piwik no script img

Sympathisch, aber ziemlich spröde

MODEFILM Frédéric Tcheng beobachtete den Designer Raf Simons bei seinen Einstand bei Dior. Leider werden die wirklich interessanten Vorgänge in „Dior und ich“ nicht gezeigt

Man sieht in „Dior und ich“ noch nicht einmal, wie eine Naht von Hand entsteht

So förmlich korrekt der Film beginnt, so bleibt er das leider auch im weiteren Verlauf. Dabei steht am Anfang von „Dior und ich“ ein Drama, das freilich keinerlei Erwähnung findet: Nach 15 Jahren als Chefdesigner bei Dior wurde John Galliano wegen antisemitischer Tiraden, die er betrunken in einer Bar äußerte, am 1. März 2011 von seinem Posten suspendiert. Nach langen Spekulationen ernannte das Unternehmen schließlich Raf Simons, der sich gerade von Jil Sander verabschiedet hatte, zum Chefdesigner aller Damenkollektionen von Dior.

Filmemacher Frédéric Tcheng, Autor zweier erfolgreicher Modefilme, „Diane Vreeland: The Eye Has to Travel“ und „Valentino: The Last Emperor“, durfte den Neuanfang dokumentieren. Und so sehen wir als Erstes Raf Simons bei seinem Antrittsbesuch in den Ateliers. Sie sind wie zu Zeiten des Meisters noch immer im Dachgeschoss des Hauses in der Pariser Avenue Montaigne beheimatet. Hier entsteht die Haute Couture. Sidney Toledano, CEO bei Dior, und Bernard Arnault, mit seiner Familienholding Eigner des Hauses, stellen den Designer und sein Team den Schneiderinnen vor.

Raf Simons Aufgabe ist nicht einfach. Mit seinem flamboyanten Stil hatte Galliano das Haus auf Erfolgskurs gebracht. Raf Simons dagegen heftet das Image des kühlen Minimalisten an, der nun − in nur acht Wochen − zum ersten Mal in seiner Karriere eine Haute-Couture-Kollektion auf den Laufsteg bringen soll. Dafür muss er glamourös werden, die Kundinnen sind Frauen, die, wie man im Film erfährt, etwa 350.000 Euro im Jahr für ihre Garderobe ausgeben. Bei all dem Aufwand, der im Atelier getrieben wird: Es arbeitet rentabel.

Genau dieser Umstand aber verhindert, dass der Film den handwerklichen wie den soziodynamischen Geheimnissen des Ateliers auf die Spur kommen darf. Ja, es gibt die gegenseitigen Sympathieerklärungen von Florence Chehet, der Leiterin des Kleider-Ateliers, und Pieter Mulier, der rechten Hand von Raf Simons. Aber sonst sieht man noch nicht einmal, wie eine Naht von Hand entsteht. Die Kleider, meistenteils prachtvolle Abend­roben, fahren irgendwann einmal fix und fertig an ihren Stangen durch das Haus auf dem Weg zur Vorführung.

Der medienscheue Raf Simons ist also, wie es der Titel sagt, der wahre Protagonist des Films. Tcheng inszeniert ihn als Wiedergänger Christian Diors, dessen New Look es sich verdankt, dass Paris Ende der 1940er Jahre wieder Modehauptstadt der Welt wurde, nachdem ihm New York in den Kriegsjahren den Rang abgelaufen hatte. Der Starrummel, der um ihn entbrannte, schüchterte Dior unglücklich ein. In seiner Biografie sprach er von seinem Zwilling mit dem öffentlichen PR-Gesicht, der sein persönliches Ego überschattete.

Doch trotz Dokumentarfilmeinblendungen von Dior, trotz all seiner Zitate aus dem Off, trotz Raf Simons Besuch in Diors Geburtshaus, so richtig zieht die Idee nicht. Raf Simon hat nur ein Gesicht. Die Marke lebt noch immer von Dior, was einem professionell gemanagten Marketing und einer ebensolchen PR geschuldet ist, von der Christian nur träumen konnte.

Raf Simons gelingt eine schöne Kollektion, unter anderem nutzt er eine alte Webtechnik, um die abstrakten Spray Paintings des Westcoast-Künstlers Sterling Ruby als Kleiderstoff wiedererstehen zu lassen. Das ist technisch schwierig, aber als Konzept eher nicht. Raf Simons besitzt weder das telegene Temperament Karl Lagerfelds noch den überaus präsenten Charme Jean-Paul Gaultiers. Er ist Belgier, Wallone, sympathisch, aber ziemlich spröde. Und so ist dann eben auch „Dior und ich“.

Brigitte Werneburg

„Dior und ich“. Buch und Regie: Frédéric Tcheng, Dokumentarfilm, Frankreich 2014, 89 Min.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen