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Graben nach dem Halbmondlager

Archäologie Vor 100 Jahren wurde in Wünsdorf die erste deutsche Moschee eingeweiht. Wo einst Kriegsgefangene zum „heiligen Krieg“ bekehrt werden sollten, graben nun Studierende nach Resten. Danach entsteht dort ein Flüchtlingsheim

Diese Grabung werden die Studierenden der Archäologie an der FU Berlin so schnell nicht vergessen. Seit Wochenbeginn graben sie in Kooperation mit dem Brandenburgischen Landesdenkmalamt an der Stelle, an der vor genau hundert Jahren die erste deutsche Moschee gebaut wurde. „In Wünsdorf wurde 1915 das sogenannte Halbmondlager für muslimische Kriegsgefangene aus dem Ersten Weltkrieg errichtet“, sagt Archäologe Reinhard Bernbeck, der die Grabungen leitet.

Für Bernbeck ist es ein besonderer Ort, der viel Fingerspitzengefühl verlangt. Denn die Moschee – ein Holzbau, der Platz für 400 Gläubige bot – war keineswegs ein Akt der Humanität. „Hier sollten die Gefangenen damals zum heiligen Krieg gegen Russland, Großbritannien und Frankreich bekehrt werden“, erklärt Bernbeck. Er und seine Studierenden sollen nun nach Resten des Gotteshauses und des Halbmondlagers suchen. Denn nach dem Abriss der Moschee 1930 erinnert außer einer Plakette und der „Moscheestraße“ nichts an die Geschichte der muslimischen Gefangenen des Deutschen Reichs im Ersten Weltkrieg.

„Bislang sind wir nur auf Spuren der sowjetischen Zeit und der Nazizeit gestoßen“, dämpft Bernbeck die Erwartungen. Noch bis zum 24. Juli wird die Grabung dauern. Dann soll auf dem Gelände, das bis zur Wende von der Sowjetunion genutzt wurde, ein Containerdorf für Flüchtlinge errichtet werden. Ob beides – Kriegsgefangenenlager und Flüchtlingsunterkunft – zusammenpasst, will Bernbeck nicht bewerten. „Es gibt in Wünsdorf eine Bürgerinitiative gegen die Flüchtlinge. Vor deren Karren werden wir uns nicht sperren lassen“, erklärte der Archäologe. Für ihn stellt sich ein anderer Zusammenhang her. „Hier wurde erstmals der Dschihad in Deutschland gepredigt, und nun kommen Menschen hierher, die vor ihm geflüchtet sind.“

Dass die erste Moschee Deutschlands in Wünsdorf gebaut wurde, geht auf den deutschen Verbündeten, das Osmanische Reich, zurück. Muslime, auch wenn sie im Dienste Frankreichs und Englands gedient hatten, sollte das Recht auf freie Religionsausübung gewährt werden, betonte damals der Mufti von Istanbul. Der Aufruf zum Dschihad aber wurde ein Rohrkrepierer. Von den 16.000 Insassen erklärten sich nur 2.000 bereit, erneut in den Krieg zu ziehen.

Die anderen mussten sich dagegen rassistische Untersuchungen gefallen lassen. Um die Überlegenheit der Deutschen zu dokumentieren, wurden die Kulturen und Sprachen der ­Insassen von Ethnologen und Linguisten erforscht.

Uwe Rada

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