: Halleluja Volksmusik
Liedermacherei Rainald Grebe und Zehntausend in der Wuhlheide gestalten gemeinsam eine große Samstagabendshow
Auf dem Weg zur Wuhlheide rumpelt die Straßenbahn 68 durch die Altstadt Köpenick, wo gerade Altstadtfest ist. Durch die Fenster sieht man proppevolle Bier- und Fressbuden und fette Spanferkel am Spieß. Die Leute stehen Schlange, viele mit Bierchen und Zig in der Hand, umwölkt von Bumsmusik. Volksfesttradition in Köpenick.
Ein paar Stationen weiter heißt es Aussteigen, wer zum Grebe-Volksfest in der Wuhlheide-Bühne will. Auf dem Weg sind auch ein paar geschmückte Union-Fans, die ihre Tracht auf ausdrücklichen Wunsch Grebes angelegt haben. Er will an diesem Abend auch einen Union-Fanblock zum Singen bringen, da er ein Motto für den Abends ausgab: „Was ist Volksmusik heute?“ Für den Liederfan und -sänger Grebe sind das zum Beispiel Stadionsongs, die in der benachbarten Union-Heimstätte An der Alten Försterei regelmäßig erschallen. Also hat er die Unioner gebeten, in seiner großen Halleluja-Show mitzuwirken, was die dann auch fleißig tun.
So ein Open-Air-Spektakel hat Rainald Grebe schon mal gemacht, vor vier Jahren in der Waldbühne. Diesmal also im Ost-Gegenüber, wo vor der Wende unter anderem Veranstaltungen der propagandistisch arg getünchten Weltfestspiele für Jugend und Studenten stattfanden, was Grebe thematisch gut passt, weil ihm auch dies eine tolle Brücke zum Thema Volk-Massen-Spektakel baut.
In der Wuhlheide setzt er das in eine ausufernde Nummerrevue aus Grebe-Hits, Nonsens, Mitmachbespaßung und grandioser Unterhaltung um, garniert mit viel Futter für die Hintersinnliebhaber im Publikum. Das ist alters- und ständemäßig fast so bunt wie die Bühnenshow und nach dem Amüsierverhalten klar erkennbar als aufgewecktes Völkchen, welches die traditionelle deutsche Spießigkeit genauso öde findet wie die neue, die Grebe in Songs wie „Prenzlauer Berg“ so schön besingt.
Der aufgeklärte Bürger mit Humorverständnis bekommt viel geboten: den „Kleinen Trompeter“ (ein Smashhit des DDR-Pionierliedguts); Friedenstauben, die in den Himmel steigen; Bierhumorgesänge eines Frauenchores („Mein Sack ist ein Feuchtbiotop“). Grebes Referenz an den nicht tot zu kriegenden Musikgeschmack eines großen Teils des gemeinen Volkes.
Andererseits holt er den 87-jährigen Gotthilf Fischer in seine große Samstagabendshow, um mit den Zehntausend nicht nur den Fischerchöre-Hit „Hoch auf dem gelben Wagen“ anzustimmen, sondern auch das alte Volkslied „Der Mond ist aufgegangen“. Als Bassbariton Thomas Quasthoff kommt, bringt der aber nicht etwa die „Winterreise“ zum Vortrag, sondern das aktuelle deutsche Volkslied „Atemlos“, wobei sein Blick auf das Textblatt wirkt wie der in einen Abgrund. Doch der Gesang, ein Hammer! So wie auf völlig andere Art der Auftritt von Comedian Olaf Schubert, der Grüße an die Weltfestspiele aus der Pegida-Heimstadt Dresden bringt.
Am Schluss der fast fünfstündigen Show erklingt natürlich noch „Brandenburg“ – das Volkslied des doch nicht fusionierten Landes – in ganz großer Besetzung. Nur Achim Mentzel, der Sänger im Autohaus Schwedt, ist nicht da. Gunnar Leue
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen