Emissionsfrei auf See

NACHHALTIGKEIT In der Wesermarsch wird ein Segelschiff umgebaut. Die „Avontuur“ soll den Transport umweltfreundlicher machen. Einen ersten Auftritt wird sie auf der Sail Bremerhaven haben

Viel zu tun: Ehrenamtliche aus aller Welt bessern der Rumpf der „Avontuur“ aus   Foto: Timbercoast

Auf dem Gelände herrscht Helmpflicht. Es riecht nach Farbe, an einem Schiff sind Schweißer zugange, aus einer Ecke hört man das Geräusch einer Kreissäge. Hier in der Elsflether Werft im Kreis Wesermarsch wird das fast 100 Jahre alte Frachtsegelschiff „Avontuur“ rückgebaut, um später emissionsfrei Waren über die Weltmeere zu fahren.

Über Klimaschutz wird viel geredet. Doch die meisten Maßnahmen finden an Land statt – über die Umweltbelastung durch die Schifffahrt wird weniger nachgedacht. Die Firma Timbercoast, der die „Avontuur“ gehört, will das ändern. Ihr Schiff soll so nachhaltig wie möglich Waren transportieren.

Ursprünglich war es die Idee von Cornelius Bockermann, sozial- und familienverträgliche Arbeitsplätze zu schaffen. Doch nachdem der in Australien lebende Firmengründer vom Zustand des Great Barrier Reef erfuhr, dehnte er das Projekt aus – auf emissionsfreien Wassertransport. „Wind gibt es überall, er ist umsonst und wird nicht verbraucht. Der, der hinter mir fährt, kann ihn auch nutzen“, sagt Bockermann. Segelschiffe würden sich zwar nicht auf allen Routen eigenen, aber auf vielen. Dass das funktioniert zeige die Vergangenheit. Seit Jahrhunderten nutzen Segelschiffe die Passatwinde, um Waren schnell über die Ozeane zu transportieren – im Englischen heißen sie passend „trade winds“.

2014 wurde die 1920 gebaute „Avontuur“ – Niederländisch für Abenteuer – gekauft, seit Januar wird sie umgebaut. Anfangs ein Frachtsegler, büßte sie später die Segel zugunsten eines Maschinenantriebs ein. Nach dem Rückbau wird die „Avontuur“ wieder von Wind­energie angetrieben. Sie ist dennoch mit einer Maschine ausgerüstet, um problemlos in die Häfen einlaufen zu können. Diese sei auf dem neusten Stand und stoße so wenig Emissionen wie möglich aus, betont Bockermann: „Ich rechne in zwei Jahren mit weniger als 1.000 Litern Diesel. Damit verbrauchen wir weniger als die Schlepper, die uns sonst in die Häfen schleppen würden.“

In einer Halle neben dem Schiff ist die Werkstatt eingerichtet. Hier werden die neuen Topmasten vorbereitet. Die dafür verwendeten Lärchen stammen von einem Bauern aus der Umgebung. Die Topmasten sind reine Handarbeit. Über Viereck und Hexagon werden sie in immer kleineren Schritten geschliffen bis sie rund sind. In einer Mastspitze, Stenge genannt, stecken so etwa 150 Stunden Arbeit.

Freiwillige aus aller Welt ermöglichen den Umbau des Schiffs. Sie alle arbeiten für Kost und Logis. Außerdem werden sie die Möglichkeit erhalten, auf der „Avontuur“ mitzufahren. „Die meisten Teammitglieder bleiben etwa ein bis zwei Monate“, sagt Ben aus Kanada, der selbst für drei Wochen gekommen ist – das war allerdings auch schon im Februar. Viele blieben wie er länger als geplant. Bockermann, der früher 100 Angestellte hatte, ist begeistert von den Helfern: „Für keinen Lohn der Welt habe ich Leute so enthusiastisch arbeiten sehen.“ Bislang verdient niemand mit dem Projekt Geld – doch die Freiwilligen, die schon sehr lange da sind, sollen Firmenanteile erhalten.

Wie international das Team ist, zeigt ein Drahtzaun mitten in der Werkstatt. Verschiedene Fahnen, unter anderem die niederländische, die kanadische, die israelische und die spanische hängen daran. Die kolumbianische Flagge kommt bald dazu.

Die „Avontuur“ kann das Äquivalent von drei Standardcontainern (TEU) aufnehmen – bis zu 70 Tonnen Ladung sollen transportiert werden. Im Vergleich zu den großen Containerschiffen ist dies keine nennenswerte Menge. Die Anfang des Monats in Hamburg getaufte „MSC Zoe“ etwa hat eine Tragfähigkeit von 19.224 TEU.

Man wolle aber auch nicht mit den gigantischen Frachtern in Konkurrenz treten, sondern vor allem eine Botschafterfunktion erfüllen, erläutert Bockermann: „Die Menschen sollen dazu angeregt werden, über ihr eigenes Konsumverhalten nachzudenken.“ Dennoch sei die Nachfrage nach Segelfrachtschiffen groß. Momentan gebe es nur fünf dieser Schiffe, die Waren wie fair gehandelten Kaffee, Kakao oder Rum transportieren.

Diese Güter soll bald auch die „Avontuur“ über die Ozeane bringen. Noch wirkt die „Avontuur“ allerdings wie ein Rohbau. Mit Leitern gelangt man in den Laderaum und in die spätere Kajüte, auch von der Kombüse ist noch nichts zu sehen. Es habe mehr Arbeit gegeben als erwartet, erzählt Bockermann. So musste etwa die funktionsfähige Elektrik komplett erneuert werden, da die Leitungen nicht den Standards entsprachen. Auch konnten Zulieferer bestellte Teile nicht zum vereinbarten Zeitpunkt liefern.

Wegen der vielen ungeplanten Ausgaben ist das Projekt inzwischen etwa 400.000 Euro über dem Budget – am Ende wird das Schiff zwischen 800.000 und einer Million Euro gekostet haben. Deswegen wird nun finanzielle Unterstützung benötigt, aber auch Materialspenden und Arbeitskräfte sind willkommen. Doch das Projekt braucht zudem Investoren. Die zu finden sei schwierig, sagt Bockermann: „Investoren interessieren sich nicht für die geringe Rendite.“

Mit der „Avontuur“ ist ein Liniendienst in Australien geplant. Dazu hat Timbercoast zusammen mit den Reedereien Fairtransport und Grayhound Lugger Sailing die „Sailing Cargo Alliance“ gebildet. Nach seiner Fertigstellung wird das Schiff allerdings aufgrund der Auftragslage wohl zunächst eine Rund­reise auf dem Nordatlantik machen. Neben einer Stammbesatzung von fünf professionellen Seeleuten sollen dann bis zu acht Trainees das Schiff segeln. Für ihren Aufenthalt an Bord müssen sie zahlen. Dafür sollen sie in sechs- bis achtmonatigen Trips die traditionelle Seefahrt erlernen.

Zunächst einmal geht es für das Segelfrachtschiff jedoch nach Bremerhaven: Am Dienstagabend soll die „Avontuur“ dort eintreffen – pünktlich zurtags darauf beginnenden Sail Bremerhaven.Jördis Früchtenicht