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Lernen ohne Perspektive

Integration Das Nachhilfe- und Sprachförderungsprojekt Medienhof in Wedding steht vor dem Aus, weil die Finanzierung ausläuft. Das Beispiel zeigt: Nachhaltige Angebote im Kiez sind mit den geltenden Förderstrukturen kaum zu schaffen

von Anna Klöpper

Für einen kurzen Moment schauen die sechs Halbwüchsigen, die da auf der Tribüne des Moabiter Poststadions herum­albern, ganz ernst. „Klar hat man nachmittags was Besseres zu tun, als Hausaufgaben zu machen“, sagt der 16-jährige Ibrahim. „Aber wenn du einen Abschluss willst, gehst du dahin und lässt dir helfen.“

„Dahin“ meint in diesem Fall den Weddinger Medienhof im Soldiner Kiez. Ein Nachhilfe- und Sprachförderungsprojekt, das sich vor allem an türkisch- und arabischstämmige Jugendliche richtet: 17 Lehramtsstudenten geben rund 100 Kindern an vier Nachmittagen in der Woche Deutschnachilfe, helfen bei Referaten und Hausaufgaben. Eine Win-win-Situation: Die angehenden Lehrer verdienen sich eine kleine Aufwandsentschädigung und können sich die Nachhilfearbeit obendrein als Praxis fürs Studium anrechnen lassen. Und Schüler wie Ibrahim schaffen ihren Mittleren Schulabschluss mit einem glatten Zweierschnitt.

Förderung endet bald

Nun droht dem Nachhilfeprojekt allerdings das Aus: Nach den Sommerferien endet die Förderung durch die Lotto-Stiftung, die das Angebot im Soldiner Kiez seit 2013 finanziert hatte. „Bis zum Jahresende können wir uns noch mit Privatspenden und einem Zuschuss des Bezirks aus nicht abgerufenen Projektmitteln retten“, sagt ­Weber. Danach muss Weber, wieder einmal, hoffen: darauf, dass einer seiner Anträge auf Förderung – bei Stiftungen, beim Senatsprogramm „Bildung im Quartier“ – durchkommt.

Ungefähr alle zwei bis drei Jahre stehen Initiativen wie der Medienhof vor dem immer gleichen Problem: Befristete Fördergelder laufen aus, neue Geldgeber müssen erst mal gewonnen werden. Von einer Regelförderung durch Landesmittel oder aus dem Bezirkshaushalt können freie Akteure in der Jugendarbeit – auch der Medienhof wird von einem Verein getragen – nur träumen.

Aufs Träumen mag sich Medienhof-Gründer Herbert Weber freilich nicht verlassen. Deshalb hat der studierte Pä­dagoge an diesem Sommermorgen auch Ibrahim und 60 andere SchülerInnen der Weddinger Herbert-Hoover-Schule dazu überredet, ins Poststadion an der Lehrter Straße zu kommen. Die Jugendlichen sollen in einem kurzen Videoclip mitspielen, der im August in einigen Berliner Kinos läuft: ein Spendenaufruf für den Medienhof.

Etwa 100.000 Euro braucht Weber im Jahr, um die laufenden Kosten bezahlen zu können – die Honorare für die Studenten, Energiekosten hauptsächlich. Miete muss Weber nicht zahlen: Eine Wohnungsbaugesellschaft überlässt dem Medienhof das Hinterhofgebäude an der Prinzenallee mietfrei. Ein Deal, der auch für viele Ateliers und Galerien im Kiez gilt. Mit den niedrigen Mieten, so die Idee, sollen Künstler, Kulturschaffende und eben Bil­dungs­ini­tia­tiven wie die Webers ins Quartier gelockt werden, das immer noch als „problematisch“ gilt: viel Armut, Arbeitslosigkeit, von der insbesondere Zuwanderungsfamilien betroffen sind. In dem fertigen Film, sagt Weber, werde man sehen, wie mehrere SchülerInnen auf der Laufbahn gegeneinander sprinten. „Aber nur auf der Bahn, auf der das Mädchen mit dem Kopftuch startet, steht eine Hürde.“

Soziale Herkunft zählt

Im Soldiner Kiez liegt der Anteil von Kindern nichtdeutscher Herkunft in den Schulen bei rund 90 Prozent. Der Anteil der Kinder, die lernmittelbefreit sind, bei denen also das Jobcenter das Büchergeld übernimmt, ist ähnlich hoch. Die soziale Herkunft wiederum ist entscheidend für schulischen Erfolg – wie auch immer wieder die Ergebnisse der berlinweiten Vergleichsarbeiten nach der achten Klasse zeigen. Dort landet der Bezirk Mitte regelmäßig auf einem der letzten Plätze – egal ob es um Rechnen, Leseverstehen oder um das Beherrschen von Fremdsprachen geht.

Kein Wunder, sagt das zuständige Quartiersmanagement. Die Wohnsituation vieler Kinder im Kiez sei eher beengt, hat Leiterin Cornelia Cremer die Erfahrung gemacht. Große Familien, kleine Wohnungen: „Ein eigenes Zimmer, häufig genug auch ein eigener Schreibtisch bleiben Wunschdenken“, so Cremer. Lern­orte, nachmittägliche Anlaufpunkte wie der Medienhof seien „unverzichtbar“, findet die Kiezmanagerin.

Pädagoge Weber winkt ab: „Warme Worte hören wir genug, es fehlt am Geld.“ Vor allem aber fehlt Projekten wie dem Medienhof eine langfristige Perspektive. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, bei der auch die Quartiermanagements angegliedert sind, unterstützte Webers Projekt immerhin für insgesamt fünf Jahre. Doch zuletzt lief das Programm „Aktionsräume Plus“ 2012 aus – und ohnehin ist eine Anschlussförderung meist nicht vorgesehen.

Selbstverständlich nicht, sagt die zuständige Senatsverwaltung. Zum einen greife man bei der Projektförderung auf Bundesgelder zurück, und die seien grundsätzlich befristet. Zum anderen sei es ja nun mal auch das Wesen der Projektförderung, dass sie nur befristet sei.

Ehrenamtliche Arbeit

Eine Argumentation, die sich freilich nicht erklärt: Denn wie sinnvoll ist eine Förderung, die grundsätzlich keine Planungssicherheit bieten kann? „Mit der Befristung wollen wir uns als Stiftung eine gewisse Flexi­bilität erhalten“, sagt Marion Bless, Vorstandsmitglied der Lotto-Stiftung. Diese Flexibilität ist natürlich auch sinnvoll – nicht nur für die Geldgeber. Denn wenn die immer gleichen Projekte das Stiftungsvolumen aufzehren, ist kein Platz mehr für neue, hoffnungsfrohe Initiativen. Überhaupt sei der Grundgedanke schließlich, „dass sich die Projekte nach einer Anschubfinanzierung selbst tragen können“, sagt Bless. So argumentieren auch die Senatsprogramme.

Das allerdings ist für spendenbasierte Projekte wie Webers Medienhof praktisch unmöglich. „Dazu bräuchten wir zum Beispiel eine professionelle Öffentlichkeitsarbeit – aber das können wir mit unseren Ressourcen wiederum nicht leisten“, sagt Weber, der selbst ab September nur noch ehrenamtlich im Medienhof arbeiten wird.

Weil die finanzielle Planungssicherheit fehlt, bleiben Initiativen wie der Medienhof im Projektstatus gefangen – obwohl sie eigentlich längst viel mehr sind und als Regelangebot im Kiez gebraucht werden. „Wir hören zum Beispiel von den Schulen im Kiez, dass sie sich mehr Kontinuität wünschen bei der Kooperation mit außerschulischen Initiativen“, sagt Weber. Der Medienhof selbst arbeitet mit sechs Schulen zusammen, an denen rund 180 SchülerInnen Nachhilfe bekommen.

Auf der Laufbahn im Moabiter Poststadion steht inzwischen alles für den Videodreh bereit. Auch eine Hürde hat jemand auf die Laufbahn gestellt. Sie ist ganz schön hoch.

Der Spendenaufruf läuft in den Kinos der Yorck-Gruppe und in den Tilsiter Lichtspielen in Friedrichshain in den Werbeblöcken. Projekt-Infos: www.foerderunterricht-sprint.de

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