: Rennstall für Gourmets
TOUR DE FRANCE Beim Team Bora redet man die etwas dürftigen Ergebnisse schön. Kapitän Dominik Nerz denkt nun in den Bergen nicht mehr nur an die Gesamtwertung
Aus Tarbes Tom Mustroph
Mit einer unüberhörbaren Spur Neid blickten bei der Tour de France Fahrer des französischen Rennstalls Cofidis auf den Küchentruck von Team Bora Argon 18. „Die haben es gut, die haben einen Sponsor, der ihnen so etwas zur Verfügung stellt“, sagte traurig einer der Cofidis-Athleten. Sie müssen Nahrung von der Stange nehmen, während für die Tourabordnung des zweiten deutschen Rennstalls Essen wie Gott in Frankreich angesagt ist.
Die Küche stimmt, die Vorstellungen auf dem Rad reichen indessen nicht ganz an dieses hohe Niveau heran. Sprinter Sam Bennett, der nach einem starken Frühjahr voller Hoffnung in sein erstes Tourabenteuer gestürmt war, konnte weniger oft als erwartet vorn im Finale mitmischen. Der deutsche Kapitän Dominik Nerz lag vor der ersten Bergetappe schon über sechs Minuten hinter dem Führenden Chris Froome und auch schon mehr als vier Minuten hinter dem Zehntplatzierten. Froome ist kein Maßstab für den Allgäuer, zumindest nicht in diesem Jahr. Aber von Platz 10 sollte Nerz laut der Marschtabelle von Teamchef Ralph Denk eigentlich maximal drei Minuten entfernt sein. Dennoch redet sich Denk die Situation etwas schön. „Dominik liegt komplett im Plan“, behauptete er am Ruhetag.
In Rechnung stellen muss man bei Nerz allerdings, dass er beim Massensturz auf der 3. Etappe arg in Mitleidenschaft gezogen wurde. Er zog sich eine Rippenprellung zu. Die Kopfsteinpflasteretappe tags darauf ließ den lädierten Brustkorb auch nicht gerade jubeln. „Bei jedem Atemzug ist es, als wenn dir jemand ein Messer zwischen die Rippen rammt“, beschrieb Nerz drastisch seine Leiden. Das Ganze schlage dann auch „auf die Stimmung, und es macht dann wenig Spaß, Rad zu fahren“, blickte er zurück.
Mittlerweile hat sich sein Körper aber erholt. Auch die Stimmung ist damit deutlich besser geworden. Und Nerz hat wieder Freude daran, sein Team zu führen. „Er ist ein schlaues Kerlchen, er weiß, wie er sich im Rennen zu verhalten hat, und er macht auch klare Ansagen an seine Teamgefährten“, schätzt Denk gegenüber der taz seinen Leader ein. Für den zweiten und den dritten Bergtag in den Pyrenäen, wenn der Organismus die Umstellung vom Ruhe- auf den Wettkampfmodus wieder geleistet hat, erwartet Denk auch erfreuliche Ergebnisse von Nerz. „Ich denke, dass er in den Pyrenäen und den Alpen mit der Unterstützung der Mannschaft unsere Erwartungen erfüllen kann“, meinte der Rennstallchef aus Oberbayern.
Einer, von dem man sich dabei auch einiges erhofft, ist Emanuel Buchmann. Der amtierende deutsche Meister gilt als Klettertalent. Die erste Woche war für ihn ein Durchkämpfen auf fremdem Terrain. „Das war schon ganz schön anstrengend“, räumte er ein. Gefallen hat ihm indes aber der große Publikumszuspruch. Und er ist einer, der sich richtig auf die Berge freut. „Ich hoffe, dass ich da etwas zeigen kann“, meint er.
Das bedeutet in seinem Fall, dass er sich erst einmal nur in der Helferrolle, als Unterstützer von Nerz, profilieren kann. Vielleicht aber auch schon bald auf eigene Rechnung. Denn auch der Kapitän hat bereits seinen Plan B.
„Ich werde die Gesamtwertung nicht aus den Augen verlieren. Aber sobald ich merke, dass ich keine Chance mehr habe, werde ich auf Etappenjagd gehen“, kündigte Nerz am Ruhetag an. Ist sein Rückstand erst groß genug, lässt ihn das Feld auch sicher ziehen.
Eine Wiederholung der erstaunlichen Performance vom letztjährigen Kapitän Leopold König ist nicht sonderlich wahrscheinlich. Der Tscheche wurde am Ende respektabler Gesamtachter. Er hatte vor den Bergen aber auch weniger als eine Minute Rückstand auf die Klassementspitze. König erlag danach den Lockangeboten von Team Sky, und das, obwohl er dort nicht voranfahren darf, sondern sich als Wasserträger für Sir Christopher Froome verdingen muss.
In Boras Küchentruck werden jetzt kleinere Brötchen gebacken. Aber für eine gute Zukunft muss man auch mal einen Schritt zurückgehen, das wusste selbst so ein penetranter Vorwärtsdenker wie Wladimir Iljitsch Lenin.
Ein kleines – und durchaus Hoffnung gebendes – Histörchen schreibt Team Bora schon jetzt: Seit mehr als einer Dekade trägt mit Buchmann bei der Tour de France erstmals wieder ein Kletterer das deutsche Meistertrikot bei der Tour. Der letzte war Andreas Klöden, der sogar Gesamtzweiter wurde, allerdings später in den Freiburger Dopingskandal verwickelt war.
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