heidis klumpen von ILKE S. PRICK:
„Da“, quietscht meine Freundin und hält mir eine Zeitung unter die Nase, so dicht, dass ich gar nichts mehr sehe. „Aua“, brülle ich folgerichtig, denn mit „gar nichts“ waren auch die sechs Cocktailtomaten gemeint, die ich in mühevoller Kleinarbeit in Achtel schneiden wollte. Nun ist ein Stück Fingerkuppe mit dabei. Mist aber auch.
„Schau mal, wie süß!“, blubbert meine Freundin ungerührt weiter, während ich den blutenden Finger ablecke und mich auf die Suche nach dem Wodka mache. Irgendwas muss man ja tun zur Desinfektion, falls die Tomaten Tollwut hatten. „Was is’n daran süß?“, nuschele ich genervt, mit Blick auf die Zeitung, und frage mich so ganz nebenbei, warum mein Arzt mir ständig Eisenpräparate aufschwatzen will. Bähhh! Es schmeckt jedenfalls nicht so, als ob ich das nötig hätte. Egal. Der Wodka, zwei Gläser – die Erste Hilfe kann beginnen.
„Kuck doch mal genau“, juchzt meine Freundin und deutet mit verklärtem Gesichtsausdruck auf einen blonden Heliumballon in schwarzer Begleitung. „Ja und?“, entgegne ich desinteressiert, denn was kümmern mich blonde Ballone, wenn ich halb verblutet vor wichtigen Fragen stehe: Zuerst den Finger ins Glas und danach den Wodka noch trinken? Oder das erste Glas auf ex und dann den Finger in den Nachschlag? Oder beides auf einmal in den Mund, bis der Schmerz nachlässt? So einfach ist das mit dem Desinfizieren nicht. Ich weiß genau, warum ich nie Medizin studiert habe.
„So schwanger war sie gerade noch“, sagt meine Freundin und grapscht über den Tisch, nachdem ich noch ein drittes Glas geholt habe. Für sie, für mich, für den Finger. „Jetzt ist das Kind da, und in vier Wochen macht sie schon wieder Aufnahmen für Dessous.“ – „Na dann Prost!“, sage ich mehr zu meinem blutenden Anhängsel, das im Wodka planscht, als zu meiner Freundin und stelle mir vor, wie das wohl aussehen mag: Heidi Klum mit Stilleinlagen im roten Spitzen-BH und Schwangerschaftsstreifen überm String. Solche Fotos wären doch wirklich mal was für die Sache der Frau. Dann bräuchte auch ich nie wieder den Bauch einzuziehen oder mir wie jetzt die Mühe machen, einhändig zu den Cocktailtomatenachteln noch eine Viertelmöhre in kleinste Teile zu zerlegen, damit es so aussieht, als wäre das auf meinem Teller eine exquisite Nouvelle-Cuisine-Mahlzeit und keine Rohkostdiät.
„Was grinst du denn so?“, fragt meine Freundin irritiert. „Eine schöne Vorstellung“, seufze ich, „wenn endlich wabbeln dürfte, was wabbeln wollte, und wir dabei alle einfach nur auf Heidi Klum verweisen könnten.“ Ich schwelge in Gedanken an meine befreiten Speckröllchen. „Naja“, bremst mich meine Freundin, „das Gleiche haben sich wohl die von der Zeitung auch gedacht und gefragt, wie das denn so wäre mit Babyspeck und Strapsen. ‚Kein Problem!‘, hat da die Heidi geantwortet, die Bilder würden eh retuschiert werden.“
„Retuschiert, soso“, murmle ich und ziehe meinen Finger aus dem Wodka. Er sieht blass aus und betrunken. „Geschäftstüchtig ist sie aber nicht“, schiebe ich nach einer Weile hinterher. Meine Freundin schaut fragend. „Ich jedenfalls fände Bildbearbeitungsprogramme à la Klum wesentlich rentabler als irgend so’n blödes Fitnessbuch.“
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