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Mosern als performativer Akt

FOCKING GREAT Die britischen Grantler Sleaford Mods rocken am Freitag das ausverkaufte SO36 und bieten ein dringend benötigtes Update von Punk

Weg mit dem Chef: Andrew Fearn und Jason Williamson (Sleaford Mods) am Freitagabend im SO36 Foto: Roland Owsnitzki

Das Duo Sleaford Mods – es kommt nicht einmal aus der britischen Hauptstadt London, sondern bloß aus dem Robin-Hood-Kaff Nottingham– ist der unwahrscheinlichste Hype der letzten Jahre. Megastumpfe Beats, ein grummelnder Basssound und dazu Sprechgesangs-Salven über Arbeitslosigkeit, nervige Chefs, Saufen und Drogen, dargeboten von zwei weißen Mittvierzigern, die aussehen wie Fanboys von Joe Strummer und Liam Gallagher. Wer bitte braucht denn so etwas? Zum Glück braucht man die Slea­ford Mods mehr, als man sich das je hätte träumen lassen. Das zeigt sich auch in Berlin, bei ihrem zweiten Konzert nach dem sagenhaften Durchbruch im letzten Jahr: Das SO36 war bereits Wochen vor ihrem Auftritt ausverkauft.

Die Sleaford Mods, deren neues Album „Key Markets“ in diesen Tagen erscheint, sind inzwischen sogar ein Fall für die Titelstory von Trend- und Musikmagazinen, dennoch verirrten sich keine junge Hipster in das SO36, anzutreffen war eher ein angegrautes Punkrock-Publikum, das wohl im gleichen Laden so ähnlich ein paar Tage zuvor beim Konzert der Dead Kennedys anzutreffen gewesen wäre. Mit dem Unterschied, dass die Dead Kennedys eine Punkband von vorgestern sind – zudem ohne ihren Frontmann Jello Biafra total unbrauchbar – und die Slea­ford Mods jedoch bieten einen ganz neuen, so bisher ungehörten und komplett entstaubten Entwurf von Punk.

Das Sagenhafte an den Sleaford Mods ist, wie sie Primitivität und Unterkomplexität als große Kunst verhandeln. Bier trinken, gelangweilt rumschauen, Mod-Style mit Fußballfankurven-Outfit kombinieren und einfach nur mosern wird bei ihnen zu einem performativen Akt, an dem man sich einfach nicht satt sehen kann.

Würden die beiden zudem Kurse „stilvoll Besaufen“ anbieten, diese wären bestimmt der absolute Renner. Wie sie in ihrem Antihit „Tied Up in Nottz“ in einem Bus durch die englische Vorstadt-Tristesse tuckern und ein ähnlich trostloses Bild abgeben wie ihre Umgebung, das sagt in der Länge eines Videoclips mehr über britischen Working-class-Alltag als tausend Sozialstudien.

Auch live zeigte sich das Duo als genau die begnadeten Totalverweigerer, wie man das erwartet hatte. Auch das ist so fantastisch bei den Sleaford Mods: Es fällt einem keine andere Band ein, die einem immer das Gleiche und Erwartbare liefert und man genau deswegen so glücklich ist. Auch auf dem neuen Album der beiden gibt es wieder nur Bass, Beatminimalismus, Schimpftiraden und eben einfach null musikalische Weiterentwicklung: Gut so. Sänger Jason Williamson haute im SO36 pausenlos sein im unverständlichen Dialekt der britischen Midlands vorgetragenes Klassenkampfgekeife voller „Focks“ und „Fockings“ raus, während Andrew Fearn, der Beat­bastler, das ganze Konzert über nichts anderes tat, als dem Publikum zu demonstrieren, wie man eineinhalb Stunden bloß auf der Bühne herumstehen, am Bier nippen und trotzdem mindestens so wichtig wirken kann wie der andere Künstler.

Musik vom Band, so gut wie nichts auf der Bühne, was man ernsthaft „Show“ nennen könnte, und trotzdem fühlte sich das Publikum im SO 36 blendend unterhalten: Focking great!

ANDREAS HARTMANN

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