: Wenn die Sprache unwichtig wird
BEGEGNUNG Ein Hamburger Projekt bringt Flüchtlingskinder mit Demenzpatienten zusammen. Immerhin, sagen die Macher, sähen sich ja beide Vorurteilen gegenüber
Flüchtlingskinder sollen mit Demenzkranken essen, spielen und singen? In Hamburg haben sich gestern erstmals Kinder aus diversen Herkunftsländern mit Menschen getroffen, die „demenziell verändert“ sind. Dabei sei eingetreten, so die Initiatoren vom Verein „Eben im Leben“, was sie gehofft hätten: Am Ende haben alle ein Strahlen im Gesicht.
Zum Start des Projekts „Oma all around the world“ kamen neun Kinder aus der Wohnunterkunft Jugendpark in Hamburg-Langenhorn in eine Tagespflegeeinrichtung im Stadtteil Barmbek. Die Treffen sollten beiden Seiten nutzen, sagt Nicole Kuchenbecker von dem Verein. Die Senioren genössen die Begegnung mit den Kindern, und die wiederum lernten, dass man auch mit Demenz in Würde altern könne.
„Die ersten Minuten sind immer etwas schwierig“, sagt Susanne Bötel. Sie ist Clownin, genauer: Begegnungs-Clownin. „Heute sind doch Alte fast nur noch mit Alten zusammen“, sagt sie. Treffen mit Kindern seien „total beglückend“ für die Betroffenen: „Für manche sind sie ein Enkelersatz.“
Claudia Unruh und Kuchenbecker haben den Verein vor gut einem Jahr gegründet. Das erste Projekt war „Was ist bloß mit Opa los?“, bei dem Kita-Kinder etwas über Demenz lernten: Sie bastelten mit Knete und Pfeifenputzern Modelle von Nervenbahnen im Gehirn. Manche sind eben falsch verbunden. „Dann wird den Kindern vielleicht klar, warum Oma die Wäsche manchmal in den Kühlschrank tut“, sagt Unruh. Die Hamburger Gesundheitsbehörde unterstützt das Projekt.
In einem Zimmer spielen jetzt Alina und ihr Bruder mit Katharina „Mensch ärgere dich nicht!“. Im Musikraum spielt eine Betreuerin Gitarre und singt, die Kinder summen mit und rasseln im Takt, die Alten lachen. Die weißhaarige Barbara, die ihr Alter auf 55 schätzt, hat eine Enkelin in den USA, also weit weg. „Ich liebe die Kinder“, sagt sie und strahlt. Reserviert wirkende ältere Männer wippen kaum merklich mit dem Fuß. Die Sprache ist unwichtig geworden.
Am Ende dieses Premierenvormittags sind alle zufrieden. „Wir hoffen, dass jetzt viele Einrichtungen für Flüchtlinge und für Pflege die Idee aufgreifen“, sagt Kuchenbecker. Vor dem Musikzimmer stehen zwei ausländische Mütter. „Sie weinen vor Rührung“, sagt Unruh: „Sie haben jetzt das Gefühl, hier willkommen zu sein“.
Kinder wie Alina und ihr Bruder Ajredin sagen, dass es ihnen Spaß gemacht hat. Clownin Rosalore hat ihre rote Nase abgelegt: Es gebe Vorurteile gegen Menschen mit Demenz und gegen Flüchtlinge, sagt sie: „Hier werden die abgebaut.“ (dpa)
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