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Leben Vieles, was Konstantin Wecker gemacht hat, macht man als Linker eher nicht. Etwa mit einem amerikanischen Sportwagen zu fahren. Ein Gespräch über seine Lieder, seine Verhaftung und Angela Merkel„Der Widerspruch hat mich beherrscht“

„Das Alter hat ja dann doch ein paar gute Seiten. Eine ist, dass man sich selbst nicht mehr so ernst nimmt“: Konstantin Wecker Foto: Quirin Leppert/laif

Gespräch Thomas Winkler

taz.am wochenende: Herr Wecker, wie geht es dem Willy? Schreckliche Geschichte damals.

Konstantin Wecker: Der Willy, jetzt kann ich es ja offenbaren, ist gar nicht erschlagen worden.

Willy lebt?

Ja, Willy heißt eigentlich Günter. Der Günter fährt mich und verkauft bei meinen Konzerten die Bücher und CDs. Seit ich das bei meinen Auftritten erzähle, ist am Merchandising-Stand viel mehr los als früher. Manche trauen sich aber auch nicht ganz nah ran an den Günter, weil sie ja nix kaufen wollen. Die nennen wir die Willy-Spanner.

Der Song „Willy“ hat Sie 1977 berühmt gemacht. Es hieß immer, es sei Ihr Freund Willy gewesen, der nach einer Wirtshausschlägerei mit Rechtsradikalen gestorben sei. Das Lied wurde zur Hymne einer ganzen Generation. Und zu Ihrem großen Thema: Der Kampf gegen Neonazis und andere rückwärtsgewandte Ideologien. Wenn Willy lebt, sind wir also 38 Jahre lang verarscht worden?

Nein. Es ist doch das gute Recht der Poesie, mit Symbolen zu arbeiten. Der ganze „Willy“ ist natürlich nicht genauso passiert, wie ich ihn aufgeschrieben habe. Wir waren damals junge Leute und eben auch ein bisschen testosterongesteuert. Wir haben in der Situation, als wir mit den Nazis aneinandergeraten sind, auch nicht gleich alle gewaltfrei reagiert. Aber dann wurden es zu viele und wir sind davongelaufen und haben uns getrennt. Und Günter wollte einfach nicht mehr davonlaufen und ist stehen geblieben. Er wurde festgehalten und ihm ist das Gesicht aufgeschlitzt worden. Es war knapp.

Müsste der Willy heute immer noch Angst haben, erschlagen zu werden?

Von Neonazis kann man immer erschlagen werden. Ich hatte im Osten in manchen Gegenden Polizeischutz. Einmal haben die Nazis mein Publikum beim Reingehen fotografiert. Ich fand es sehr mutig, da trotzdem zu kommen. Ich fahre ja nach dem Konzert wieder weg, für mich ist es nicht annähernd so gefährlich wie für die.

Trotzdem wäre „Willy“ beinahe nicht erschienen.

Ich habe den Text für „Willy“ damals fast in Echtzeit aufgeschrieben, da musste was runter von der Seele. Eigentlich wollte ich das Lied damals gar nicht auf die Platte nehmen, weil ich dachte: Das ist eine private Story, das interessiert keinen Menschen. So kann man sich täuschen.

Stattdessen haben Sie immer wieder neue „Willys“ geschrieben. Mittlerweile gibt es Nummer zwei bis sieben.

Wenn mir mal wieder nach Granteln, nach Schimpfen auf gut Bairisch ist, dann hol ich den „Willy“ wieder raus.

Auf Ihrem neuen Album ist nun eine achte Version, „Willy 2015“. Warum war eine weitere Aktualisierung nötig?

In der jetzigen Situation müsste ich doch eigentlich jeden Tag einen „Willy“ schreiben.

Wie ist denn die Situation?

Ich halte die Lage für unglaublich gefährlich. Die Welt ist auf der Kippe. Was politisch passiert, ist eine Schande. Ein Prozent der Menschheit besitzt so viel wie die restlichen 99 Prozent. Das beunruhigt mich am meisten. Da hat die Gesellschaft versagt. Das ist doch in höchstem Maße demokratiegefährdend.

Trotzdem herrscht Ruhe im Lande.

Da hat in den letzten Jahren eine systematische Gehirnwäsche stattgefunden. Thinktanks bestimmter Konzerne haben den jungen Leuten eingeredet, dass Engagement nicht sexy ist. In den Achtzigerjahren war es noch schick, gegen Nachrüstung zu demonstrieren, aber danach hat die Konterrevolution gesiegt. Als ich nach der Wende dann als einer der letzten mit linken Thesen dastand, hieß es: ein hoffnungslos verlorener Alt-68er. So stand das in den Kritiken, selbst in den wohlmeinenden. Erst 2004, nach dem ersten Finanzskandal, hat sich das wieder geändert. Da hieß es dann auch mal: Das ist einer mit Haltung, der hat sich nicht verbiegen lassen.

Reicht eine Gehirnwäsche, die Menschen ruhig zu stellen, wenn alles wirklich so schlimm ist wie Sie glauben?

Die Leute, vor allem die jungen, haben Angst. Vor allem davor, keinen Job mehr zu kriegen. Und die sind ja nicht dumm, die wissen genau: Wenn sie sich wirklich informieren würden, wenn sie weiter bohren würden, wenn sie sich selbst aufklären würden, dann wäre es nicht mehr so bequem, denn dann müssten sie ihr Leben ändern. Und das wollen sie nicht.

Und alle lieben Angela Merkel, der Sie vor ein paar Jahren ein ironisches Liebeslied geschrieben haben.

Ja, wenn man sich umsieht, geht es uns in Deutschland ja noch ganz gut. Und das schreibt man natürlich der Frau Merkel zu. Außerdem ist sie nicht eitel, hat keine Skandale und wenn sie mal einen hat wie jetzt, dann sitzt sie den mit großer Ruhe aus. Man muss schon zugeben: In ihrem Privatleben ist sie scheinbar untadelig. Man hat nicht das Gefühl, die möchte was für sich auf die Seite bringen. Aber sie ist halt eine neoliberale Ideologin, für sie ist die Freiheit des Marktes das A und O. Das klingt immer gleich nach Verschwörungstheorie, aber es stimmt einfach: Der Neoliberalismus hat immer uns, seinen Gegnern, vorgeworfen, wir seien Ideologen. Aber mittlerweile hat er es selbst geschafft, seine straffe Ideologie zu installieren. Und Frau Merkel ist die Speerspitze des Neoliberalismus.

Angesichts der Merkel’ schen Ruhe im Land: Ist so ein Leben als politischer Liedermacher nicht arg frustrierend?

Ich bin nicht frustriert und ich bin kein Zyniker geworden, weil ich das Glück habe, fast jeden Tag mit Hunderten und manchmal sogar Tausenden von Menschen zusammen zu sein, die dieselbe Sehnsucht wie ich haben. Würde ich nur in meinem Kämmerchen was schreiben, dann wäre es was anderes. Aber so sehe ich in den Gesichtern der Leute das gleiche Gefühl. Mein Publikum und ich, wir sind sicher nicht immer einer Meinung, aber wir haben dieselbe Sehnsucht.

Können Sie in den Gesichtern auch erkennen, ob Ihre Lieder etwas bewirken?

Das ist eine Frage, die stelle ich mir schon lange. Und es stimmt schon, ich hab früher gesagt, ich will die Welt verändern. Und wenn ich mir die Welt jetzt so ansehe, kann ich nur sagen: Ich war das aber nicht. Aber ich glaube immer noch, dass ein Lied ein Mosaikstein sein kann in der Veränderung der Welt. Es kommen so viele Leute zu mir und bedanken sich, ich hätte ihnen Mut gemacht. Mehr kann die Kunst nicht. Und Politik wollte ich nie machen. Jean Ziegler …

Konstantin Wecker

Der Musiker: Konstantin Wecker, 68, ist einer der großen deutschen Liedermacher. Er wuchs in München auf und spielte früh Geige und Gitarre. Ende der Sechziger wurden seine Lieder vor allem einem linken Publikum bekannt; am bekanntesten ist wohl seine Ballade "Willy", die von der Konfrontation der 68er-Bewegung mit Nazis handelt. Wecker ist oft mit Hannes Wader oder auch Reinhard Mey aufgetreten. Mit Konzertabsagen in Hoyerswerda und Halberstadt hat er Diskussionen ausgelöst.

Der Mensch: Aufsehen hat auch Weckers Lebensstil erregt: Anfang der Siebziger spielte er in mehreren Sexfilmen mit, 1995 wurde er wegen Kokainbesitzes verhaftet und in dritter Instanz zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Er hat – als Komponist und Schriftsteller – zahlreiche Preise gewonnen, etwa den Kurt-Tucholsky-Preis oder den Bayerischen Kabarettpreis. Seit 2007 unterrichtet Konstantin Wecker Songwriting an der Universität in Würzburg. Er hat zweimal geheiratet und zwei Söhne.

ein bekannter Globalisierungskritiker

… hat letztens gesagt: Der Aufstand wird kommen. Das glaube ich auch. Die Gefahr ist allerdings: Welcher Aufstand wird es?

Der alte Revoluzzer Wecker hat Angst vor der Revolution?

Wenn die Pegida-Leute das Ganze mit ihrem Frust an sich reißen, dann kann man schon Angst kriegen. In Ungarn sieht es jetzt schon schlimm aus. Und was in Griechenland passiert, ist ein Skandal. Wenn Alexis Tsipras wirklich fallen gelassen wird, dann wird in Griechenland das nächste Mal vielleicht rechtsradikal gewählt. Merkel hat so eine Angst vor den Linken, dass sie lieber den Rechtsradikalen in die Karten spielen würde.

Wenn man Ihr Album hört, kriegt man das Gefühl, Sie fühlen sich umstellt: Pegida demonstriert, die Medien sind manipuliert, Kriege überall, die SPD und die Grünen segnen Kriege ab, „die Finanzspekulanten“ und „ein völlig krankes Wirtschaftssystem“ haben uns im Griff. Sind Sie paranoid, Herr Wecker?

Man muss doch fast paranoid werden. Ich habe zuletzt die Bücher von Jean Ziegler und Thilo Bode gelesen, hervorragend recherchierte Bücher von klugen Menschen. Und wenn man sich weiter informiert, im Netz und in Büchern, dann kann man schon das Gefühl kriegen, es geht da, wo Kriege vorbereitet werden, gar nicht so sehr um eine Angst davor, dass wer auch immer einmarschiert – sondern dass die Herrschenden vor allem Angst vor den eigenen Leuten haben. Vorm Aufstand im eigenen Land hat man Angst, weil man weiß, dass der kommen wird.

Für einen Paranoiker machen Sie aber im Gespräch dann auch wieder einen recht aufgeschlossenen Eindruck.

Den Paranoiker haben Sie mir aufgedrückt. Ich setze meinen Ängsten eben meine Lebenslust entgegen und eine – zugegeben – recht große Naivität. Eins meiner neuen Lieder, „Traum von einer grenzenlosen Welt“, handelt ja davon, dass man auch in einem Zustand der Belagerung sein Herz öffnen kann. Gerade da am meisten öffnen sollte.

In diesem Lied begegnen Sie der aktuellen Flüchtlingsproblematik mit dem Satz: „Es ist eine grenzenlose Welt, in der ich leben will.“ Genau davor haben die Pegida-Demonstranten Angst. Wie nehmen Sie denen ihre Angst?

Das kann nur ein Psychotherapeut. Aber die sind ja auch nur eine Randerscheinung. Den meisten anderen kann man die Angst nehmen, indem man sie einfach mal mit Flüchtlingen zusammenbringt, mit diesen angeblich schrecklichen Menschen, die ihnen alles wegnehmen wollen. Man muss das Mitgefühl wieder zum Leben erwecken. Und man muss Zahlen in Menschen verwandeln.

So einfach ist das?

So einfach kann es sein. Wenn Xenophobe mal mit Flüchtlingen an einem Tisch gesessen haben, dann merken die: Das sind ja auch bloß Menschen.

Ein anderes Thema, das Sie stets umtreibt, ist der Pazifismus. Jetzt gibt es selbst in der Linkspartei, die Sie zuletzt unterstützt haben …

Ich habe immer nur einzelne Leute unterstützt. Das habe ich früher auch für die SPD gemacht und zu Petra Kellys Zeiten für die Grünen.

Selbst diese Linkspartei denkt nun darüber nach, sich für eine Regierungsbeteiligung fit zu machen. Auch Auslandseinsätze der Bundeswehr sind mit denen plötzlich denkbar.

Wenn sich Bodo Ramelow durchsetzt mit seiner Haltung, dass auch die Linke den Auslandseinsätzen der Bundeswehr zustimmen müsse, dann kann ich diese Partei auch nicht mehr wählen. Das ist doch ein Skandal: dass eine Partei in einer Demokratie erst für regierungsfähig gehalten wird, wenn sie eine Kriegspartei ist. Das ist für mich als Pazifist ein absolutes Unding.

Wer ist dann noch wählbar für Sie?

Des wird blöd.

Merken Sie an solchen Fragen, dass solch ein radikaler Pazifismus, wie Sie ihn vertreten, eigentlich nicht umsetzbar ist im echten Leben?

Der Pazifismus ist nichts, was man jemand anderem aufzwingen kann, das habe ich immer gesagt. Mit Gedichten, mit meiner Kunst will ich einfach nur dafür werben, dass diese Stimme nicht verloren geht. Es ist mir völlig klar, dass ich die gewaltfreie Welt nicht mehr erleben werde. Vielleicht bleibt die gewaltfreie Welt auch für immer eine Utopie, aber ich möchte wenigstens, dass die Utopie bewahrt bleibt.

Wecker bei einem Auftritt 1978 Foto: Ullstein Bild

Als politischer Mensch stehen Sie aber täglich vor konkreten Entscheidungen wie: Was tun gegen den IS?

Das ist das immer gleiche Argument, dass Hitler nur mit Waffengewalt aufzuhalten war. Aber das stimmt nur für die Zeit, als es zu spät war. Man hätte Hitler nie bewaffnen dürfen. Und auch heute wäre es mal ein erster Schritt, statt Waffen zu liefern, dort Friedensarbeit zu betreiben. Drewermann hat mal gesagt: Man kann Hitler nicht immer mit Hitler besiegen.

Trotzdem müssen Sie sich im Netz allerhand anhören für Ihre Haltung.

Allerdings. Aber 99,9 Prozent, die mich da beschimpfen und meinen, man muss den IS mit Waffengewalt aufhalten, die sitzen auch nur hinter ihren Schreibtischen und wollen andere da hinschicken. Wenn die selber da runtergehen würden mit einer Waffe in der Hand, dann hätte ich, auch wenn ich anderer Meinung bin, einen gewissen Respekt.

„Ich glaube an die Kraft der gewaltfreien Veränderung“, singen Sie auf dem neuen Album. Wird das funktionieren?

Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Wenn Sie mir jetzt hier das Bierglas auf den Kopf hauen wollen, dann bleib ich auch nicht ruhig sitzen. Und wenn ich Auto fahre, dann wundern sich meine Kinder immer, dass ich mich so aufrege.

Wasser predigen und Wein trinken, so einer sind Sie.

Ich fahre nicht aggressiv, aber ich meckere dauernd. Meine Hinwendung zum Pazifismus hat natürlich viel mit meinem Vater zu tun, seiner Kriegsdienstverweigerung zu Nazizeiten. Aber ich habe mir schon oft überlegt: Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass in mir auch ein gewalttätiger Mensch wohnt. Vielleicht ist mein Pazifismus auch ein Selbstschutz?

Widersprüche wie dieser haben dafür gesorgt, dass Sie als überzeugter Linker Ihren eigenen Gesinnungsgenossen von Anfang an suspekt waren.

Ja, denen war ich ideologisch nicht treu genug.

Vor allem waren Sie den Ideologen zu hedonistisch.

Das stimmt. Vieles von dem, was ich damals gemacht habe, wie mit einem amerikanischen Protzsportwagen durch die Gegend zu fahren, das hätte ich mir auch besser sparen sollen. Der Widerspruch zu meinen Texten war manchmal zu groß. Vor allem das Machogebaren, das ich an den Tag gelegt habe. Ich war stolz darauf, auszusehen wie ein Zuhälter, während ich zarte Lieder geschrieben habe, in denen sich Frauen verstanden gefühlt haben.

Ein absichtlich herbeigeführter Widerspruch?

Keine Absicht. Der Widerspruch war ich, der hat mich beherrscht, aber der hat mich auch zerrissen. Der ist erst durchs Alter abgeschwächt worden. Das Alter hat ja dann doch ein paar gute Seiten. Eine ist, dass man sich selbst nicht mehr so ernst nimmt, aber trotzdem die Sache nicht verraten muss.

Sie haben immer wieder gern Adorno zitiert: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ Stimmt der Satz noch?

Der Satz stimmt natürlich immer noch. Wenn man sich mit den Zusammenhängen beschäftigt, dann merkt man doch jeden Tag, dass man an der ganzen Schweinerei beteiligt ist. Bestimmte Kleidung dürfte man nicht kaufen, bestimmte Sachen nicht essen. Mit dieser Zerrissenheit muss man leben, aber daran kann man sich auch weiterentwickeln. Man ist nie perfekt, und wer uns das vormachen will, ist ein gefährlicher Verführer.

Über Zerrissenheit „Vieles von dem, was ich damals gemacht habe, hätte ich mir besser sparen sollen. Vor allem das Macho­gebaren, das ich an den Tag gelegt habe“

Sie haben damals als junger Musiker, so könnte man das auch sehen, das eigentlich lustfeindliche Linkssein versöhnt – mit einer Lust am Leben. Waren Sie womöglich der Prototyp einer Haltung, die demnächst vielleicht in Schwarz-Grün enden wird?

Wenn es hieße, Schwarz-Grün ist der Versuch, Gegensätze zusammenzuführen und Grenzen zu überwinden, dann würde ich sagen: Toll, macht das. Aber seien wir ehrlich: Das sind doch reine Machtinteressen, die hinter der Propaganda für Schwarz-Grün stecken.

Ihre Lebenslust hat Sie auch nahe an den Abgrund geführt. Im November jährt sich zum zwanzigsten Mal Ihre Verhaftung wegen Drogenbesitzes. Ist das ein Jubiläum, das Sie mittlerweile feiern können?

Ich habe die Verhaftung schon oft gefeiert. Das war meine Überlebenschance. Ich bin natürlich nicht dafür, Süchtige einzusperren. Aber in meinem speziellen Fall war es ein Glück. Ich wäre ohne den Knast nicht rausgekommen aus dem Kreislauf meiner Sucht.

Als Sie aus der Haft entlassen worden waren und wieder begannen aufzutreten, sind die Säle erst einmal leer geblieben.

Ja, vor allem in Bayern. Im Norden hat mein Sündenfall nicht so gestört. Manche sind ja auch nicht mehr gekommen, weil ich keine Drogen mehr genommen habe.

Wann sind die Leute denn schließlich wiedergekommen? Und warum?

Warum? Ich weiß es nicht. Ich muss es auch nicht wissen. Ehrlich: Als ich nichts mehr hatte, keine Ehre mehr, kein Geld mehr, gar nichts mehr, als ich mich zeitweise nicht mehr auf die Straße getraut habe, weil ich Angst vor den Schlagzeilen hatte, da gab es Momente, in denen war ich glücklicher als jemals zuvor. So völlig befreit von allem Ansehen, von allem, was von außen auf mich projiziert wurde, habe ich etwas in mir gefunden, das ich jetzt auch nicht rational benennen kann. Wäre ich ein religiöser Mensch, würde ich sagen, es war Gott. Da habe ich gesehen, dass es noch etwas gibt, zu dem man einen Zugang hat. Die Kabbalisten würden sagen, man entdeckt das Ewige in sich.

Sie sind trotzdem wieder zurück auf die Bühne.

Ich muss arbeiten, schon aus finanziellen Gründen. Ich habe ja auch nichts anderes gelernt. Als Bänker oder Autobauer wäre ich ziemlich erfolglos geblieben. Ich habe auch nie etwas zurückgelegt.

Es sind aber hoffentlich nicht nur finanzielle Gründe, die Sie auf die Bühne treiben?

Natürlich nicht. Einige der schönsten Momente meines Lebens haben auf der Bühne stattgefunden und finden immer noch dort statt. Am wenigsten eitel und am meisten ruhend in mir selbst bin ich nach wie vor auf der Bühne. Was für ein Geschenk: Ich musste mich nie verstellen mit meinen Gedichten und meiner Musik.

Thomas Winkler,50, ist taz-­Autor. Er mochte den lebens­frohen Konstantin Wecker immer am meisten. „Wenn der Sommer nicht mehr weit ist“ ist immer noch eines seiner Lieblingslieder

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