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Geruch nach Südfrankreich

KUNST In der Kunsthalle Baden-Baden zeigt die französische Künstlerin MayaSchweizer ihre aufwendige Videoinstallation „Der sterbende Soldat von Les Milles“

Ansicht von Maya Schweizers  Installation „Der sterbender Soldat von Les Milles“  Foto: Kunsthalle Baden-Baden

Der Lärm eines vorbeifahrenden Zuges dröhnt in den Ohren, sämtliche Personen im Foyer der Kunsthalle Baden-Baden zucken für einen kurzen Augenblick zusammen, bevor wieder zur Tagesordnung übergegangen wird. Der Lärm dringt aus einem Nebenraum, in dem die französische Künstlerin Maya Schweizer ihre aufwendige Videoinstallation „Der sterbende Soldat von Les Milles“ zeigt. Heller, feiner Sand bedeckt den Boden des Raumes vollständig, eine Boulekugel liegt dort wie vergessen. Der Geruch nach Salz und Südfrankreich hängt in der Luft. Unaufgeregt ragt eine Holzkonstruktion aus dem Sand, über die eine Leinwand gespannt ist, auf der ein 13-minütiges Video läuft, entstanden in der Kleinstadt Les Milles bei Aix-en-Provence.

Die erste Einstellung fängt ein sonnenbeschienenes Haus ein, an dem ein Schild mit dem Stadtnamen prangt. Langsam wandert die Kamera seitwärts, zieht über die Schienen neben dem Haus – offensichtlich das Bahnhofsgebäude der Stadt –, wandert weiter zu einem ziegelfarbenen Gebäudekomlex. So unprätentiös und nichtssagend diese Kamerafahrt wirkt, kratzt sie doch an einer hochdramatischen Geschichte: Bei dem Gebäudekomplex im Ortskern von Les Milles handelt es sich um eine ehemalige Ziegelei.

Diese diente während des Zweiten Weltkriegs zunächst als Internierungslager für sogenannte „feindliche Ausländer“, also Deutsche, die vor dem NS-Regime geflohen waren. Schönberg war dort interniert, Max Ernst, Lion Feuchtwanger, Golo Mann, Franz Hessel, Hans Bellmer, um nur einige zu nennen. Nach der Kapitulation Frankreichs wurden in Les Milles’Ziegelei, die im vom Vichy-Regime kontrollierten Teil des Landes lag, Juden interniert.

Die ersten Gefangenen

Die ersten Gefangenen waren badische Juden, die der Gauleiter Robert Wagner nach der Kapitula­tion Frankreichs zusammentreiben und über die französische Grenze schicken ließ. Später gingen von Les Milles Deportationszüge in den Osten. Schweizers thematische Auseinandersetzung mit dem Holocaust sollte nicht überraschen. Schließlich ist sie Französin mit deutschem Vater, deren jüdische Großmutter nur knapp der Ermordung durch die Nazis entging – ein Kapitel der Familiengeschichte, das die ­Künstlerin in ihrer älteren Arbeit „Passing Down, Frame One“ bereits erzählt hat.

All dies bildet das Hintergrundrauschen für Maya Schweizers Filminstallation. Der eigentliche Gegenstand des Film ist, wie eine Kunsthistorikerin über Maya Schweizer schrieb, „im Bild meist das Abwesende“. Stattdessen zeigt sie die meiste Zeit boulespielende Männer auf dem Dorfplatz, der nach dem Datum des Kriegsendes benannt ist und gegenüber der Ziegelei liegt, am Chemin des Déportés – dem Weg der Deportierten.

Zentral auf diesem Place du 8 Mai steht ein Kriegerdenkmal, das einen steinernen Soldaten im Kampf darstellt. In einer zwingenden Dramaturgie gibt die Künstlerin allmählich ihren ruhigen Rhythmus auf und schneidet Aufnahmen des Soldatendenkmals schnell hintereinander, sodass der Soldat aus Stein plötzlich zu leben scheint. Gemeinsam mit dem Lärm des nahe gelegenen Flugplatzes und dem Aufeinanderkrachen der Boulekugeln ergibt dies eine bedrohliche Schützengrabensituation, die mit den Mitteln der Montage aus dem idyllischen Ortskern in der Provence gelöst wird.

Ihre Vorgehensweise erinnert dabei stark an den sowjetischen Filmemacher und Theoretiker der Montage, Sergei Eisenstein. Ex­plizit zitiert sie die berühmte Szene aus dessen Film „Panzerkreuzer Potemkin“, in der Aufnahmen von Löwenskulpturen so montiert sind, dass der Betrachter glaubt, der Löwe erhebe sich.

Taktile Kameraarbeit

Mit dieser Erweckungsszene lässt Schweizer ganz direkt die Vergangenheit in die Gegenwart einbrechen. Meist aber scannt sie mit taktiler Kameraarbeit zufällig gewählt scheinende Orte ab, die dann als historisch stark gesättigte Räume wahrnehmbar werden. Orte, an denen historische Narrative übereinanderliegen, Brüche offen zutage treten und Vergangenheiten in die Gegenwart hineinragen. Sie arbeitet dieses Nebeneinander verschiedener Zeitebenen heraus und bricht damit auch unser lineares Zeitverständnis auf, das nichts so treffend symbolisiert wie der rieselnden Sand im Stundenglas. Dieser Sand, den wir im Film sehen als Untergrund des Boulespiels und des Lagers, wo die Häftlinge ihre Namen in die Ziegel geritzt haben.

Er knirscht unterm Schuhwerk, dieser Sand in Baden-Baden, 70 Jahre nach Kriegsende. Auf der Leinwand rast der Zug vorbei und einen fröstelt – so berührend holt „Der sterbende Soldat von Les Milles“ die Erinnerung zurück ins Bewusstsein. Milan Fleissgarten

Bis 19. Juli, Kunsthalle, Baden-­Baden

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