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Trockenzeit auf der Alm

Schon im Juli hatte Kuhhirte Carl Petzold kein Wasser mehr für die 53 Kühe auf der Schellalm oberhalb von Garmisch, 13 Tiere brachte er ins Tal, damit sie nicht verdursten. Er betete an der Quelle, sprengte Weihwasser. Und es regnete

Kuhhirte Carl Petzold in der Hütte der Schellalm. Zweimal hat er die schwarze Kerze mit der goldenen Madonna schon angezündet Fotos: Stefanie Doldt

AUS DEM ZUGSPITZMASSIV UND VON DER SCHELLALM Stefanie Dodt

Es war ein Versuch. Carl Petzold nimmt die 300-ml-Plastikflasche aus dem Holzschrank hinter der Tür. „Weihwasser“ steht auf dem Etikett. Er läuft den schmalen Pfad hinter der Hütte entlang, vorbei an den meterhohen Fichten. Es ist um die 30 Grad heiß. Die Schellalm steht auf 1.500 Meter Höhe, mitten in den Bayerischen Alpen. 15 Minuten geht er leicht bergauf, bis er die Stelle erreicht, an der ein Bach fließt.

Fließen sollte. Aus dem Berggeröll ragt eine alte Holzrinne hervor. Vor etwa 100 Jahren wurde sie angebracht, ein angestecktes Plastikrohr schließt an die Rinne an. Sie leitet das Wasser in eine grüne Tonne. Aber die Tonne ist leer, aus dem Rohr tröpfelt es nur.

Carl Petzold, 34, Almhirte, schraubt die Flasche auf und träufelt sich das geweihte Wasser in die Handfläche. Die Tropfen verteilt er auf dem Geröll. Drei-, viermal setzt er an, betet ein Vaterunser, bittet den Herrgott, das Wasser wieder laufen zu lassen. Er weiß nicht so recht, ob er glauben soll, was er tut. Aber früher hat so etwas auch geholfen.

Eine schwarze Kerze brennt bei Unwetter

Als Kind verfolgte Carl Petzold gebannt, wie die Urgroßmutter beim ersten Blitz die Wetterkerze anzündete. Eine schwarze Kerze, bedruckt mit einer mit Goldschmuck behängten Madonna. Die Urgroßmutter betete mit ihrer Hilfe dafür, dass das Unwetter weiterzieht. Carl Petzold tut es ihr heute nach.

Die Kerze steht in der Mitte seines Holztischs, der Docht ist verrußt, ein wenig Wachs ist an den Rand geflossen, ein-, zweimal hat sie schon gebrannt. Wenn er allein in seiner Almhütte sitzt, und wenn der Himmel sich verdunkelt, ist sie sein Schutz.

Heute bittet Petzold mit Weihwasser um Regen. Denn auch die Tanks mit Bergquellwasser für seine 53 Kühe sind ausgetrocknet. Die Tiere brauchen bei der Hitze 100 Liter Wasser am Tag. Seine Almhütte hat keinen Wasseranschluss, und immer häufiger versiegt die Quelle. Die Almhirten gehören zu den Ersten, die den Klimawandel zu spüren bekommen. Früher regnete es alle zwei, drei Tage, jetzt bleibt manchmal über Wochen der Niederschlag aus. Dann kommt der Starkregen, den der ausgelaugte Boden nicht aufnehmen kann. Die Berg­quellen versiegen.

Im Tagebuch ist der Eintrag in Großbuchstaben vermerkt und gelb markiert. 14. 7. 2015. „KEIN WASSER MEHR IM TANK.“ In das silbern glänzende Büchlein trägt Carl Petzold akribisch die Wasserstände ein, damit er immer weiß, wie lange er noch ohne Regen auskommt. 17.000 Liter passen hinein, die reichen für zehn Tage. Als er noch 2.000 Liter im Tank hatte, rief er im Dorf an, acht Treiber kamen auf die Schellalm und nahmen 13 der 53 der Kühe von der Weide, die größten von ihnen, die am meisten trinken. Sechs Wochen früher als geplant. Das sind sechs Wochen weniger, in denen die Kühe eigentlich grasend über die Almen ziehen und dabei den Boden mit Humus nähren.

Gletscherforscher Weber misst, was Kuhhirte Petzold spürt: Die Gletscher schmelzen, es wird heißer und trockener, und bald ist das Eis fort

Carl Petzold muss zwei Stunden laufen und 800 Höhenmeter absteigen, um die nächste Straße und den nächsten Wasserhahn zu erreichen. Aber auch weniger abgelegene Almen haben Probleme mit der Trockenheit: Vor zwei Jahren musste etwa ein Drittel der Hütten in der Region Garmisch-Partenkirchen von Jeeps, Seilbahnen oder dem Helikopter mit Wasser versorgt werden.

Als Kind träumte Carl Petzold davon, Hirte der Schellalm zu sein. Er lebte in Griesen, im nächsten Ort am Ende des Zweistundenpfades. Und er liebte es, sich mit seinen Freunden den steilen Pfad entlangzuhangeln, bis sie zur Lichtung kamen. Der Moment, in dem er die ganze Ruhe spürte. In der Mitte der Lichtung die Holzhütte, sonst weit und breit nichts. Der Blick reicht über die Berghänge bis ins Tal, hinter dem sich das nächste Massiv erhebt, karg, grau, steil, bis zur Zugspitze.

Hier konnten die Jungs spielen, was sie wollten, und hier kann Carl Petzold noch heute machen, was er will, genau so, wie er will. Nach vier Jahren bei der Bundeswehr, Arbeit als Lkw-Fahrer und im Gartenbau fühlt es sich endlich richtig an. Hirte auf der Schellalm. Der einzige Haken: Seine kleine Tochter und seine Frau leben im Tal.

Er trägt ein blau-weiß kariertes Hemd, einen Ring am linken Ohr und eine großmaschige silberne Kette, daran hängt ein Kruzifix. Seine Augen sind blau, der Bart ist rotblond, die Wangenknochen stechen hervor, er hat feine Finger und dünnes Haar. Der Hirte zeigt seinen Schlafplatz, neben dem Holz­ofen in einem Stockbett. Auf einer Holzbank stehen zwei Plastikschüsseln, eine ist rot und trägt die Aufschrift „Körperpflege“, eine blass hellblau mit der Aufschrift „Geschirr“. Unter der Bank lagert er die zwei weißen Wasserkanister, in jeden passen 10 Liter. Jetzt sind sie voll.

Denn zwei Tage nachdem Carl Petzold an der Quelle stand und betete, ließ der Herrgott das Wasser wieder laufen auf der Schellalm. Für ihn war der Regen ein „Riesenmassel“, eine glückliche Fügung. Wäre es zwei weitere Tage trocken geblieben, wäre für alle Kühe der Almausflug beendet gewesen. Auch die Tanks für die Tiere sind wieder voll. Carl Petzold sitzt am Holztisch in der Hütte, auf einem verwaschenen Sitzkissen, gelb, grün, blau und ein bisschen rot, vor ihm eine Tasse Kaffee. Das Wasser dafür hat er auf dem Holzofen gekocht. Er hat nicht viel und er hätte es schwer, wenn er mehr brauchte. Er duscht in der Regentonne, die Toilette ist unter der Fichte, aber das Wasser aus der Quelle, das braucht er wirklich. Und das bleibt immer öfter weg.

Ab Juli ist der Gletscher schneefrei

Wie viel Wasser in den nächsten Jahrzehnten aus den Bergen noch kommen wird, erforscht der Geograf Michael Weber von der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er steht am Nördlichen Schneeferner unterhalb der Zugspitze. Das blaue Gletschereis wird an vielen Stellen von schwarzem Schmutz überdeckt. Der Nördliche Schneeferner ist der Größte der fünf verbliebenen deutschen Gletscher, und die Forscher können nur dabei zuschauen und dokumentieren, wie er vor ihren Augen schmilzt.

Ein Zehntel des Gletschers Nördlicher Schneeferner ist noch übrig

Weber steht auf der Schneedecke, dahinter fließt das Schmelz­wasser. „Schon Ende Juli sind große Bereiche schneefrei. Das ist Gift für jeden Gletscher, wenn er über Sommer keine Nahrung und keinen Schutz durch den Schnee erhält.“ Um die Schneedecke zu untersuchen, baut Weber ein Stativ auf, obendrauf schraubt er den orangefarbenen Laserscanner, den er über Kabel mit seinem Laptop verbindet. Punkt für Punkt zeichnet er die Koordinaten der Schneedeckenoberfläche auf. Dort liegen die Reste von dem, was einst der 300 Hektar große Gletscher war. Noch knapp 30 Hektar sind übrig. Weber tastet mit dem Laser die verbliebene Schneedecke vom Dach des Schneefernerhauses ab, erstellt aus den Daten Geländemodelle, und damit Szenarien, wie es weitergehen könnte. Er hat damit erstmals berechnet, was der Klimawandel für die Zugspitzregion bedeutet.

Die Schneedecke schmilzt rapide. Den Forscher beeindruckt vor allem das rasante Tempo. Die Temperatur hat sich im 20. Jahrhundert in der Zugspitzregion um 1,2 Grad erhöht. Forscher prognostizieren einen erneuten Anstieg um 1,2 Grad bis 2050. Bis dahin wird auch die Schneedecke in der Zugspitzregion im Sommer vier Wochen früher verschwinden. Weil der Schnee der Wasserspeicher für die Bergflüsse ist, wird die Trockenheit verstärkt. Das Schmelztempo verursacht im Tal häufiger Überschwemmungen.

Für die Gletscher in den Bayerischen Alpen bedeutet das, dass ihre letzten Jahre gezählt sind. „Man kann eins und eins zusammenzählen und wird zu dem Ergebnis kommen, dass unsere bayerischen Gletscher nur noch wenige Jahrzehnte Bestand haben werden“, sagt Weber.

Einfach den Schwerpunkt verlagern, in eine andere Richtung investieren, kann der Hirte Carl Petzold nicht. Für seine Kühe ist das Wasser aus den Bergbächen Überlebensgrundlage. Und für ihn selbst auch, etwa vier Liter braucht er am Tag. Gerade sprudelt seine Trinkwasserquelle wieder, sie ist sogar bis obenhin voll, die grüne Tonne läuft über. Als die Quelle trocken war, wachte er morgens auf und hatte Durst. Er nahm seine zwei leeren Plastikkanister und lief von der vertrockneten Quelle aus weiter, den nächsten Hang bergab, nach einer halben Stunde wieder steil bergauf. Nach einer Stunde war er da, an seiner Notfallquelle, und ja, hier gab es noch Wasser. Petzold trank den ersten Schluck Wasser, in der Hitze, am frühen Morgen. Gott sei Dank.

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