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Jurassic World vor der Haustür

VORZEIT Hollywood zeigt Dinosaurier gern vor subtropischer Kulisse. Doch ein kurzer Ausflug in Niedersachsen zeigt: Spuren der „schrecklichen Echsen“ finden sich gleich nebenan

von Alexander Kohlmann

Der Kalksteinblock hat einen Durchmesser von circa einem Meter. Die Oberfläche ist uneben. Überall ragen kleine Höcker heraus, spitze Kanten, seltsame Verästelungen. „Schauen Sie hier“, sagt Nils Knötschke und zeigt mit einem Bleistift auf ein kleines, rundes Gebilde. „Das ist ein Stück von einem Zahn, genaugenommen, der Rest einer Zahnwurzel.“ In dem Kalksteinblock befinden sich die Überreste eines Dinosauriers – konserviert seit über 150 Millionen Jahren.

Wenn man die Filme von Steven Spielbergs „Jurassic Park“-Serie in den vergangenen zwei Jahrzehnten verfolgt hat, könnte man leicht auf den Gedanken kommen, Dinosaurier seien eine Spezialität subtropischer Regionen. Einsame Inseln, irgendwo am Äquator – auf jeden Fall weit weg von Norddeutschland. Doch den Kalksteinblock, den Knötschke und seine Kollegen behutsam durchleuchten, haben sie in unserer Nachbarschaft ausgegraben.

Direkt am Steinhuder Meer, westlich von Hannover, liegt das „Naturdenkmal Dinosaurierfährten“. Nils Knötscke ist wissenschaftlicher Leiter der bundesweit einmaligen Einrichtung und hat sich damit auch einen Kindheitstraum verwirklicht. „Ich habe mich schon als kleiner Junge für Ausgrabungen begeistert“, erzählt der heute 37-Jährige, während er die versteinerten Knochen im Kalksteinblock vorsichtig mit einem Spachtel freilegt.

Während die Konservatoren arbeiten, können ihnen Besucher durch riesige Glasscheiben zusehen. Denn die Labore sind Teil des Dinosaurier-Parks, einer Einrichtung, die nicht ganz zufällig wie eine reale Version von Spielbergs Jurassic Park erscheint. „Das Besucherzentrum ist 1993 gebaut worden“, sagt Knötschke. Der runde Bau mit seiner Kuppel über dem Eingang ist eindeutig inspiriert von Spielbergs erstem Dino-Film.

Doch es gibt auch einen großen Unterschied. „Im Gegensatz zu den jüngeren Verfilmungen orientierten wir uns bei unseren Rekonstruktionen an den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen“, betont Knötschke. Zahlreiche Dinosaurier in Lebensgröße können die Besucher in der weitläufigen Parklandschaft erkunden. Teilweise mehr als 20 Meter hoch, überragen die Giganten auch die höchsten Bäume. Nur bewegen sich die Tiere nicht – im Gegensatz zum Spielberg-Film. „Unsere Modelle bewegen sich in der Fantasie der Kinder“, behauptet Knötschke. Auch sonst gibt es große Unterschiede zu den Computer-Rekonstruktionen aus Hollywood.

Denn inzwischen deuten viele Funde überall auf dem Planeten daraufhin, dass die Dinosaurier viel mehr mit den Vögel gemeinsam hatten als mit den Reptilien. Erst vor wenigen Wochen ist in China wieder ein bis dahin unbekannter Raubsaurier entdeckt worden, dessen prächtiges Federkleid als Abdruck im Stein die Jahrmillionen überdauert hat.

All die Dinosaurierdarstellungen, in denen die „schrecklichen Echsen“ wie riesige Salamander mit gespaltenen Reptilienzungen schwerfällig durch dir Gegend stapften, müssen revidiert werden. Die Tiere waren mit großer Wahrscheinlichkeit Warmblüter, die sich schnell und präzise bewegen konnten.

Auch im Dinosaurierpark in Münchehagen (Landkreis Nienburg/Weser) zeigen die neuesten Rekonstruktionen die Tiere mit feinen Federn statt mit kühler Echsenhaut. Der zum tödlichen Sprung bereite Raptor sieht dadurch nicht weniger gefährlich aus, nur eben ganz anders als in den Kinderbüchern und Hollywood-Filmen. „Spielberg selber soll entschieden haben, die neuen Forschungserkenntnisse zu ignorieren“, berichtet Knötschke. „Die Federn sind einfach eine enorme Herausforderung für die computergenerierten Spezialeffekte.“

Der Tyrannosaurus Rex hat für seine kranken Verwanden gesorgt und sie gefüttert. Offenbar war der schreckliche Räuber ein sehr soziales Wesen

Spezialeffekte, die der Park in Münchehagen nicht nötig hat. Schon die wenigen erhaltenen Spuren wecken – auch bei erwachsenen Gästen – die Ehrfurcht vor den Riesendinos. Sie ergänzen die lebensgroßen Rekonstruktionen.

Im Steinbruch nebenan haben Knötschke und sein Team eine neue Dinosaurierfährte freigelegt. Nur wenige Meter unter der Oberfläche finden sich Löcher mit einem Durchmesser von einem halben Meter. Leicht mit Wasser gefüllt sind die riesigen Fußstapfen. Wer von einer Anhöhe auf sie blickt, spürt förmlich die Stöße, unter denen einst die Erde bebte.

Vor Jahrmillionen war Niedersachsen von einem gewaltigen, flachen Binnenmeer bedeckt, durch dessen Uferbereich ein Pflanzenfresser damals seinen Weg bannte. Ein paar Schichten weiter oben – und damit ein paar Millionen Jahre später – ist die krallenartige Spur eines Raubsauriers deutlich zu erkennen, der schnell und gewitzt seinen Weg durch die prähistorische Landschaft nahm.

„Wir wissen natürlich nicht wirklich, wie intelligent diese Tiere waren“, sagt Knötschke, „aber aus der Größe des Gehirns lässt sich bei etlichen Räubern schon auf eine Intelligenz wie bei heutigen Vögeln schließen, zum Beispiel Elstern.“ Überhaupt sei die Erforschung des Soziallebens der Tiere eine der großen Herausforderungen der Paläontologie. Aus der Zeit der Dinosaurier sind eben nur Momentaufnahmen überliefert.

Zum Beispiel wenn mehrere Tiere in einem Sumpf versunken sind, oder von einem Erdrutsch oder Sandsturm überrascht wurden. „Es wurden zum Beispiel ganze Familien von Raptoren gefunden, die bei der Jagd auf einen großen Pflanzenfresser gemeinsam mit dem Beutetier in eine natürliche Falle gerieten“, erzählt Knötschke. Aus solchen Funden erschließe sich, dass das sehr soziale Tiere waren.

Das gelte auch für den Tyrannosaurus Rex, der in der Populärkultur als fürchterliche Bestie dargestellt werde. Im Winter soll ein vollständiges Skelett von ihm neue Besucher ins Berliner Naturkundemuseum locken. Der Räuber ist ein Star – mit seinem riesigen Maul und den verkümmerten Ärmchen hat er den Ruf einer bösen, ultimativen Fressmaschine.

Aber von dem Eindruck sollte man sich nicht täuschen lassen: Neue Funde zeigen einen T-Rex, bei dem ein Beinbruch verheilen konnte. „Den muss über Wochen jemand gefüttert haben, sonst wäre er verendet“, ist sich Knötschke sicher. Die Tiere haben offensichtlich für ihre kranken Verwandten gesorgt. In ihren eigenen Reihen waren die riesigen Räuber wahrscheinlich sehr soziale Wesen.

Wer nach dem Filmgenuss und einem Besuch in Münchehagen jetzt doch einmal Lust bekommen hat, einem echten Dinosaurier leibhaftig gegenüber zu stehen, der wird ebenfalls in Niedersachsen fündig. Denn nicht alle Dinosaurier sind ausgestorben. Der Weltvogelpark Walsrode in der Lüneburger Heide ist nichts anderes als ein echter Jurassic Park, wenigstens wenn man die Vögel wie die Paläontologie als überlebende Dinosaurier begreift.

Und in der Tat erlebt man auf dem weitläufigen Gelände des Vogelparks Tiere, die den kollektiven Dino-Fantasien schon sehr nahe kommen. Der Rothalskasuar zum Beispiel ist ein riesiger, flugunfähiger Vogel, der auf drei massiven Krallen auf die Jagd geht. Eine Begegnung mit ihm kann sogar für den Menschen tödlich enden. Denn der Vogel ist in der Lage, die mittlere, bis zu zehn Zentimeter lange Kralle wie einen kleinen Dolch tief in den Körper seines Gegners hinein zustoßen.

Sicher, die Vögel haben keine Mäuler, sondern Schnäbel, aber dass das Programm für Schwanz-wuchs und Beißer noch immer in ihren Genen steckt, ist unter Forschern wenig umstritten. Es gibt sogar Forschungsprojekte, die sich bemühen, diese Gene der Dinosaurierzeit wieder zu aktivieren – und so zum Beispiel aus gewöhnlichen Hühnern Wesen zu züchten, deren Verwandtschaft mit den Dinosauriern auch äußerlich gut erkennbar ist.

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