Hilfsprogramm Griechischer Premier setzt Reformplan dank Opposition durch. Vertrauensfrage im August: Pyrrhussieg für Tsipras
aus Athen Jannis Papadimitriou
Es war eine Marathonsitzung ohnegleichen. Am Freitagmorgen um halb drei begann die Parlamentsdebatte über die neue Kreditvereinbarung mit den internationalen Geldgebern, erst nach zehn Stunden stand das Ergebnis fest: 222 Stimmen für die Regierungsvorlage, 64 Gegenstimmen, 11 Enthaltungen. Was wie ein grandioser Sieg für Ministerpräsident Alexis Tsipras aussieht, ist ein politisches Armutszeugnis. 44 Abgeordnete der Regierungspartei Syriza, mehr als jemals zuvor, verweigerten ihrem eigenen Premier die Gefolgschaft.
Zu den Abweichlern gehören Syriza-Schwergewichte wie der inzwischen gefeuerte Energieminister Panagiotis Lafazanis, Exfinanzminister Gianis Varoufakis, der Vizepräsident des Parlaments, Alexis Mitropoulos, und nicht zuletzt Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou. Sie ist in den vergangenen drei Tagen durch Antiregierungsrhetorik und eine noch nie da gewesene Verschleppungstaktik aufgefallen: Immer wieder schob sie Beratungen mit den Fraktionsvorsitzenden zwischen Ausschusssitzungen, wandte sich mit der Bitte um Rat an den wissenschaftlichen Dienst oder ließ sich auf Einzelgespräche mit Abgeordneten ein. Selbst nach der Abstimmung am Freitagvormittag, als viele Abgeordnete nach insgesamt 25-stündigen Beratungen bereits im Plenum eingeschlafen waren oder den Saal verlassen hatten, meldete sich Konstantopoulou mit neuen Tagesordnungspunkten zu Wort.
Ministerpräsident Tsipras hatte zuvor mit verblüffender Ehrlichkeit um Stimmen geworben. „Es gab nun mal die Wahl zwischen einem Sparpaket mit dem Euro und einem Sparpaket mit der Drachme“, erklärte der Linkspremier im Parlament. Eine Alternative habe es nicht gegeben. Jedenfalls würden die Schulden nicht allein dadurch verschwinden, dass man sie einfach aufkündigt, erläuterte Tsipras.
Viele seiner Parteifreunde haben jedoch nicht vergessen, dass seine Botschaft im Wahlkampf noch ganz anders klang. „Dieses Memorandum der Sparpolitik widerspricht dem Wahlprogramm von Syriza und dem Wählerauftrag, und ich werde dagegen stimmen. Wir haben doch vor der Wahl versprochen, das Memorandum abzuschaffen“, erklärte der ehemalige Sozialminister Dimitris Stratoulis.
Einzelne Syriza-Politiker reagierten ihren Frust über das Sparprogramm mit Verbalattacken auf die eigenen Leute ab. Vor allem Finanzminister Euklid Tsakalotos und Fraktionssprecher Nikos Filis wurden zur Zielscheibe. Eine „Scheidung in Liveübertragung“ habe man da gesehen, kommentierte die linksliberale Zeitung der Redakteure am Freitag – eine bittere Anspielung auf die vermutlich bevorstehende Spaltung der regierenden Linkspartei.
Noch am Donnerstag plädierte Exminister Lafazanis für die Gründung einer „breiten Bewegung“ gegen die Sparpolitik. Die Jugendorganisation von Syriza forderte die Regierung sogar auf, Griechenland aus dem Euro und aus der Europäischen Union zu führen.
Letzten Endes gewann Premier Tsipras mit breiter Mehrheit die Abstimmung – aber nur dank des konservativen Oppositionschefs Evangelos Meimarakis, der die eigenen Abweichler gnadenlos disziplinierte. Er bekam auch die Stimmen der sozialistischen Pasok und der sozialliberalen Splitterpartei To Potami, deren Chef Stavros Theodorakis ein relativ gutes Verhältnis zu Tsipras pflegt. Der Oppositionschef warnte, dass die Toleranz der Opposition ihre Grenzen erreicht habe. „Ab Montag ist es vorbei mit unserer Unterstützung“, sagte Meimarakis.
Nicht zuletzt deshalb will Tsipras die Flucht nach vorne antreten und bereits Ende August die Vertrauensfrage stellen. Sollte die Regierung stürzen, würde Tsipras Neuwahlen ansteuern, vermutlich in der zweiten Septemberhälfte.
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