Steinwürfe auf Vucic in Potocari

Srebrenica Bei der Gedenkfeier auf dem Friedhof wird der serbische Ministerpräsident mit Steinen und Flaschen beworfen. Bosniaken verurteilen Angriff als antislamisch

136 Särge identifizierter Opfer wurden am Samstag in Potocari neu zu Grabe getragen Foto: Stoyan Nenov/reuters

aus Sarajevo Erich Rathfelder

Wütende Demonstranten haben den serbischen Ministerpräsidenten Aleksandar Vucic am Samstag von einer Gedenkzeremonie zum 20. Jahrestag des Massakers von Srebrenica vertrieben. Der Politiker wurde bei einer Beisetzung auf dem Friedhof im bosnischen Potocari mit Flaschen und Steinen beworfen.

Zehntausende Menschen hatten sich dort versammelt, um an der Beerdigung der Überreste von 136 Opfern des Massakers teilzunehmen und den Getöteten ihren Respekt zu erweisen. Am 11. Juli 1995 waren Truppen der bosnischen Serben in die UN-Schutzzone Srebrenica eingefallen und hatten in den Tagen darauf 8.000 muslimische Jungen und Männer hingerichtet. Mehr als tausend der Opfer gelten weiter als vermisst. Der Angriff auf Vucic wurde von serbischen Medien sogleich als Angriff auf das serbische Volk eingestuft.

Der Vorfall überlagerte die Forderung der bosnischen Opferverbände an Serbien, den Mord an 8.372 Männern und Jungen durch serbische Soldaten als „Genozid“ anzuerkennen und damit den Weg der Versöhnung zu beschreiten.

Die Veranstalter, so der Bürgermeister von Srebrenica, ­Da­zamil Durakovic, bedauer­ten den Vorfall und erklärten, Leute aus Srebrenica hätten sich nicht an dem Protestakt beteiligt.

Das Oberhaupt der bosnischen Muslime, der Reis-l-ulema Husein Kavazovic, beruhigte die Menge und erklärte, solche Akte seien gegen die ­Toleranz und die Würde gerichtet, die vom bosnischen ­Islam als Werte an sich verteidigt würden.

Die Stimmung gegenüber ­Vucic war bei der Trauergemeinde und bei dem bosniakischen Bevölkerungsteil in Bosnien und Herzegowina schon im Vorfeld getrübt. Denn Vucic hatte nichts unversucht gelassen, Russland dazu zu bewegen, eine von Großbritannien eingebrachte Resolution im Weltsicherheitsrat über Srebrenica zu blockieren.

Die Briten hatten den Weltsicherheitsrat aufgefordert, den Genozid in Srebrenica anzuerkennen. In der Resolution wird Serbien zudem aufgefordert, die Ereignisse in Srebrenica in die Schulbücher in Serbien und der serbischen Teilrepublik aufzunehmen. Russland legte am letzten Mittwoch ein Veto ein.

Mehr als 1.000 der Opfer von Srebrenica gelten auch weiterhin als vermisst

Weiterhin erregte ein über das Internet verbreitetes Video die Gemüter, das Vucic bei einer Rede während des Krieges im serbischen Parlament zeigt. Er fordert in dieser Rede, der Tod eines Serben müsste mit dem Tod von 100 Muslimen vergolten werden. Vucic gehörte zu den radikalen serbischen Na­tio­nalisten und diente während des Krieges dem Milosevic-­Regime, bis er 2008 damit begann, sich ein neues Image zuzulegen.

An dem Totengedenken nahmen zahlreiche Staats- und Regierungschefs aus der Region sowie viele Minister aus Westeuropa teil. Neben dem früheren US-Präsidenten Bill Clinton und der ehemaligen Außenministerin Madeleine Albright war auch der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu in die Gedenkstätte gekommen, in der bisher 6.241ermordete muslimische Jungen und Männer beerdigt wurden. Serbisches Militär und Paramilitärs hatten das schwerste Kriegsverbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg verübt.

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