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Auf Augenhöhe

AUSSTELLUNG Die Kunstschau „Impressionismus – Expressionismus. Kunstwende“ in der Alten Nationalgalerie richtet sich mit einem Audioguide besonders an Kinder – mit einem überzeugenden Konzept

Die Ernsthaftigkeit und Tiefe, mit der sich die Kinder den verschiedenen Sujets nähern, beeindruckt

von Sylvia Prahl

Besuchen Erwachsene eine Kunstausstellung und wollen mehr über die Künstler und ihre Werke erfahren, leihen sie sich heutzutage gerne einen Audioguide. Für Kinder wurde dieses Medium bis vor wenigen Jahren hingegen nicht angeboten, sie sollten lieber durch eine direkte Ansprache an die Kunst herangeführt werden, so Eva Wesemann von der Produktionsfirma Antenna International, die solche Audioguides für Museen und temporäre Ausstellungen auf der ganzen Welt erstellt. Im Jahr 2007 brachten sie erstmals in Berlin jungen Besuchern der Ausstellung „Die schönsten Franzosen kommen aus New York“ französische Kunst des 19. Jahrhunderts im Hörspielformat nahe.

Für den Kinderguide der Ausstellung „Impressionismus – Expressionismus“ ("ImEx“) in der Nationalgalerie hat Eva Wesemann einen interkativen Ansatz gewählt. Sie bezog Kinder in die Produktion mit ein, entwickelte den Guide in einem Workshop mit Schülerinnen und Schülern der sechsten Klasse der Johannes-Schule-Berlin, die den Guide dann auch eingesprochen haben. Denn ein Audioguide muss mehrere Herausforderungen bestehen, um erfolgreich zu sein. Kinder sollen sich auf Augenhöhe angesprochen fühlen, ein gutes Erlebnis haben, damit sie eine Beziehung zu den Werken herstellen können, sagt Wesemann. Nebenher werde ihnen Wissensvermittlung zugemutet. Darüber hinaus müssen sich auch die mithörenden Erwachsenen angesprochen fühlen, die sich im Anschluss mit den Kindern über das Gesehene und Gehörte austauschen möchten.

Der Kinderguide für „ImEx“ schießt sogar darüber hinaus, ist an mancher Stelle noch informativer und unterhaltsamer als der sehr angenehm von Natalie Wörner eingesprochene Guide für die Erwachsenen. Während der Erwachsenenguide etwa 20 Werke erläutert, beschränkt sich die Kinderversion auf zehn Bilder und dauert etwa eine halbe Stunde. Bei eingehender Beschäftigung mit den Werken benötigen die Kinder etwa eine Stunde für den Rundgang und werden nicht überfordert. Die ausgewählten Werke hängen nah beieinander, um längere Wege und nervige Bildersucherei zu vermeiden.

Für die Auswahl der Bilder stand vor allem im Vordergrund, welche Themen für 10- bis 12-Jährige relevant und passend sind, so Wesemann. Nackte Badende und Varieté-Szenen sind ausgespart, dafür wird in der Abteilung „Beziehungen“ Lovis Corinths großformatiges Gemälde „Familie des Malers Fritz Rumpf“ von 1901 betrachtet. Ausgehend von einem „Ich sehe was, was du nicht siehst“-Spiel überlegen die Kinder im Audioguide, wie es ist, in einer großen Familie aufzuwachsen und beginnen damit, über ihre eigenen Familien zu reflektieren. Das Thema „Paare“ kommt in „Im Wintergarten“ von Édouard Manet zum Tragen. Die Kinder erkennen, dass das Paar nicht geeint ist, glauben, es hätte sich gestritten, benennen „das trennende Element der Bank“. Dann folgt ein fiktiver Monolog des abgebildeten Mannes, der einen trennenden Graben zwischen den beiden Figuren belegt. Flankiert ist der Text mit einem Stück aus den „Impromptus“ von Erik Satie, was beim Betrachten des Bildes zusätzlich Atmosphäre schafft. Auch für die anderen Werke wurde entsprechend passende zeitgenössische Musik ausgewählt.

Für Camille Pissaros „Der Boulevard Montmartre an einem Wintermorgen“ von 1897 nimmt zunächst eine erwachsene Frauenstimme die Perspektive Pissaros ein, dann erläutern Kinder, was sie beim Anblick des Bildes empfinden und bringen die Hörer damit zum aufmerksamen Betrachten des Bildes – und zu der Benennung der Empfindungen, die sie dabei haben.

Beim Vergleich der Bilder „Charing Cross Bridge“ von Claude Monet (1899) und Ernst Ludwig Kirchners, 15 Jahre später entstandenem Bild der „Rheinbrücke“ werden die grundsätzlichen Unterschiede der impressionistischen und expressionistischen Sichtweise erläutert, einfach, indem die Kinder im Gespräch mit einer Erwachsenen ihre Eindrücke beim Betrachten der Bilder schildern, und überlegen, was den Malern beim Malen wichtig war.

Die Ernsthaftigkeit und Tiefe, mit der sich die Kinder den Sujets nähern, beeindruckt und färbt auf die Zuhörenden ab. Insbesondere die Überlegungen, die die Schüler zu Ernst Ludwig Kirchners „Potsdamer Platz“ anstellen, das der Brücke-Maler wenige Wochen nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs gemalt hat, wirken noch lange nach. Die Themen Krieg und Prostitution werden in der kleinen Expertenrunde nicht benannt. In ihren Überlegungen aber, ob die Männer die Frauen bedrohen, oder ob es eher eine Art Security-Personal ist, haben sie genau die Zerrissenheit der Menschen erkannt, die Kirchner mit dem Bild benennen wollte.

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