ Was sie verbinde, sei trotz aller Unterschiede, dass sie am untersten Ende einer unerbittlichen Befehlsstruktur stünden, naiv in eine Kriegssituation geraten seien.

So fügen sie sich in Morpurgos Erzählung. Auch Private Tommo Peaceful ist aus einem naiven Gerechtigkeitsempfinden zum Infanteristen geworden. In den Krieg zieht er, weil sein Bruder in den Krieg gezogen ist, weil alle in den Krieg ziehen, weil ringsum Nachbarn sterben. „Es ist auch so ein Jungmännerding“, findet Stadlober. „Man möchte sich ausprobieren, möchte die Welt erfahren, sucht die Ausnahmesituation, die Begegnung mit dem Tod: das, was dir in der Wohlstandsgesellschaft vorenthalten wird.“ Aber dann, ergänzt Spechtl, werde der Krieg eben zur existenziellen Erfahrung, so stark, dass man nicht mehr wisse: Warum, gegen wen, für wen habe ich das eigentlich gemacht?

Zum Stück hat Spechtl vor allem die Musik beigesteuert. Diese spielt im Dialog mit Stadlobers Tommo eine eigene, wichtige Rolle. „Dadurch bekommt die Figur eine Dreidimensionalität“, sagt Stadlober, „es gibt ihr eine emotionale Ebene, die musikalisch ein Innenleben bebildert und auch Situationen konterkariert“ – um dem Pathos auszuweichen, der an jeder Ecke lauere.

Erst in den letzten Wochen, auf der Probebühne mit ihrem schönen alten Klavier, hat Spechtl sich einen Klang-Setzkasten gebastelt, den er nun so spielt wie ein Instrument: Miteinander verschränkte Loops, oftmals lang dröhnende Töne, werden live miteinander kombiniert und verfremdet. „Ich mache sie eigentlich ziemlich kaputt“, sagt Spechtl selbst. „Es steigert sich, am Ende ist es sehr laut.“

Zu erklären, was mit Soldaten wie Tommo Peaceful psychologisch passiert, wollen sich Stadlober und Spechtl nicht anmaßen. Natürlich sei es nicht mehr als eine Kolportage, sagt Stadl-ober, gehe es nur darum, nachzuempfinden und zu erzählen. Was man zeigen könne, sei die ungeschönte Realität des Krieges, wie absurd es sei, Kämpfe heute noch zu romantisieren. „Und vielleicht ist es ein Plädoyer“, sagt Stadlober, „die Befehlskette zu brechen, nicht nur im Krieg, sondern überall.“

Premiere: So, 6.9., 19 Uhr, Kammerspiele. Nächste Aufführungen: Mi, 9.9., bis So, 13.9., je 20 Uhr, So 19 Uhr

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