Die Stars warten im Nebensaal

JUGEND Schweißgetränkt unterwegs aufder Jugendmesse „You“ unterm Funkturm

Nach dem Glutofen S-Bahn sind die kühlen Messehallen ein Geschenk der Klimatechnik. Allerdings stellt sich schnell ein anderes Problem ein: Der schweißgetränkte Hemd­rücken trocknet nicht, sondern hängt dem Reporter als eisiger Lappen im Rücken. Hätte er nur an ein Ersatzshirt gedacht!

Die jungen Menschen, die am Wochenende doch die Stände der Jugendmesse „You“ in großen Trauben belagern sollten, scheinen vernünftiger zu sein: Offenbar sind sie gleich ins Columbiabad weitergefahren. Jedenfalls sind sie nicht in der „Karrierehalle YOUr jobaktiv“, der „bunten und lebendigen Bildungslandschaft, in der sich alles rund um den Start ins Berufsleben und um nachhaltige Bildungsangebote dreht“ (O-Ton „You“). Nicht bei der Innung Sanitär Heizung Klempner Klima, nicht bei der Polizei und auch nicht am Glücksrad des Abgeordnetenhauses, wo man vermutlich Broschüren gewinnen kann.

Selbst bei LSVD und pro familia herrscht tote Hose, dabei haben die eine Box mit Löchern für die Hände, in der man ausprobieren kann, wie es ist, im Dunkeln ein Kondom über einen Holzpenis zu stülpen. Nein, bei der Hitze ist die Jugend einfach mal chillen.

Schon eine Halle weiter zerfließt die Theorie wie Eis im Sonnenschein. Hier sind sie, zumindest eine ganze Menge, 2.000 oder mehr. Sie stehen geduldig Schlange zwischen Absperrgittern und Ordnern – es ist die Halle mit den YouTube-Stars.

Älteren Lesern, die noch mit Fernsehen aufgewachsen sind, sei erklärt: YouTube-Stars sind Moderatoren ihrer selbst, sie laden Videos ins Netz, in denen sie die Welt erklären, Filme parodieren, oder eine „Eklige Asia-Food Challenge“ ausrufen. Manche sind sehr erfolgreich damit, sie verdienen echtes Geld und nicht zu knapp. „Die Außenseiter“ heißen sie, oder „JokaH Tululu“.

Ihre Fans heißen unter anderem Rezzan, Canan und Gökçe, drei Mädchen um die 14, die sich gerade zum dritten Mal angestellt haben, um Selfies mit ihren Stars zu machen. Ja, sagen sie, das dauert schon so eine Stunde, aber es lohnt sich. Sie lachen freundlich über die Naivität des Reporters, der sie fragt, ob sie auch die „Lochis“ mögen. Ha! Vermutlich total 2013, diese Freaks.

Es gibt noch eine andere gut gefüllte Halle auf der „You“, aber auch hier geht es nicht um Jobs, sondern um Moves: Bei der Berliner Streetdance-Meisterschaft tanzen Schülercrews mit Namen wie „New Limits“ oder „Funky Stylz“ zu sehr, sehr fetten Beats, wie man heute so sagt.

Nicht nur Netz und Mucke

Tief ist sie gefallen, die Berliner Jugend: kein Bock auf Arbeit, nur Internet und Mucke. Aber so stimmt das auch nicht – es gibt ja noch die Games-Halle mit einer Armada von Flippern, elektronischen Gadgets, aber auch ein paar Oldschool-Spiele wie Tischtennis und Schach.

Den Eventpool im Sommergarten spart sich der Reporter, schließlich ist er jetzt auf die künstliche Kühle eingegroovt. Stattdessen setzt er sich auf einen der überdimensionalen Holzscheite aus Schaumstoff, die auf neongrünem Kunstrasen ums gläserne NRJ-Studio drapiert sind

Der Moderator mit den Locken, Basti heißt er, textet drei Kids zu, die sich in den Glaskasten verlaufen haben und sich, zumindest ein ganz winziges bisschen, für das Berufsbild „Radiomoderator“ interessieren: „Also zum Thema reich werden“, erklärt Basti, „da muss ich sagen, bin ich noch nicht so lange dabei, ich muss also noch Urlaub in Griechenland machen.“ Die Kids lachen nicht.

Basti erklärt ein bisschen seine Moderationssoftware, dann übernimmt ein älterer Kollege mit ohne Haare und quetscht die Jugendlichen ein bisschen aus. „Was möchtest du werden, Curly? Maskenbildnerin? Soso.“ Timo möchte Buchhalter werden, sagt er, sehr leise. Der Moderator gluckst. „Und du?“, fragt er die dritte, „Sprachtherapeutin für deinen Freund Timo?“

Das Hemd ist endlich getrocknet. Claudius Prößer