Atomwaffen weltweit: Mit Superlasern zur Minibombe

Die Supermächte modernisieren ihre Arsenale. 70 Jahre nach Hiroshima war es noch nie so einfach und so billig, eine Atombombe zu bauen.

Menschen demonstrieren gegen eine Atombombe für den Iran

Wird der Iran zukünftig auch eine Atombombe besitzen? Unter Ex-Präsident Ahmadinejad wurde es befürchtet. Foto: ap

Über 4.300 Atomsprengköpfe stehen weltweit zum sofortigen Einsatz bereit. Fast alle liegen laut dem Jahresbericht des Stockholmer Friedensforschungsinstituts (Sipri) in Bunkern und U-Booten der USA und Russlands, ein paar Hundert in den sieben anderen Atomstaaten. 11.500 weitere sind auf Lager.

Es ist aber altes Eisen aus den 1960er und 1970er Jahren, das da rumsteht. Deswegen haben in den vergangenen Monaten und Jahren die beiden Supermächte erklärt, ihr Arsenal erhalten und modernisieren zu wollen. Über eine Billion Dollar werden die USA in den kommenden 30 Jahren dafür investieren. Der Plan sieht fünf neue U-Boote mit Atombewaffnung sowie 240 neue Interkontinentalraketen vor. Dazu 70 neue Langstreckenbomber, die die B-52-Bomber aus den Zeiten Präsident Kennedys ersetzen sollen.

Russlands Präsident Wladimir Putin sprach im September 2014 von der Entwicklung eines neuen, „guaranteed nuclear deterrent“, also von Waffen, die die Abschreckung garantieren. „Um die Nato-Aufrüstung bis 2015 zu kontern“, so Putin.

Gleichzeitig testen beide Mächte neue Interkontinentalraketen ohne Sprengköpfe. Im Juni dieses Jahres kündigte Putin die Anschaffung von 40 neuen Langstreckenraketen an, die „selbst die fortgeschrittensten Abwehrsysteme überwinden können“.

Was haben die beiden Vorreiter der atomaren Bewaffnung im Sinn? Am 6. August jährt sich zum siebzigsten Mal der erste Einsatz einer Atomwaffe, der Bombe auf Hiroschima. Obwohl „Little Boy“ damals bei Weitem nicht so stark explodierte wie erwartet, starben über 100.000 Japaner. Die genaue Zahl ist umstritten. Am 9. August folgte die Plutoniumbombe „Fat Man“ auf Nagasaki. Sie tötete mindestens 40.000 Menschen.

Die Erhebung der Opferzahl diente aber nicht zur Abrüstung, sondern den Militärstrategen als Legitimation ihrer Abschreckungsstrategie: Nur wer einem atomaren Angreifer glaubhaft mit Vergeltung drohen kann, ist sicher vor einem Erstschlag.

Die neue Welle

Oder wie es US-Präsident und Exgeneral Dwight Eisenhower einmal ausdrückte: „So viele Bulldozer gibt es gar nicht, dass man all die Toten von den Straßen schieben könnte.“

Was also wollen die USA und Russland an der Abschreckung modernisieren? Tariq Rauf, Direktor für Abrüstung beim Sipri-Institut, sagt: „Die Liefersysteme für die Waffen werden modernisiert.“ In der Entwicklung sind Cruise-Missiles mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit. Diese Marschflugkörper mit einer Reichweite von wenigen hundert bis mehreren tausend Kilometern fliegen mit Atomsprengköpfen derzeit wesentlich langsamer. Und mit Hilfe von Laser- und Satellitennavigation soll die Treffergenauigkeit von Interkontinentalraketen auf wenige Meter statt wenige hundert Meter verbessert werden.

Auch Aufträge und Arbeitsplätze in der Rüstungsindustrie spielen eine Rolle bei der neuen atomaren Welle. „Es geht aber auch um den Erhalt von Know-how“, sagt Tariq Rauf. Die Atomtechniker seien meist schon recht betagt. „Junge Wissenschaftler müssen mit interessanten Aufgaben wie der Computersimulation neuer Nuklearwaffen angelockt werden, sonst wird das als geheim eingestufte Wissen nicht weitergegeben.“

Friedensaktivisten betrachten das Szenario besorgt. „Warnung vor einem Atomkrieg ist mehr als aktuell“, betitelt die deutsche Sektion der IPPNW, der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs, ihre Pressemitteilung vom 8. Juli. Die IPPNW weisen darauf hin, dass von den 4.300 einsatzbereiten Bomben 1.300 Stück in höchster Alarmbereitschaft gehalten werden, also innerhalb von Minuten losgeschickt werden können. Und dass die Rüstungsbegrenzungsverträge im konventionellen wie im nuklearen Bereich entweder nicht ausreichen, nicht ratifiziert oder gar aufgekündigt werden.

Dual-use-Forschung

Auch frühere Insider des Atomwaffenkomplexes sind keine Freunde der Arsenale. Mehrere ehemalige US-Außenminister und -Verteidigungsexperten forderten 2007 „Eine Welt ohne Atomwaffen“. Mit immer neuen Atomstaaten wie Pakistan und Nordkorea sei man näher am Atomkrieg denn je und die beiden Atom-Supermächte seien zur massiven Abrüstung verpflichtet.

Diese Forderung wurde in den folgenden Monaten von vielen Verfechtern des Kalten Krieges unterstützt, bis hoch zu Expräsident George Bush senior. Im Jahr 2010 nannten hohe Air-Force-Offiziere die Zahl von nur 311 Sprengköpfen, die zur Abschreckung von Gegnern nötig seien, darunter keine in der gefährlichen sofortigen Alarmbereitschaft. Präsident Barack Obama machte sich das Ziel der Abschaffung der Atomwaffen zu eigen, ebenso der UN-Sicherheitsrat. Konkret passiert ist seither jedoch wenig.

Die Computertechnik und das physikalische Wissen über die Energiegewinnung in Atomkernen schreitet jedoch immer weiter fort. Diverse Länder, darunter Deutschland, können damit theoretisch den Aufbau einer Atombombe und anderer Nuklearwaffen berechnen. Früher hingegen erforderte das eine Serie von teuren und auffälligen Bombentests.

In der physikalischen Grundlagenforschung und in den Labors gab es allerhand spektakuläre Ergebnisse. Von der „Vierten Generation“ von Atomwaffen ist die Rede. Ein Bericht der Inesap, des International Network of Engineers and Scientists against Proliferation, stellt eine ganze Liste von fantastisch klingenden Dingen zusammen: streichholzkopfgroße Antimateriezünder; superschwere Elemente als neuartige Energiespeicher, Nanomaterialien für Miniatombomben in der Größe von Zentimetern, die von keinem Atomtestsperrvertrag erfasst werden. In den Labors existiert manches davon schon, auch wenn es noch weit von einer Anwendung im Gefechtsfeld entfernt ist.

Eine Million Grad

Dass eine solche Anwendung jedoch kommen kann, zeigen die neuen Superlaser: Nach zwei Erfindungen Mitte der 80er Jahre hatte sich die Energie von Lasern im Jahrzehnt danach verzehntausendfacht. Inzwischen gibt es Laser auf Schiffen, Fahrzeugen und Flugzeugen, die Raketen und Drohnen vom Himmel schießen.

Ganze Bündel solcher Superlaser werden genutzt, um auf kleinstem Raum eine Atomfusion bei einer Million Grad hervorzurufen. Das ist für die Kernfusion zur Energiegewinnung wichtig, aber ist eben auch die gleiche Fusion, die in fast allen modernen Kernwaffen genutzt wird. Eine klassische Dual-use-Forschung also, mit militärischen und zivilen Anwendungen. Das Ganze nennt sich Trägheitsfusion, auf Englisch „Inertial confinement fusion“ oder ICF. Ein ähnlicher Effekt kann mit Ionenstrahlen erzielt werden, wie sie das GSI-Forschungsinstitut in Darmstadt weltweit führend erzeugt.

USA, Russland und Frankreich nutzen die Superlaser ganz offen für die Atomwaffenforschung. Die in fingerbreite Hülsen eingeschlossenen Fusionskügelchen sollen dereinst Sprengköpfe mit einer Sprengkraft von einigen Tonnen TNT liefern – bei einem Gewicht von wenigen Kilogramm.

Das ist nur ein Bruchteil einer großen Atombombe, jedoch mit einem weiten Anwendungsfeld: der Traum von Offizieren, wenn sie im Kampf auf einen Bunker stoßen und statt zehn konventionellen Bomben nur noch eine dieser neuartigen ins Ziel bringen müssen. Oder wenn sie einen handgranatengroßen Sprengsatz mit verheerender Wirkung unauffällig deponieren wollen, damit er bei Gelegenheit hochgeht.

Atom ohne Reaktor

Derzeit ist das zwar alles noch Science-Fiction. Grundlagenforschung mit der Laserfusion wird jedoch auch in europäischen und japanischen Laboren betrieben – etwa im ELI, der Extreme-Light-Initiative der EU, am Max-Born-Institut in Berlin und im Cern bei Genf.

Die Inesap nennt diese Forschung in ihrem Report einen „neuen Schub für das Wettrüsten“. Denn die Möglichkeiten, eine Atomwaffe zu konstruieren, werden nicht nur vielfältiger, es wird auch wesentlich weniger spaltbares Material benötigt als bisher. Damit braucht ein Land mit nuklearen Ambitionen der vierten Generation zum Beispiel keine teuren und nicht zu verheimlichenden Atomreaktoren mehr.

Sipri-Mann Rauf erkennt in den neuen Labormethoden vor allem den Vorteil, die Verlässlichkeit der Technik zu verbessern. Er glaubt aber nicht, dass daraus eine ungetestete neuartige Atomwaffe entspringen kann: „Das Militär würde keine Waffe ohne Test akzeptieren“, sagt er.

Auch wenn es so schnell nichts wird mit den Science-Fiction-Atombomben in Miniaturgröße: Schon die etablierten Atomwaffen werden immer schneller, schwieriger abzufangen und genauer. Das erhöht ihre Gefahr und schaukelt die Aufrüstung hoch.

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