: Der geküsste Raum
KUNST Kann eine junge Frau den Kaffee zubereiten, ist sie reif für die Ehe. Im Haus am Waldsee wirft Nezaket Ekici einen sensiblen und spielerischen Blick auf Rituale, Traditionen und den Alltag
Eine Frau küsst die Wand. Sie ist weiß gekleidet, weiß sind auch die Möbel gestrichen, weiß sind Kissen und Teppiche, nur der Mund von Nezaket Ekici ist rot, sehr rot. Sie küsst auch die Kissen, die Schuhe, den Teppich, die Teekanne, bis der ganze Raum rosafarben schimmert.
Der geküsste Raum mit dem Titel „Motion Emotion“ ist Teil der Ausstellung von Nezaket Ekici im Haus am Waldsee. Ein Video ist von der mehrtägigen Kussarbeit zu sehen – und die hat etwas überraschend Strenges: Ein Plan wird ausgeführt. Mit den Küssen, so liest man im Wandtext, möchte die Künstlerin von der Wertschätzung für die alltäglichen Dingen erzählen – und die Arbeit, die in allem steckt, sichtbar werden lassen. Eine schöne Idee! Aber sie erhält im Moment der Ausführung, vielleicht durch den Beat unterstützt, mit dem das Video unterlegt ist, auch etwas Obsessives, etwas von Unterwerfung gegenüber der zum Material gewordenen Welt.
„Alles, was man besitzt, besitzt auch uns“ ist der schön gewählte Titel für diese erste größere Einzelausstellung der Künstlerin. Dass sie Meisterschülerin von Marina Abramovic war, sieht man manchen ihrer Performances schon sehr an; aber schließlich hat sie Bilder der Grande Dame der Performance auch unter die Familienfotos eingereiht, mit denen sie den Besucher im ersten Raum der Villa empfängt.
Die luxuriöse Privatheit der Räume nutzt die 1970 geborene Künstlerin für vielfältige Anknüpfungspunkte. Im ehemaligen Herrenzimmer ist „Lifting a secret“ zu sehen. Erst hat sie mit Vaseline einen unsichtbaren Text auf die Wand geschrieben, der dann sichtbar wurde, als sie Kaffee auf die Wand schüttete: Erzählt wird, in der Ichform, die Geschichte von einem traditionellen Eheanbahnungsritual, bei dem die Kaffeekochkünste der jungen Frau ihre Ehetauglichkeit unter Beweis stellen.
So sucht die Künstlerin in Elementen des Alltags, wie dem Kaffeekochen oder dem Baden in der Wanne, immer wieder Spuren von kultureller Überformung des scheinbar Selbstverständlichen aufzuspüren oder gar eine mythische Dimension in den einfachen Handlungen zu erkennen.
Nicht immer leuchtet dabei die rituelle Überhöhung ein, die ihrem Auftritt in den Performances eigen ist. Aber anziehend bleiben eine mediterrane Pracht ihrer Bilder und die Freude am Überfluss. Ihre Kunst macht Lust auf das Leben selbst!
Nezaket Ekici arbeitete schon an ihrer Ausstellung im Haus am Waldsee, als im Mai in Dresden ihre Skulptur „PostIT“, die vor dem Landgericht aufgebaut worden war, mit islamfeindlichen Sprüchen besprüht wurde. Sie hatte ein großes Tor aus hängenden Teppichen gebildet und das als ein Symbol für Weltoffenheit gemeint. Durch den Standort, vor dem Landgericht, erhielt die Arbeit einen politisch brisanten Referenzraum, war doch dort 2009 die Ägypterin Marwa El-Sherbini erstochen worden – ein ausländerfeindliches Verbrechen.
Solches Potenzial zur öffentlichen Erregung wie in Dresden findet sich in ihrer doch eher intimen Ausstellung im Haus am Waldsee nicht.
Dass sie (die doch vor allem mit ästhetischen Elementen für Annäherung und Öffnung wirbt und den Weg über die Vielfalt der sensuellen Sprachen geht) ein solcher Angriff auf ihre Kunst sehr treffen musste, ahnt man in dieser Ausstellung aber bald. Schließlich sind viele ihrer Arbeiten dort, wo es um historisch oder religiös geprägte Unterschiede geht, geprägt von einem Ansatz der Neugierde und der Versöhnung. Katrin Bettina Müller
Nezaket Ekici, Haus am Waldsee, Di.–So. 11.00–16.00 Uhr, bis 16. August
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen