Rausschmiss, als Rücktritt getarnt

GENERALS-STURZ

Das Ende kam dann doch sehr plötzlich. Hamburgs Generalstaatsanwalt Lutz von Selle werde zum 1. Oktober „auf eigenen Wunsch“ in den Ruhestand treten, teilte am Dienstag Justizsenator Till Steffen (Grüne) ohne ein Wort des Dankes oder Bedauerns mit. Dieser als Rücktritt verkaufte Rausschmiss des 63-Jährigen lässt die örtliche Staatsanwalt selbst aufatmen: Der Abgang des als autoritär und selbstherrlich geltenden Chefs sorgt dort für keinerlei Wehmut.

Letztlich stolperte Lutz von Selle, nicht unpikant, über Gregor Gysi: Ein ermittelnder Staatsanwalt weigerte sich vor Monaten, gegen den Fraktionschef der Linken im Bundestag Anklage wegen falscher eidesstattlicher Versicherung zu erheben. Gysi hatte in einem anderen Verfahren mögliche Stasi-Verstrickungen unter Eid bestritten. Hardliner von Selle wies den Staatsanwalt an, dennoch Anklage zu erheben; der aber weigerte sich erneut: Er remonstrierte, seine damit verbundene förmliche Beschwerde landete auf dem Tisch von Senator Steffen, der sie persönlich tagelang prüfte – und nun eine Entscheidung traf gegen den Mann, den er selbst einst geholt hatte.

Am 1. November 2009 berief Steffen von Selle ins Amt. Er sei fachlich kompetent und zeige „ein besonders starkes persönliches Engagement“, begründete der Grüne damals seine Wahl. Dieses Engagement führte in der Staatsanwaltschaft allerdings bald zu einem „Klima der Angst“, wie Eingeweihte berichten. Selbst aus nichtigen Anlässen zitiere von Selle Untergebene gern zu „lautstarken normverdeutlichenden Gesprächen“ in sein Chefbüro, Staatsanwälte berichten hinter vorgehaltener Hand von „unangemessenen Maßregelungen“.

Irgendwann, so weiß Volkes Mund, ist das Maß eben voll. Jetzt eben bei von Selle: nach sechs Jahren als Hamburgs Chef­ankläger. Im Namen des Volkes. smv