Bis zur völligen Erschöpfung

Schwimm-WM Die US-Amerikanerin Katie Ledecky (18) regeneriert ungemein schnell und gewinnt dreimal Gold

Lächeln nach dem Leiden: Katie Ledecky mit der Goldplakette  Foto: ap

aus kasan Andreas Morbach

Im amerikanischen Schwimm-Team in Kasan ist Katie Ledecky zuständig für die großen Siege, um die großen Worte und die kleinen Spinnereien am Rande kümmern sich andere. Vorneweg bei den Spaßmachern ist meist Missy Franklin, die monumentale Kalifornierin mit der kräftigen Stimme und dem krachenden Lachen – die auch nach dem Triumph ihrer Teamkollegin über 200 Meter Freistil zuverlässig zur Tat schritt.

„Ich weiß nicht, ob sie überhaupt irgendeine Schwäche hat. Falls ja, haben wir sie noch nicht gesehen. Es ist einfach beeindruckend, sie im Pool zu erleben“, dröhnte es aus Franklin heraus. Dann drehte sich die 20-Jährige um und machte sich daran, die zurückhaltende Ledecky mit lautem Kreischen einzufangen. Dabei diente ihr Geschrei sicher auch als Wachmacher – denn die junge Frau, der sie da hinterher jagte, wirkt nach drei WM-Titeln und zwei Weltrekorden in der Kazan Arena zunehmend benommen.

Katie Ledecky war am Mittwochabend schon auf dem Weg ins Hotel, als Bruce Gemmell in einer spärlich beleuchteten Ecke der gewaltigen WM-Arena stand und über seine außergewöhnliche und bemerkenswerte Schülerin sprach. Gemmell, ein freundlicher älterer Herr, den man sich auch gut mit Märchenbuch in der Hand und Enkelkindern auf dem Schoß in einem Sessel vorstellen kann, trainiert Ledecky in Bethesda, Maryland. Und nun erzählte er von einem Abendessen im Hotel des US-Teams. Er und Ledecky saßen am Tisch, als ein Masseur herantrat und die erschöpfte Schwimmerin daran erinnerte, dass sie jetzt einen Termin bei ihm habe.

„Sie war so müde, sie hatte es schon vergessen“, schmunzelte Gemmell. Die große Schläfrigkeit einer 18-Jährigen, die in Russland nach Siegen über 400 und 1.500 Meter Freistil nun auch die vier Bahnen Kraul gewonnen hatte. In einem erlesenen Feld von Konkurrentinnen, die im Gegensatz zu ihr schon lange auf dieser Strecke zu Hause sind. Wie etwa die Italienerin Federica Pellegrini, Olympiasiegerin von Peking. Oder Missy Franklin, frisch entthronte Titelverteidigerin. „Es ist ziemlich speziell, hier die 200 Meter Freistil schwimmen zu können“, kommentierte Ledecky – nachdem sie alle Pool-Größen geschlagen hatte.

„Dieses Rennen war mit dem Männer-Finale von Athen absolut vergleichbar“, adelte Coach Gemmell ihre Leistung – in Anlehnung an das „Rennen des Jahrhunderts“ bei den Olympischen Spielen 2004, als mit Michael Phelps, Ian Thorpe, Pieter van den Hoogenband und Grant Hackett gleich vier Olympiasieger nebeneinander die vier Bahnen Kraul herunter donnerten. Ihre körperlichen Grenzen ausgetestet hatte Ledecky aber schon am Tag vorher, als sie eine winzige halbe Stunde nach ihrem zweiten Weltrekord auf der 1.500-Meter-Strecke ins Finale über 200 Meter Freistil kraulte.

„Es gibt wenige, wenn überhaupt jemanden auf der Welt, der das schafft, was Katie hier gemacht hat“, verbeugte sich Missy Franklin vor ihrer Teamkollegin. Während Chefbundestrainer Henning Lambertz sachlich analysiert: „Durch die vielen langen Trainingseinheiten und ihre hohe Ausdauerfähigkeit ist sie in der Lage, schneller zu regenerieren.

Doch auch Miss Ledeckys Fähigkeit zur blitzschnellen Erholung hat ihre Grenzen. „Jetzt muss ich in dieser Woche noch 2.000 Meter schwimmen“, brachte sie ihr Restpensum auf den aktuellen Stand – nachdem sie bei der Siegerehrung über 1.500 Meter beim Abmarsch ausgerutscht war.

„Wenn du den Satz mit den 2.000 Metern hörst, bist du ein bisschen drin in ihrem Kopf“, umschreibt Bruce Gemmell sehr einfühlsam, dass die Leidensbereitschaft auch bei Katie Ledecky endlich ist. Bei WM-Halbzeit hatte sie alle drei Titel des US-Teams im Alleingang geholt, aus der Heimat erreichte sie der Glückwunsch von Super-Olympionike Phelps (“Schön zu sehen, wie sie dominiert – es ist lange her, aber da war ich auch mal“), und der neueste Stand auf ihrem Countdown-Zähler lautete: Noch 1.800 Meter.

Die ersten 200 im Staffelfinale am Donnerstag. Danach noch ein Vorlauf und ein Finale über 800 Meter Freistil. Dann ist Katie Ledeckys Uhr endlich abgelaufen – zumindest fürs Erste.