: Dümpeln tut gut
AM WANNSEE Tanz und Literatur ziehen sich an und stoßen sich ab. Im Literarischen Colloquium versuchten Autori*innen und Tänzer*innen, den Wechselwirkungen auf die Schliche zu kommen
von Astrid Kaminski
Andere Städte haben ja Flussbäder. Mit Stegen, Wiesen, Beachvolleyballstrand zum Beispiel. Und natürlich mit Pontonflößen, die gemütlich vor sich hin dümpeln und auf denen man, entspannt in die Wolken blickend, Wärme tanken kann, zumindest wenn auch die Bombenspringer gerade Pause machen.
Es ist natürlich nicht so, dass Berlin sich in dieser Hinsicht nicht bemühen würde. Nur wie immer muss man eben wissen, wie. Das Wochenendformat „Steptext“, ein von jeweils fünf zeitgenössischen Tänzer*innen und Autor*innen angelegter Parcours, war so pfiffig, sich sein Floß einfach vom Hauptstadtkulturfonds bezahlen zu lassen. Im Fluss liegt es allerdings nicht, sondern im Wannsee vor dem Literarischen Colloquium Berlin (LCB). Und barrierefrei ist der Zugang auch nicht – da wäre also noch dran zu tüfteln.
Zu tüfteln ist auch am Themenkontext. Bei „Steptext“, für das LCB konzipiert von der Kuratorin Sigrid Gareis und dem Zentrum für Bewegungsforschung (FU) unter Leitung von Gabriele Brandstetter, soll es um die Beziehungen zwischen Tanz und Literatur gehen. Das Floß hat sich die Autorin Monika Rinck ausgedacht. Erweitert sie hier die Metapher des Über-Setzers als Fährmann auf den Autor als Flößer? Der würde dann seine Leser zu Wasser lassen, nur um sie mitten im schönsten Gedankenplätschern wieder daran zu erinnern, wer eigentlich den Floßhaken in der Hand hat. Und wo wäre hier der Tanz? Im leisen Wannseewellengang? Egal, das Dümpeln tut gut.
Das Verhältnis von Schrift, Schreiben und Text zu Tanz und Choreografie wurde im letzten Jahrhundert zunehmend wichtig, es ist also höchste Zeit für einen Parcours. Eine Schlüsselfigur ist Rudolf von Laban, der nicht nur die Tanznotation erfand, sondern davon ausgehend gleich auch vom „Schrifttanz“ – als einer Methode, den tanzenden Körper zu kultivieren – träumte.
Unter den zeitgenössischen Choreografen fällt William Forsythe eine wichtige Rolle zu, indem er Tanzbewegungen in semantische Einheiten zerlegte und dadurch neue Möglichkeiten der Kombinatorik und Komposition schuf.
Tanz und Traum
In ihrem Einführungsvortrag zum Symposium von „Steptext“, das dem Parcours drei Monate vorausging, zeigte Gabriele Brandstetter weitere wesentliche Berührungsebenen auf: Etwa die Narration in der Choreografie, sich überschneidende poetologische Verfahren in Literatur und Tanz, die Choreografie als Text und den Text als räumliche Anordnung. Dazu kommt die Anziehungskraft des Gegensätzlichen, das Verhältnis von Flüchtigem und Manifestem, das den Dialog zwischen den Künsten vor allem am Ende des 19. Jahrhunderts beflügelt hat.
Brandstetters Studierende, die den Parcours mit einem Theorieraum versehen haben, haben dieses Verhältnis anhand von Freuds Ausführungen zur Traumarbeit veranschaulicht. Tanz wie Traum werden dem Latenten zugerechnet, die Sprache dem Manifesten.
Diesen Kontext thematisieren auch der Autor und Musiker Thomas Meinecke und der Tänzer-Choreograf Jochen Roller in ihrem Blackbox-Rave zu einem Essay von Jacques Rancière. Darin beschäftigt sich der französische Philosoph mit Stephane Mallarmés Beschreibungen der Lichttänze Loïe Fullers. Statt in schmetterlingshaften Gewändern aufzugehen wie Loïe Fuller in ihren Auftritten, bewegt Roller jedoch wellenförmig eine plakatartig gehaltene Stoffbahn, auf die per Laser Mallarmés Text projiziert wird. Viel bringt das nicht. Der konzeptuelle Gedanke von gleichzeitiger Anwesenheit und Kondensierung des Körpers findet durch die Clubatmosphäre höchstens eine platte Illustration, die Taktung lässt keinen Textsog zu.
Generell wird die Autonomie des Textes auch von den weiteren Versuchsanordnungen wunderlich ignoriert. Tempo und Raum eines (nichtdramatischen) Textes bestimmen eigentlich die Lesenden. Wer ihnen diese Hoheit entzieht, braucht zumindest ein gutes Konzept. Drauflos zu lesen wie die Paare Philipp Enders und Monika Rinck oder Händl Klaus und Philipp Gehmacher, ab und zu durchbrochen von methodisch gemeinten Bewegungen, zeigt vor allem, wie gestelzt es wirken kann, einer sich nicht entfaltenden Bedeutungsebene andere Bedeutungsebenen implementieren zu wollen.
Am besten sind vorerst die reinen Sommerabendwohlfühl-Installationen, Monika Rincks Floß oder Anne Jurens Meditation etwa. Sie hat auf der zum Wannsee abfallenden Uferwiese Decken ausgelegt. Während die Gäste es sich nach Yogagewohnheit bequem machen, liest sie Körperinstruktionstexte, die mal physisch, mal imaginär von den Liegenden nachvollzogen werden, dazu Sonnenuntergang. Vielleicht sollte Kunst in der Sommerpause sowieso eher Urlaubsersatz als -killer sein.
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