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„Überall Beatles-Spuren“

Kiez Klischees und Gentrifizierungskritik: Cornelius Hartz'neues Reeperbahn-Buch

Foto: privat
Cornelius Hartz

41, eigentlich Lübecker, schreibt Krimis –u. a. um den Hamburger Kommissar Brook –, Romane und Sachbücher.

taz: Herr Hartz, warum braucht die Welt noch ein Reeperbahn-Buch?

Cornelius Hartz: In dieser Form – als Sammlung von Kurzaufsätzen – gibt es das noch nicht. Außerdem verändert sich die Reeperbahn ständig. Das große Thema ist natürlich die Gentrifizierung: Diese missliche Wandlung zum Hochglanz-Viertel verschweige ich nicht.

Hätten Sie dann nicht besser ein Anti-Gentrifizierungsbuch geschrieben?

Nein, denn das ist ja gerade die Kunst: in die leichte Muse die Kritik einzubauen. Streitschriften lesen meist nur diejenigen, die schon Bescheid wissen. Wenn man aber etwas Harmloses macht wie so ein Touristenbüchlein, kann man diese Probleme ganz nebenbei erwähnen.

Und welche „Geheimtipps“ verrät Ihr Buch?

Zum Beispiel den jüdisch-portugiesischen Friedhof in der Königstraße. Er liegt nur ein paar hundert Meter von der Reeperbahn entfernt und ist einer der schönsten Orte der Stadt. Auch den Michel wollte ich unbedingt drin haben, um wenigstens anzusprechen, dass er gefälligst das eigentliche Wahrzeichen ist – und nicht die Elbphilharmonie.

Kann man über die Reeperbahn schreiben, ohne Klischees zu bedienen?

Ganz vermeiden will ich das gar nicht. Ich finde es schön, auch auf Tradition zu verweisen. In meinem Buch tauchen zum Beispiel immer wieder die Beatles auf. Sie waren einfach wichtig für St. Pauli, und man findet ihre Spuren noch überall. Bei „Gretel und Alfons“, ihrer Stamm­kneipe von 1961 – da sieht es noch genauso aus wie damals. Mich freut, dass noch Orte existieren, die daran erinnern, dass es auf St. Pauli eine andere Zeit gab.

Sie haben auch Bücher über Orgien im alten Rom verfasst. Ist die Reeperbahn die Fortsetzung der Antike mit modernen Mitteln?

Viele reduzieren die Reeperbahn immer noch hauptsächlich auf Prostitution – was so längst nicht mehr stimmt. Auch die Orgien im alten Rom verbindet man landläufig mit wildem Gruppensex. Aber auch deren Ausmaß war weit geringer; da wurde eher geschlemmt und gesoffen. Natürlich kam es auch zu Exzessen, aber eher in der Oberschicht und unter den Kaisern. Auf St. Pauli dagegen geht es eher um Unterhaltung für die breite Masse. Das ist eigentlich genau das Gegenteil der antiken Orgie. Interview:PS

Cornelius Hartz' Buch „55 1/2 Orte rund um die Reeperbahn, die man gesehen haben muss“ ist ab heute erhältlich (Emons Verlag, 144 S., 7,95 Euro)

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