piwik no script img

Eine Stufe namens Lampedusa

INTERVENTION Im Altonaer Museum in Hamburg mischen sich Arbeiten polnischer und deutscher Künstler unter die Exponate – und bringen eine Prise Gesellschaftskritik mit

von Petra Schellen

Wie peppt man ein als hausbacken verschrieenes Museum auf, das man nicht „Heimatmuseum“ nennen möchte, obwohl es genau das ist? Genau, man arbeitet mit der Brechtschen Verfremdung, streut fremde, auf den ersten Blick diametral entgegengesetzte Exponate in die Sammlung, damit der Besucher Gelegenheit hat zum Staunen und Reflektieren darüber, was das alles wohl bedeuten soll. Merkt er nichts, nennt man das Integration, schreckt er hoch – gelungene Provokation.

Gut geeignet hierfür ist – das zeigt die aktuelle Ausstellung – das Altonaer Museum in Hamburg. Es sollte vor fünf Jahren wegen vermeintlicher „Verstaubtheit“ geschlossen werden. Dagegen protestierten überraschend viele Menschen, woraufhin der damalige Kultursenator die Idee zurücknahm und bald auch selbst nicht mehr im Amt war. Mit ihm übrigens der ganze CDU-Senat.

Inzwischen wird das Altonaer Museum modernisiert, die Exponate etwas adretter aufbereitet; im Hof entsteht eine zeitgemäße Gastronomie, damit man sich erholen kann von all den Bauernhaus- und Schiffsmodellen.

Die Bauernkate zum Beispiel, im historisch korrekten Halbdunkel gehalten und von eben jener Gastronomie befreit, ist jetzt nett aufgeräumt, und zunächst bemerkt man gar nicht die sieben kleinen Dreibein-Tischchen davor, auf die die Künstlerin Julita Wójcik kleine, aus Pechdraht gehäkelte Plattenbauten aus dem Polen der 1970er-Jahre gesetzt hat. „Siedlung zu Ehren des 30jährigen Bestehens der Volksrepublik Polen“ heißt die Arbeit. Sie spielt darauf an, dass diese Wohnblocks einst der ganze Stolz des polnischen Realsozialismus waren.

Dabei sind sie mangels Devisen über das provisorisch-abtörnende Graubraun und kahle Beton-Treppenhäuser nie hinausgekommen. Und so etwas ausgerechnet aus Pechdraht zu häkeln, nach dem Motto „Ich strick bzw. oder häkel mir einen Sozialismus“: Diese Verzwergung ist der denkbar ironischste Umgang mit der einstigen realsozialistischen Propaganda. Die kleine Installation ist Teil der Ausstellung „Tücken“, die als Teil der Altonale derzeit im Altonaer Museum steht.

Partnerstadt des diesjährigen Stadtteil-Kulturfestivals ist Gdansk, das einstige Danzig. 15 polnische und deutsche Künstler haben die Kuratoren des Altonaer Museums und der Städtischen Galerie Gdansk für die Schau zusammengeholt, um einen Dialog der Exponate mit zeitgenössischer Kunst zu initiieren und das Museum zu beleben.

Trotzdem bleibt die Geschichte nicht außen vor – besonders, wenn es um Gdansk geht, von dessen Lenin-Werft 1980 Arbeiterstreiks ausgingen, die bald auf die ganze Bevölkerung übergriffen, weil man die steigenden Preise und die leeren Versprechen der Regierung nicht mehr dulden wollte. Letztlich war dies der Anfang von Perestrojka und dem Ende des Realsozialismus in den einstigen Ostblock-Staaten. Maciej Salamon hat das auf seine Art verarbeitet und für sein „Werftherbarium“ wild gewachsene Pflanzen vom Gelände der Leninwerft in Glas mumifiziert und zu einer Pflanzensammlung zusammengeführt.

Naturwissenschaftlich korrekt, hat er gleich eine Lupe dazugelegt, damit man die feinen Strukturen besehen kann. Ja, was für Pflanzen hat diese Werft, haben diese Streiks außer dem Arbeiterführer und Solidarnosc-Gewerkschaftsgründer Lech Walesa eigentlich hervorgebracht? Und hat sich die ganze Mühe gelohnt, geht es jetzt besser im neuen kapitalistischen System, das Gleichheit gar nicht erst postuliert?

In ein poetisches Ikarus-Video hat Ania Witkowska diese Fragen gegossen, in die Frage nach Vision und Pragmatismus: In einem Video-Bullauge schwebt ein Paraglider, im anderen die Wogen des Meeres, in das er – oder man selbst? – gleich stürzen wird. Daneben ein Schiff aus Altonaer Museumsbeständen, in Sichtweite der Galionsfigurensaal; über Galionsfiguren der Geschichte ließe sich hier gut reflektieren.

Auch über Interventionen, die zwar nicht welt-, dafür aber stadtpolitisch und ökologisch relevant sind, reflektiert die Schau. Die Hamburger Galerie für Landschaftskunst hat nämlich die sieben Kilometer, auf denen sich die Elbe in zwei Arme teilt, die man zu Schifffahrtstraßen ausbaute, zur „Freien Flusszone Süderelbe“ erklärt. Sie könnte, so der Alternativvorschlag der Künstler, schöner Erholungsraum sein.

Gehäkelte polnische Plattenbauten als ironisches Zitat der 1970er-Jahre

Das entsprechende Foto samt Karte haben die Künstler auch gleich in eine Museumsvitrine gelegt. Das Thema passt tatsächlich gut in das Museum, das sich auch mit der Schiffs- und Fischergeschichte der einst preußischen Stadt Altona befasst, die die Nazis 1937 Hamburg einverleibten. Dass aber neben der Vitrine ein Ständer mit Postkarten steht, verwirrt. Darf man die mitnehmen? Ist das eine Filiale des Museums-Shops? Und was soll man anfangen mit dieser Propaganda für ein künstlerisches Modell, das es nie in die Realität schaffen wird?

In der Tat: Diese Ausstellung spiegelt einem die eigenen Konditionierungen in puncto Museumsbesuch, rüttelt an den Vorstellungen von Nicht-Anfassen, letztlich: vom Heiligen Exponat.

Und sie lädt ein zum Philosophieren über George Orwells „Farm der Tiere“, und das sinnigerweise in einer Kammer der erwähnten Bauernkate: Der polnische Künstler Arti Grabowski hat sich selbst im Schweinestall gefilmt, genauer: in einem Festmahl gemeinsam mit Schweinen. Grabowski sitzt im Anzug vor gedecktem Tisch im Stall, bietet den Schweinen jovial einen Wodka und zu essen an, und die fackeln nicht lange. Das Fest wird wilder, und am Schluss liegen alle benebelt am Boden herum. „Und man konnte nicht mehr unterscheiden, wer Schwein war und wer Mensch“, schreibt George Orwell in seiner Parabel auf totalitäre Staaten. Übrigens, ist es ein Zufall, dass das Video „Oktoberfest“ heißt? Sollte das eine winzig kleine Kapitalismuskritik sein?

Vielleicht; auch Sigrid Sandmann übt Gesellschaftskritik. Auf die Beischläge in Gdansk bezieht sich ihre Arbeit „Próg_Schwelle“. Beischläge sind terrassenartige, ein paar Stufen höher gelegte Vorsprünge, die zum Hauseingang führen. Sie sollten seit dem 14. Jahrhundert Häuser des Ostseeraums vor Überflutung schützen. Von Flut – und dem Risiko massenhaften Ertrinkens – sprechen auch die deutschen und polnischen Begriffe auf den Stufen der Museumstreppe, die die Künstlerin nutzt. „Erwartung, fremd, Fetisch, Übergang, Toleranz, Migration, Mittelmeer, Drama, Lampdedusa“ stehen auf den Stufen. Und wenn man von unten nach oben liest, ergibt es eine durchaus schlüssige Reflexion über Transit und Hoffnung, über Mut, Verzweiflung und über eine Geschichte, deren Ende niemand kennt.“

Die Ausstellung „Tücken. Przewrotnosc“ ist bis 11. Oktober im Altonaer Museum zu sehen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen