Europa in der Krise: I fear Slovenia

Mit einem neoliberalen Sparkurs will Slowenien allein aus der Krise kommen. Nun verlassen gut ausgebildete junge Leute in Scharen das Land.

Am rechten und linken Ufer verläuft die Flaniermeile mit Dutzenden Kneipen und Restaurants. Im Hintergrund die Mariä-Verkündigung-Kirche aus dem 17. Jahrhundert.

Auf den Straßen flanieren Bürgerinnen und Bürger mit Schirmen in der Hand. Wie hier am Ufer des Ljubljanica-Flusses. Foto: dpa

LJUBLJANA taz | Es könnte alles so schön sein in der „schönsten Stadt der Welt“ – so bezeichnet Bürgermeister Zoran Jankovic sein Ljubljana, die Hauptstadt von Slowenien. Wenn nur die Krise nicht wäre.

Aus dem Slowenischen übersetzt bedeutet der Name der Stadt „die Geliebte“, zu K. & K. -Zeiten hieß die Ortschaft Laibach, und die Deutsche Botschaft vor Ort ist bisher anscheinend noch nicht dazu gekommen, diesen Namenswechsel nachzuvollziehen. Sie nennt sich „Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Laibach“. Und sitzt man am Marktplatz im Café Zvedza bei einer Kremsnita, einer dieser köstlichen Cremeschnitten, ist man fast bereit, dem Bürgermeister Glauben zu schenken.

Hoch oben auf dem Berg thront die herrlich restaurierte Burg über der Barockstadt mit ihren schnörkeligen Häusern. Auf den Straßen flanieren Bürgerinnen und Bürger mit Schirmen in der Hand. Ljubljana liegt im Herzen der „Schweiz des Balkans“, durchflossen von der Ljublijanica, an deren Ufern sich Café an Restaurant reiht. Ein Disneyland für Touristen, geschaffen von Bürgermeister Jankovic, in dem weder Nachtbars noch Cevapcici-Buden Platz haben.

Doch das himmlische Stück Kuchen, das just von einer Koreanerin abgelichtet wurde, kostet vier Euro. Viele Slowenen müssen sich einen solchen Luxus derzeit verkneifen. Derweil der Bürgermeister Geld auf seinem Konto hat, dessen Herkunft er der Korruptionsbehörde bislang nicht erklären konnte. Er gilt als Gschaftlhuber und hat eine frappierende Ähnlichkeit mit dem ehemaligen Berliner CDU-Finanzsenator Klaus Landowsky. Von seinen Bürgern wird Jankovic weiterhin geschätzt, weil er die Stadt am Laufen hält.

Rücktritt auf Rücktritt

Slowenien, das kleine Land mit zwei Millionen Einwohnern, in dem beinahe jeder jeden kennt, hat ein Korruptionsproblem. Und Ministerpräsident Miro Cerar hat Mühe, sein Mitte-links-Kabinett zusammenzuhalten - ein Rücktritt folgt derzeit dem anderen. Es geht um Korruption, um Plagiatsvorwürfe. Das einstige EU-Musterland ringt mit den Folgen seiner schwersten Krise seit der Unabhängigkeit im Jahr 1991. Bankenkrise, Immobilienkrise, Schuldenkrise - Slowenien hatte es vor zwei Jahren heftig erwischt.

Doch anders als Spanien oder Griechenland wartete das Land nicht darauf, von der internationalen Troika an die Kandare gelegt zu werden. Stattdessen legte man sich selbst jenen Kurs auf, der einem sonst aufgezwungen worden wäre. Ganz der Musterschüler: Staatliche Betriebe wurden verkauft, die Mehrwersteuer erhöht, und ansonsten hieß es: sparen, sparen, sparen. Die öffentlichen Gehälter wurden eingefroren, Neueinstellungen ausgesetzt. Gespart wird seither auch an der Wohlfahrt, am Gesundheitssystem. Das ganze neoliberale Programm.

Ein Land, auf das Wolfgang Schäuble, der deutsche Bundesfinanzminister, mit Wohlwollen blicken müsste. Und auch „Anschela“, so nennt man hier halb spöttisch die deutsche Kanzlerin beim Vornamen. Unlängst war in der Innenstadt von Ljubljana eine Statue von Angela Merkel zu sehen: in der Hocke, ihre Notdurft verrichtend.

Unklare Umstände

Der Flughafen von Ljubljana ist schon verkauft - an die Fraport AG aus Frankfurt am Main. Und gerade hat die Deutsche Telekom versucht, unter unklaren Umständen das nationale Telekommunikationsunternehmen zu schlucken.

Nicht alle Slowenen sind mit dieser Politik einverstanden. So kursiert derzeit ein You-Tube-Video, das zeigt, wie der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker den slowenischen Ministerpräsidenten Miro Cerar von hinten die Augen zuhält, bevor er ihn kumpelhaft in den Arm nimmt. Oder doch eher väterlich?

Der Ausverkauf des Tafelsilbers, die Sparpolitik und die Unterordnung unter die europäische Austeritätspolitik rufen sowohl die politisch linken als auch die rechten Kräfte auf den Plan. Links träumt man von einer Rückkehr zum jugoslawischen Kollektivismus, rechts von einem Beharren auf nationaler Unabhängigkeit.

Kronleuchter, edles Holz

Miro Cerar, der Ministerpräsident, empfängt in seinem Amtssitz. Schwere Teppiche, Kronleuchter und vor allem edles Holz - Slowenien ist zu sechzig Prozent von Wald bedeckt. Doch eine florierende Holzindustrie gibt es schon lange nicht mehr - stattdessen exportiert man Rundholz nach Österreich. Für viele Slowenen ein Symbol für die Unfähigkeit ihrer Eliten, die den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen.

„Es ist schwierig, eine Koalitionsregierung in Zeiten der Krise zu führen“ sagt Cerar. Er ist Professor für Rechtswissenschaften, ein politischer Quereinsteiger, so wie sein Finanzminister Dusan Mramor, der Professor für Wirtschaftswissenschaften ist. An den Professoren ist es derzeit, den Karren aus dem Dreck zu ziehen, und Miro Cerar erklärt, dass er wisse, wie das geht: „Die letzten Jahre waren von Chaos geprägt, aber jetzt gibt es eine Kernstrategie“. Sie lautet: Verkauf der staatlichen Unternehmen, Reform des Gesundheitswesens und der Pensionskassen.

Cerar spricht darüber, als ob er lieber gar nicht an all das Hauen und Stechen und Geschrei denken möchte, das da auf ihn zukommen könnte. Von dem er teils schon umgeben ist. „Es ist nicht leicht, Leute zu finden. Die Gehälter für Minister sind nicht hoch“, sagt er lakonisch. Und er weiß auch, dass auf einem schwierigen Posten steht: „Die Erfolge unserer Politik sind in den Portemonnaies der Menschen noch nicht spürbar.“

Politische Quereinsteiger

Die Wirtschaft hat sich erholt, es gibt sogar ein kleines Wachstum zu verzeichnen. Doch die Slowenen stehen unter Schock. Egal, mit wem man spricht, die Stimmung ist düster. Es scheint, als hätten die Slowenen das Vertrauen in ihr kleines Land verloren. Eine Regierungsangestellte gibt unter der Hand zu, dass sie ihre Kinder bereits darauf vorbereitet, das Land zu verlassen. Sie sollen in den USA oder in Deutschland studieren, denn in Slowenien, so die Befürchtung, hätten sie keine Zukunft.

Sieht man sich im Land um, erscheint das übertrieben. Die Häuser und Straßen sind in gutem Zustand, auf ihnen rollen auf Hochglanz polierte Neuwagen. Der Slowene braucht ein Haus und einen Neuwagen, so scherzt man abends bei einem Glas Bier, derweil die größte staatliche Brauerei soeben an Heineken verkauft wurde, und genau das hat der Slowene in der Regel auch.

In Slowenien gibt es eine pharmazeutische Industrie, moderne und florierende Automobilzulieferer wie das Hightech-Unternehmen Hidria, das unter anderem Porsche und Mercedes beliefert. Die Tourismusindustrie kann Erfolge verzeichnen und wächst. Haupthandelspartner ist nach Österreich die Bundesrepublik. Es könnte alles so schön sein. Doch das größte Exportgut der Slowenen sind derzeit gut ausgebildete junge Leute, die in Scharen das Land verlassen.

Keine Perspektive

Am Abend trifft sich die alternative Intelligenzia-Szene im Kino Siska, einem ehemaligen Kino, das jetzt Veranstaltungsort ist. Unlängst gab es hier eine Performance mit dem Titel „I fear Slovenia“, eine Verballhornung des offiziellen Tourismusmarketing-Slogans „I feel Slovenia“. Einer von ihnen ist Mihar B., der mit seinem wirklichen Namen nicht in der Zeitung stehen möchte.

Er ist nur zu Besuch in Ljubljana, er lebt längst in Berlin. Der ehemalige Hochschullehrer arbeitet dort in einem Start-Up für 800 Euro. „In Slowenien habe ich für mich keine Perspektive mehr gesehen. Die Korruption, die Unfähigkeit der Politiker. Die Universität zahlt nicht nur schlecht - man muss auch zum Teil monatelang auf sein Gehalt warten“.

Mihar B. erzählt, dass er alles versucht hat. Demonstrieren, politische Projekte anschieben, sich engagieren im Rahmen von Kunst- und Kulturprojekten. Doch irgendwann hatte er keinen Nerv mehr und ging - mit drei Koffern hatte er sich in den Nachtzug nach Berlin gesetzt.

Reservat für Alternativkultur

Sein Bruder verkaufte derweil seine Eigentumswohnung - er muss die Studiengebühren für seinen Sohn bezahlen, Harvard.Egal, wen Mihar B. an diesem Abend trifft, jeder ist schlecht drauf. Und will weg. Nach Berlin oder gleich in die USA. Mihar B. raucht noch einen Joint, zusammen mit seinen traurigen Freunden will er später noch in die Metelkova, ein ehemaliges Kasernenareal, das nun als eine Art Reservat für die Alternativkultur Ljubljanas fungiert, ein Underground-Disneyland im Schatten des Museums für Zeitgenössische Kunst.

Dort, in der „Moderna Galerija“ in Ljubljana, ist derzeit eine große Ausstellung über „Neue Slowenische Kunst“ zu sehen. Sie heißt „From Kapital To Capital“ – jenes Kunstkollektiv aus dem letzen jugoslawischen Jahrzehnt, dessen prominentester Teil die Musikergruppe „Laibach“ ist. Gemäß der Aufassung von NSK sind Nazifaschismus, Kommunismus, Kapital und Konsum alles dasselbe, nämlich nichts anderes als Totalitarismen.

NSK ist nun im Museum. Doch vielen Slowenen erscheinen die Thesen des Künstlerkollektivs derzeit sehr aktuell. Schließlich wurde ihr Land gerade brachial vom Kapitalismus überrollt, angeführt von einem „Key Player“ namens Deutschland. Mihar B. drückt den Joint aus und blickt in die Abendsonne. „Ich steige ab jetzt aus dem Kapitalismus aus“, sagt er. Und lacht. Er kann gar nicht mehr aufhören zu lachen.

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