: Heute im Ausverkauf: Revolution
Gentrifizierung Hans Georg Lindenau lebt und arbeitet seit 30 Jahren in der Kreuzberger Manteuffelstraße in seinem „Gemischtwarenladen für Revolutionsbedarf“. Die Räumung steht bevor, doch er wehrt sich dagegen
Text und Fotos Daniel Kister
Den institutionalisierten Häuserkampf scheint Hans-Georg Lindenau verloren zu haben. Das Landgericht Berlin plant seine Berufung gegen den Räumungsschlusstermin wegen mangelnder Erfolgsaussichten ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen. „Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass das Mietverhältnis zu Ende ist und Du zum 31. 12. 2015 die Räume herausgeben musst“, steht im Schreiben seines Anwalts.
Der besser unter seinen Initialen HG bekannte gebürtige Bayer aber will dafür kämpfen, dass alles so bleibt, wie es seit 30 Jahren in der Kreuzberger Manteuffelstraße 99 ist. Hier hat HG seit 1985 seinen „Gemischtwarenladen für Revolutionsbedarf“. Neben Schlagstöcken, ausrangierten Polizeihelmen und linker Literatur verkauft er politische Sticker und Kapuzenpullis sowie Haarfarbe und Fahnen. Und alles, was er vor dem Schaufenster nicht „an die Ketten des Kapitalismus“ gebunden hat, ist Teil seiner Freebox: Leute bringen Sachen, andere können diese umsonst mitnehmen; HG sorgt gelegentlich für Ordnung.
Über 50 Polizeirazzien
Insgesamt 53 polizeiliche Razzien und mehrere Kündigungen waren der Klage des jetzigen Hauseigentümers vorausgegangen – diesmal wegen der versäumten Meldung einer Untermieterin.
Für jeden Monat, den Hans Georg Lindenau früher geht, bekommt er 1.000 Euro und 5.000 Euro Einmalzahlung. „Blödsinn“, lehnt HG ab, der sein Leben lang unter „Räumungsdruck“ war. Der Laden ist seine Existenzgrundlage, Teil seines Lebens und Tür für seine Integration. „Ich bin mit meinem Privatleben und dem Gewerbe eine Symbiose eingegangen. Der Laden gibt mir die Möglichkeit zu überleben“, sagt der Gemischtwarenhändler, dessen Öffnungszeiten durch seinen Schlafrhythmus bestimmt werden.
Um mit dem Laden zu existieren, musste der 56-Jährige viele Widrigkeiten erdulden: Wegen tatsächlicher und vermeintlicher Bauarbeiten in seinen angrenzenden Privaträumen musste er fast ein Jahr lang im Verkaufsraum und Flur schlafen. „Nur in der Außentoilette konnte ich mich waschen“, erinnert sich der Mann mit dem fotografischem Gedächtnis: „Das waren menschenunwürdige Bedingungen.“ Ein neuer Techno-Club im selben Haus mache so viel Lärm, dass handbreite Risse im Haus entstünden. Zudem blies die Entrauchungsanlage Qualm in seine Wohnung.
Seit dem Eigentümerwechsel 2013 haben sechs Mietparteien ihre alten günstigen Mietverträge aufgegeben. Die idema Immobilienbetreuungs- und Verwaltungsgesellschaft mbH „mobbt die Leute mit Psychokrieg weg“, klagt HG, der sich seit einem Unfall ohne Rollstuhl nur schlecht vorwärtsbewegen kann.
Ohne Hilfe könnte er den Laden nicht führen. „Ich verfahre nach dem autonomen Milchkuhprinzip: Die Leute können Nein sagen. Aber wenn jeder ein wenig hilft, ist das viel für mich.“ So schickt er schon mal KundInnen in seine Wohnung, um unter seiner Anleitung ein Kleidungsstück zu finden.
Mit Blick auf die Zukunft und seine Bekanntheit in der alternativen Touristenszene gibt sich Hans Georg Lindenau kämpferisch: „Ich freue mich schon auf die Zwangsräumung. Ich habe Unterstützung weltweit.“ Vorerst spekuliert er aber darauf, länger in Laden und Wohnung bleiben zu können.
Tatsächlich hat der Vermieter versäumt, auch die Herausgabe des Kellers einzuklagen, was die Räumung um Monate verzögern könnte. Bevor es dazu kommt, hofft HG, als „kulturelle Einrichtung“ anerkannt zu werden: „Es ist ein Unding, wegen Privatinteressen eliminiert zu werden.“ Als Teil seines Widerstandes plant er eine Postkarten-Kampagne unter dem Slogan: „Kultur von unten trotzt Betonkultur“.
Was, wenn seine ganz persönliche Gegenrevolution scheitert? „Dann gehe ich halt singen, ich bin ja auch Tenor, und mache Performance-Kultur.“ Einen Webshop kann er sich auch vorstellen. Die Domain www.revolutionsbedarf.com hat sich HG schon gesichert.
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