: Gewinn für die Community, nicht die Gemeinde
Makkabi-Spiele Das jüdische Sportfest mit 2.300 Teilnehmern aus ganz Europa ist vorbei – nach neun Tagen Wettkampf und vielen wohlwollenden Worten von Politikern. Doch für die zerstrittene Jüdische Gemeinde in Berlin ist es auch eine verpasste Chance
von Jakob Mühle
Ein bisschen verloren sieht die Mitarbeiterin der jüdischen Partnervermittlung aus, wie sie da mit einem Stapel Flyern durch die Lobby des Estrel Hotels läuft und krampfhaft versucht, die Dienste ihrer Datingagentur unter die Leute zu bringen. Denn in dem Gewusel aus verschiedenfarbigen Trainingsanzügen, unterschiedlichen Sprachen, verheißungsvollen Blicken und schüchternem Getuschel ist die Kontaktaufnahme unter den Jugendlichen und jungen Erwachsenen bereits in vollem Gang. Eine Partnervermittlung braucht hier niemand.
Währenddessen sitzt Mike Delberg in einem blauen Sakko etwas verschwitzt neben der Bar und lächelt zufrieden angesichts des Treibens vor seinen Augen. „Ich möchte gerne wissen, wie viele Kinder hier in den nächsten Tagen gezeugt werden”, sagt er und sieht dabei aus, als würde er wissen, wovon er spricht. Gerade hat der 25-jährige Berliner die Willkommensveranstaltung im Estrel für 2.300 jüdische Athletinnen und Athleten, die an den European Maccabi Games (EMG) 2015 in Berlin teilnehmen, moderiert. Sie kommen aus 34 Nationen, die Mehrheit ist unter 25 Jahre alt.
Erstmals in der Geschichte der Makkabiade wurden alle Sportlerinnen und Sportler in einem Hotel untergebracht – dem Estrel am Rande Neuköllns. Was ursprünglich aus Sicherheitsgründen so entschieden wurde, entpuppte sich schon am ersten Abend der Spiele als ein Glücksfall: Ferienlager-Feeling, wohin man blickte.
Auch Mike Delberg, seit Februar Repräsentant im Gemeinderat, dem Parlament der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, ist überzeugt, dass es die richtige Entscheidung war, die Sportler gemeinsam unterzubringen. Ob infolge der strengen Sicherheitsmaßnahmen vor dem Hotel nicht das Gefühl von Abschottung entstehen könne? Davon will er nichts wissen. Es gebe genügend Gelegenheit, während der Wettkämpfe die Stadt zu sehen. Und abends könnten die Sportler die Angebote des Berliner Nachtlebens nutzen, vorausgesetzt, sie sind volljährig. „Es ist eher ein Zusammenkommen”, findet Delberg, der auch in der Makkabi-Bewegung aktiv ist.
Erstmals in Deutschland
In den vergangenen neun Tagen fanden die europäischen Makkabi-Spiele zum ersten Mal seit Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland statt. Kaum ein anderes sportliches Großereignis der letzten Zeit war schon vor Beginn derart aufgeladen mit historischer Bedeutung. Doch noch eine andere Symbolik war wichtig: „Die Makkabi-Geschichte ist auch eine Berliner Geschichte”, sagte Alon Meyer, Präsident von Makkabi Deutschland.
1928 war der Makkabi-Weltverband mit seinem Büro nach Berlin gezogen; der erste Präsident, Heinrich Kuhn, war ein deutscher Jude. Zudem ist Berlin die Stadt der Olympischen Spiele 1936, wo die Diskriminierung der Juden erstmals für alle Welt sichtbar wurde. Ausgrenzungs- und Gründungsgeschichte des jüdischen Sports gehen Hand in Hand.
Mit fast 2.300 Athleten aus 38 Nationen verzeichneten die ersten Makkabi-Spiele auf deutschem Boden eine Rekordbeteiligung. Insgesamt wurden 166 Medaillensätze in 19 Sportarten bei der am Dienstag zu Ende gegangenen Makkabiade – der größten internationalen jüdischen Sportveranstaltung – vergeben. 70 Jahre nach Ende des Holocaust ging nach Einschätzung der Organisatoren von den Spielen ein wichtiges Signal der Versöhnung aus.
Auch Israels Botschafter in Deutschland, Yakov Hadas-Handelsman, hat eine positive Bilanz der 14. Europäischen Makkabi-Spiele des jüdischen Sports in Berlin gezogen. „Es hat sich gelohnt“, sagte er. (dpa)
Zudem ist Berliner Geschichte natürlich auch jüdische Geschichte – und umgekehrt. Heute ist Berlin, nach der Zerstörung der Gemeinde durch die Nazis, mit fast 10.000 Mitgliedern wieder das jüdische Zentrum Deutschlands. Man versucht, anzuknüpfen an die reichen jüdischen Traditionen in der Stadt – was zuletzt nur selten gelang. Die Berliner Gemeinde ist gebeutelt von Richtungskämpfen, Zuzug und notorischer Geldnot.
Nun also die ersten Makkabi-Spiele in Deutschland. Ein positiver Impuls für die Community?
Auf jeden Fall symbolisch
Symbolisch auf jeden Fall. 70 Jahre nach der Befreiung der letzten jüdischen Überlebenden aus den deutschen Konzentrationslagern und 50 Jahre nach der erneuten Gründung eines deutschen Makkabi-Dachverbandes waren die Makkabi-Spiele in Berlin die größten, die es jemals in Europa gab. In 19 verschiedenen Sportarten konkurrierten so viele jüdische Athleten wie noch nie miteinander – ausgerechnet auf dem Gelände des Olympia Parks, wo sich Nazideutschland 1936 vor den Augen seiner internationalen Gäste propagandistisch in Schale warf.
„Ein schaurig-schönes Gefühl, hier aufzulaufen”, fand der Charlottenburger Anwalt Gert Rosenthal, Sohn der TV-Legende Hans Rosenthal, der bei den Spielen für die deutsche Hockey-Mannschaft antrat.
Gastgeber Alon Meyer sprach bei der emotionalen Eröffnungsfeier in der Waldbühne von einem „Sieg über die Geschichte”. Deutsche Spitzenpolitiker wie Bundespräsident Joachim Gauck und Justizminister Heiko Maas (SPD) sahen in den Spielen ein großes „Geschenk”.
Gleichzeitig, hieß es vorab aus dem Organisationsbüro, wolle man keine Holocaust-Gedenkspiele veranstalten. Dieser Spagat zwischen historischer Bedachtsamkeit und alltäglicher Normalität gelang den Organisatoren deshalb, weil er auch ein integraler Bestandteil der deutsch-jüdischen Identität und Realität ist. Den Rest tat eine junge Generation von Sportlern, die sich des historischen Erbes zwar bewusst ist, die aber vor allem eins wollte: neben dem Sport ein bisschen feiern und Freunde treffen.
Der Londoner Ricky Angleman, Fußballer aus dem Team der Briten, mag Berlin vor allem, weil es anders ist als die Städte, die er sonst kennt. Viel lebendiger und voller: „Als Fußballer haben wir jede Menge Freizeit, die wir meistens außerhalb des Hotels verbringen. Vor allem die Bars um die Ecke sind interessant – die kenne ich noch von meinen früheren Besuchen. Morgen spielen wir gegen die Deutschen im Halbfinale. Wenn wir das gewinnen, geht es erst mal auf die Piste”. So weit kam es nicht, Deutschland gewann 1:0, doch in eine Bar ging es trotzdem. Angleman hatte am Sonntag Geburtstag.
Großes Misstrauen
Von der internationalen Aufmerksamkeit kann die Community in Berlin eigentlich nur profitieren. Zuletzt gelang es der Jüdischen Gemeinde selten, mit vereinter Stimme zu sprechen. Zu tief scheinen die Gräben zwischen den einzelnen Fraktionen zu sein, zu groß ist das Misstrauen zwischen Vorstand und verschiedenen Gruppen innerhalb des Gemeinderats. Mit dem Berliner Senat führte man einen langen Rechtsstreit über die Höhe der Zuwendungen aus dem Staatsvertrag. Ende Juli wurden sogar die Jüdischen Kulturtage 2015 abgesagt. Man wolle guten Willen zeigen in der Grundsatzdiskussion über die Gelder vom Senat, hieß es – obwohl das Land betonte, dass es die Veranstaltung sehr gerne unterstützt hätte.
Wie hat sich die Gemeinde für die Makkabi-Spiele eingesetzt? „Es freut uns sehr, dass die Maccabi Games in Berlin 70 Jahre nach dem Ende der Nazidiktatur ein Sieg des Lebens, der Freiheit und der Toleranz sind”, lässt Gemeindesprecher Ilan Kiesling mitteilen. Man habe das Ereignis räumlich und organisatorisch, vor allem was die Sicherheit angeht, unterstützt.
Dennoch: Während viele Gemeindemitglieder in der Makkabi-Bewegung aktiv sind und den Organisatoren der Spiele bei der Vorbereitung geholfen haben oder während der offiziellen Anlässe und Wettkämpfe zuschauten, war die Gemeinde als Institution nur selten präsent. Man hätte das Ereignis deutlich stärker nutzen können.
„Die Gemeinde hat momentan viel grundsätzlichere Probleme, da helfen auch die Maccabi Games nicht viel”, sagt einer, der es wissen muss, seinen Namen aber lieber nicht unter so einem Zitat in der Zeitung lesen will. Überhaupt gibt es kaum jemanden, der sich im jüdischen Berlin zu dieser Frage äußern will: Man fürchtet die Konsequenzen, will nicht unnötig Staub aufwirbeln.
Auch Mike Delberg, der im Gemeindeparlament der oppositionellen „Initiative Schalom” angehört, wählt seine Worte mit Bedacht: „Unsere jüdische Gemeinschaft in Berlin ist ein bisschen gebeutelt von inneren Kämpfen, da ist die Makkabiade schon Balsam für die Seele, denn das ist der Weg, wie Judentum funktioniert.” Und schließlich seien große Teile der Gemeinde ja gekommen, nur eben der Vorstand nicht.
Trotzdem sieht er eine Chance verpasst, weil man das Ereignis nicht stärker unterstützt hat. Dieser werde man noch lange nachtrauern. „Aber”, so Delberg, „um es mal etwas poetisch auszudrücken: Auf dunkle Zeiten folgen hellere – und wir werden mal sehen, was bei den Wahlen zum Gemeinderat im Dezember herauskommt.”
Bis auf das Symbolische bei der Eröffnung oder den Gedenkfeiern hielt sich auch die Außenwirkung der Spiele eher in Grenzen. Meist waren die Trainingseinheiten von Hertha BSC besser besucht als die Wettkämpfe der EMG. Wobei man sich natürlich fragen muss, was ein Amateursport-Event überhaupt leisten kann. Die Makkabiade war auch diesmal eine eher innerjüdische Angelegenheit, bei der es primär darum ging, sich im sportlichen Wettkampf miteinander zu messen und nebenbei untereinander Erfahrungen auszutauschen. Dialogarbeit wird eher in der Landesverbänden geleistet, wo neben Juden auch Christen und Muslime trainieren. Zum Beispiel bei den Charlottenburger Kickern von TUS Makkabi.
Deutsche Fahnen
In diesem Kontext sollte man vielleicht auch den Auftritt der deutschen Delegation bei der Eröffnung sehen, findet Jonathan Marcus, ein aufgeschlossener Funktionär der jüdischen Bildungsorganisation Limmud, die am Rande der Spiele Workshops für Jugendliche anbot. Dieser fahnenschwenkende schwarz-rote-goldene Menschenhaufen, der dort in die Waldbühne einlief und an die „Schland“-Partys auf deutschen Straßen während der letzten Fußball-WM erinnerte, sei einerseits der Ausdruck eines neuen deutsch-jüdischen Selbstbewusstseins gewesen.
„Andererseits hätten viele der dort Jubelnden auch für die Ukraine oder Russland antreten könne. Das muss man deshalb alles etwas ironisch sehen. Ein bisschen ist es eben auch künstlich von oben heraufgesetzt, um so eine Art Olympia-Feeling zu schaffen”, findet Jonathan Marcus und lächelt.
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