piwik no script img

Alles ist so menschlich

WETTBEWERB Wirklich schlechte Texte, wirklich gute Texte: Bei den 39. Tagen der deutschsprachigen Literatur ist es gerade der Wechsel zwischen Ermüdungserscheinungen und Höhenflügen, der süchtig macht

Dauerndes Rascheln, Hitze im Saal - und trotzdem das Gefühl, völlig zurecht in Klagenfurt zusammen zu hocken  Foto: Johannes Puch/orf

Aus KlagenfurtAnnabelle Seubert

In der Stadt, in der es losgehen soll, in der man Spuren legt für den literarischen Nachwuchs und die Richtungen, die er einschlägt – in dieser Stadt stehen überall Einfahrt-Verbotsschilder. Durch Klagenfurts Straßen bewegt man sich wie durch die Gänge eines Labyrinths: linksrum, linksrum. Doch nicht, Einbahn. Geht nur rechts. Geht vorbei an Schaufenstern, vorbei an Eiscafés und Friseursalons.

Klagenfurt ist so edel wie sein Ruf. Die Häuser verputzt, die Gassen gepflastert, man badet im Wörthersee, trinkt Bier am Lendhafen und irrt auf dem Rad – im Zickzack, von Verbotsschildern geleitet – durch die 39. Tage der deutschsprachigen Literatur.

Was ganz gut passt, Gedanken irren schließlich auch, bevor aus ihnen ein Text wird. Und nur wenn ein Text wirklich fertig geirrt hat, will man ihn haben, hier in Kärnten. Als Kandidaten für den Bachmann-Preis.

Zehn Autorinnen und vier Autoren waren dieses Mal eingeladen, aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Damit gab es mehr Frauen denn je, es gab wahrscheinlich auch mehr Rummel als seit Langem, den Ronja-von-Rönne-Rummel um ihre Einladung, ihren Roman, ihren Schmollmund und sie selbst. Die erhöhten Sicherheitsvorkehrungen im ORF-Landesstudio, wo die Schriftsteller live um die Wette lesen, hatten mit von Rönne allerdings nichts zu tun. „Dass wir jetzt einen Sicherheitsbeauftragten haben“, hat Backstage eine Mitarbeiterin gesagt und gelacht, „ist wegen Germany’s Next Topmodel“. Dass ein Finale wie bei der Klum-Show während der Sendung wegen einer Bombendrohung abgebrochen wird: So was will niemand riskieren.

Zumal jetzt, ein Jahr vor dem 40. Jubiläum, das es zu erreichen gilt – trotz prekärer Finanzlage und sich haltender Gerüchte, der ORF müsse sparen und wolle den Wettbewerb nicht mehr ausstrahlen. Selbst nachdem bei der Eröffnungsfeier am Mittwoch allen Geldgebern brav gedankt worden war, klang die Bürgermeisterin wie Klagenfurts oberste Kriegerin: Natürlich stehe ihre Stadt „absolut hinter dem Preis“. Und wenn das bedeute, es gäbe „heuer“ eben Butterbrote statt Buffet: bitte.

So viel über diese Butterbrote im Anschluss tatsächlich hergezogen wird – die Literaturkritik beeinflussen sie nicht. Eher sanft war die Jury insgesamt, nicht sonderlich provokationslustig, obwohl da sieben Menschen mit Meinung saßen. Andererseits ist es gerade der Wechsel zwischen Höhenflügen, Ermüdungserscheinungen und Rumgedruckse, der diese 3-Sat-Endlossendung unbemerkt zur Sucht macht: Alles ist so menschlich. Die sind halt auch nicht immer super drauf. Die haben halt auch nicht immer zu allem was zu sagen. Ein dauernd raschelndes Publikum und die Hitze im Saal nerven eben auch mal.

Über die Woche spielt sich die Jury trotzdem ein: Klaus Kastberger, Grazer Literaturprofessor und zum ersten Mal dabei, der wunderbar normal sprechen kann und es selbst mag, wenn Texte „eine Schnauze“ haben, sich deshalb aber auch anzuhören hat, „der berühmteste Affe mit dem berühmtesten Monolog“ zu sein. Der Germanist Juri Steiner, der mit Charme vieles und nichts sagt und skurrile Einfälle irgendwie sammeln muss. Oder die Kritikerin Meike Feßmann, in ihrer Klarheit oft Gegenpol zu Hubert Winkels, der neuerdings den Juryvorsitz inne- und schon länger ein Faible fürs Ausufernhat.

Performance muss sein

Es sind wirklich schlechte Texte und wirklich gute Texte im Wettbewerb; auffällig schwer haben es die, die nicht auf Pointen hingeschrieben sind. Klar: Wer hier keine Lacher einbaut und performt, fliegt schneller. Oder muss sich doppelt anstrengen, um mit einer leiseren, ernsteren Erzählung zu überzeugen. Überhaupt, Performance: Bonuspunkte gibt es für alles, was nach „Gesamtkunstereignis“ aussieht. Wenn beispielsweise die kurzen, überwiegend überflüssigen Porträtfilme, die es von jedem Autoren gibt – außer von Ronja von Rönne – und die direkt vor den zugehörigen Lesungen eingeblendet werden, mit dem Gelesenen korrespondieren. Oder wenn der Zuschauer plötzlich zum Werk gehört oder am besten noch Klagenfurt mitsamt der Jury selbst. Ertapptfühlen kommt an, dient es doch der Selbstversicherung: Völlig zu Recht hockt man hier zusammen und bohrt, von Deckenstrahlern beschienen, im Literaturnabel der Welt.

Es geht um die Zer­rissenheit des Ichs, Zerwürfnisse mit dem Du und die unerträgliche Unwichtigkeit des Seins

Und diskutiert Geschichten. Über die Zerrissenheit des Ichs, über Zerwürfnisse mit dem Du, historische Konflikte und familiäre; über eine Figur, die im Lkw vor einer Schwangerschaft flieht, und eine Figur aus dem „Hartz-IV-Soziotop“; über eine „Toteninsel“ und eine „Tötungsorgie“, und immer wieder über die unerträgliche Unwichtigkeit des Seins. Die diesjährigen Autoren schafften es, die Bibel umzuschreiben und die Geschichte eines Beinstumpfs zu erzählen.

Aber nur eine hat den Raum gefüllt wie sie: Ronja, die dieses Ding hat, das viele nicht leiden können oder auch gern angeboren hätten. Das Ding ist vielleicht die Mitte aus 23-jährig und altklug, gerissen und schutzbedürftig, naiv und kokett, hochnäsig und berlinerisch. Als sie am Freitag aus ihrem Text „Welt am Sonntag“ liest, wird sie fairerweise behandelt, als hätte es nie eine Feminismusdebatte nach einem ihrer journalistischen Texte in der Welt oder einen Shitstorm gegen sie gegeben. Wobei die Urteile, die ihr Text bekommt, genauso gut sie selbst hätte bekommen können: cool, dekadent, postmodern, „alles Pose“, „gnadenlos banal“, da „sucht eine Zoff“, da sucht eine „den Sinn“.

Das war abzusehen, ist ihre Protagonistin womöglich nahe an ihr: Mädchen feiert gern Partys, in Wahrheit aber oft traurig und wütend auf die Welt.

Wahre Favoritinnen gab es andere, Valerie Fritsch nämlich mit ihrer Erzählung über einen Beinstumpf, in der ein Sohn den Verfall seines Vaters beobachtet, der sein Bein verloren hat. Dana Grigorcea mit „Das primäre Gefühl der Schuldlosigkeit“, einer Erinnerung an die Tage nach der Diktatur in Rumänien, Teresa Präauer – mit einem experimentellen Rap-Sound, in dem sich ein Mann für eine Frau sprichwörtlich zum Affen macht. Und Gewinnerin Nora Gomringer (siehe unten), mit einem hörspielartigen und großartigen Stück, in dem sie sich als die Schriftstellerin Nora Bossong ausgibt, die für ihren Roman recherchiert. „Ich danke herzlich für jeden, der’s mir gönnt“, sagte Gomringer am Sonntag, als ihr der Bachmann-Preis verliehen wurde. Unbedingt gönnt man es ihr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen