Pionier am Moog

KLANGFORSCHUNG Auftakt beim Festival Berlin Atonal im Kraftwerk: Heute Abend spielt der US-Elektronik-Komponist David Borden. Der heute 76-Jährige hat einst das erste Synthesizer-Ensemble der Welt gegründet

Gute Reise: David Borden am Moog Voyager, 2001 Foto: Issue Project Room/Promo

von Tim Caspar Boehme

Blick zurück im Betonbunker: Seit das Festival Berlin Atonal vor zwei Jahren wieder auferstanden ist, stehen dort nicht mehr ausschließlich junge und jüngere Krach- und Frequenzenmacher auf der Bühne, wie es noch in den achtziger Jahren der Fall war, sondern regelmäßig auch Musiker im fortgeschrittenen Alter. Der Festivalgründer Dimitri Hegemann selbst ist älter geworden, man versichert sich inzwischen seiner Anfänge – einige der Bands von früher schauen auch immer mal wieder vorbei – und man holt verstärkt Künstler hinzu, die wichtige Vorarbeit für spätere Entwicklungen geleistet haben. Selbst wenn man sie damals vielleicht noch gar nicht kannte.

Ein solcher Pionier ist David Borden. Bis vor wenigen Jahren war er unterhalb des Neue-Musik-Radars unbekannt. Und das, obwohl er 1969 das erste Synthesizer-Ensemble der Welt gründete. Erst seit er 2011 ein gemeinsames Album mit Produzenten wie Daniel Lopatin und Laurel Halo veröffentlicht hat, wird der US-amerikanische Komponist langsam von einem breiteren Publikum entdeckt. Was ihn in diesem Jahr nach Berlin führt, zum Eröffnungsabend von Berlin Atonal heute im Kraftwerk.

Als Student in Westberlin

Mit dem Festival und dessen Industrial-Tradition hat Borden zwar eher wenig zu tun, dafür war es in Berlin, wo der angehende Komponist zum ersten Mal mit elektronischer Musik in Berührung kam. Als Austauschstudent war er 1965 an die Akademie der Künste gegangen, um bei dem Komponisten und einflussreichen Lehrer Boris Blacher zu studieren. Blacher war jedoch der Ansicht, dass Borden schon ein fertiger Komponist sei: „Ich habe mich dann ab und zu mit Boris getroffen, er lud mich zu sich nach Hause ein, wo wir bis spät in den Nachmittag saßen, Campari tranken und über Musik sprachen“, erinnert sich Borden im Gespräch. „Einmal nahm er mich auch mit in den Keller der Hochschule, wo ein Ingenieur einen Synthesizer für eine Oper zusammenbaute. Es war das erste Mal, das ich elektronische Musikinstrumente gesehen habe.“

Berlin Atonal wurde 1982 vom nachmaligen Tresor-Macher Dimitri Hegemann in Leben gerufen. Bis 1990 war das Festival eine prominente Plattform für elektronische und experimentelle Krachmachermusik. Unter anderem die Einstürzenden Neubauten, Test Dept. und Psychic TV hatten hier ihren Auftritt. 2013 startete Hegemann eine Neuauflage des Atonal-Festivals im Kraftwerk Berlin in der Köpenicker Straße, seit 2006 auch Heimstätte des Tresors. Prinzipiell soll Atonal weiterhin ein Abenteuerspielplatz für elektronische und experimentelle Musik sein, bei einem etwas geschärften Blick auch für deren Historie. Huldigte man im vergangenen Jahr den Industrial-Pionieren Cabaret Voltaire, gilt bei der diesjährigen Atonal-Ausgabe die Perfor­mance von „Outside The Dream Syndi­cate“ – das Treffen des Drone-Minimalisten Tony Conrad mit den Krautrockern von Faust – als Höhepunkt. Am Mittwoch,19. August, startet Atonal um20 Uhr mit dem Chor der Kulturen der Welt und dem Konzert von David Borden, es dauert bis zum Sonntag, 23. August. Ta­ges­tickets ab 21 Euro. Programm: www.berlin-atonal.com

Zurück in den USA, sollte Borden dann bald viel mehr davon zu sehen bekommen. Schon 1967 lernte er den Synthesizer-Entwickler Bob Moog und dessen Instrumente kennen. Nach einer Zeit des mühsamen Einfindens in die unvertraute Art der Klangerzeugung beschloss Borden, Synthesizer als Live-Instrumente zu benutzen. Mit zwei Freunden, dem Komponisten Steve Drews und der Pianistin Linda Fisher – sie hatte vorher in einer Rockband gespielt, die ausschließlich Franz Zappa coverte –, gründete Borden 1969 sein Ensemble Mother Mallard’s Portable Masterpiece Company. Die erforderlichen Synthesizer erhielt man von Bob Moog als Leihgabe.

Mother Mallard – mit dem etwas albernen Namen wollte sich Borden von den eher trocken-akademischen Bezeichnungen anderer Ensembles für Neue Musik absetzen – spielten zunächst Werke von Vertretern der Minimal Music wie Terry Riley oder Steve Reich, bevor sie sich an eigene Stücke wagten. Vieles davon klingt aus heutiger Perspektive wie Proto-Ambient.

Mitte der siebziger Jahre begann David Borden, sich in seinen eigenen Stücken verstärkt mit Kontrapunkt zu beschäftigen, und schrieb über elf Jahre hinweg an seinem Zyklus „The Continuing Story of Counterpoint“. Polyphone Musik hatte auf Borden seit seiner Kindheit eine starke Faszination ausgeübt. Was auch an seiner recht seltenen Art zu hören lag, die ihn von vielen Musikern unterscheidet: Akkorde nimmt er nicht als eine Serie von Harmonien war, sondern als eine Aufeinanderfolge getrennter akustischer Ereignisse.

„Wenn ich ein Orchester höre, höre ich nicht alle Klänge auf einmal, wie es die meisten Leute tun, ich höre vielmehr die einzelnen Stimmen zugleich.“ In Bordens Kopf scheinen dann, wie bei einem Mehrspurband, unterschiedliche Tonspuren isoliert wahrgenommen zu werden, aber eben gleichzeitig. „Daher habe ich mit meinen Kontrapunkt-Stücken begonnen.“

„Beim Orchesterhöre ich einzelne Stimmen zugleich“

David Borden

Bordens Kontrapunkt-Zyklus wurde sogar mit Bachs „Goldberg-Variationen“ verglichen, entstammt aber einer viel älteren harmonischen Welt. Die Frühphase der Renaissance-Musik hat ihn stets am meisten fasziniert, weil die Harmonien damals noch nicht so streng geordnet waren wie bei Bach. „Was mir am Kontrapunkt des 14. Jahrhunderts gefiel, insbesondere an Guillaume de Machaut, war, dass er mit Kontrapunkt arbeitete, bevor die harmonischen Funktionen festgelegt worden waren. Für die Ohren der meisten Leute klingt das seltsam, weil er Dinge tut, die es normalerweise in der tonalen Musik nicht gibt. Genau das aber gefiel mir, und in meiner Musik tue ich das manchmal auch.“ Eine weitere Besonderheit der Musik Dabid Bordens ist die statische Verwendung von Synthesizer-Klängen. Während sein Kollege Steve Drews bei Mother Mallard abwechslungsreiche Klangfarben bevorzugte, blieb Borden in der Regel bei einem Klang pro Stück. Was auch praktischen Überlegungen geschuldet war: Das Umschalten per Knopfdruck war bei den frühen Synthesizern nicht möglich. Man musste stattdessen mühsam neue Steckverbindungen mit zahllosen Kabeln herstellen und die Regler anders einstellen. Anfangs arbeiteten Mother Mallard in ihren Konzerten sogar mit Disney-Cartoons zwischen den einzelnen Stücken, um die Wartezeit für das Publikum kurzweiliger zu gestalten. Als in den achtziger Jahren die – aus gegenwärtiger Sicht eher unpopulären – digitalen Synthesizer mit Speicherfunktionen für die Klänge aufkamen, erlebte Borden dies als eine echte Befreiung. Borden hat seinen Sound nie als „Elek­tronik“ betrachtet, für ihn war es einfach Musik mit „anderen Instrumenten“.

Leider kein Jazz

Eigentlich hatte er in seiner Studentenzeit vorgehabt, Jazzpianist zu werden, doch seine andere Art, Harmonien zu hören, war dabei wenig hilfreich. Und er musste bald feststellen, dass seine Studienfreunde wie der Bassist Ron Carter oder der Flügelhornspieler Chuck Mangione Dinge beherrschten, die ihm selbst nicht möglich waren. Borden, der als Professor an der Cornell University gelehrt hat, meint rückblickend, dass der Komponist John Cage großen Einfluss auf ihn hatte, „Vertrauen darin zu haben, etwas zu tun, bei dem ich mir selbst nicht sicher war“. Ein weiterer wichtiger Einfluss waren Tänzer, mit denen Borden zusammengearbeitet hat, darunter auch Merce Cunningham. „Sie haben immer völlig verrückte Sachen gemacht. Und sie akzeptierten jede neue Ästhetik bei der Musik, die ihre Tänze begleitete. Tänzer haben eine Offenheit, die mir bei Musikern so nicht begegnet ist.“