piwik no script img

Getöse und Gehauche

Talent Ohrenbetäubendes Gitarrengedengel, urplötzliches Pssst: Die Leipziger Künstlerin Safi zerstört auf ihrem neuen Album „Janus“ Hörgewohnheiten – und bedient sie zugleich

von Juliane Streich

Auf einem Parkplatz rütteln Zombies am Zaun und brüllen. Sie tragen unlesbare Transparente und versuchen, den Zaun zu erklimmen. Auf der anderen Seite blinken Blaulichter mehrerer Feuerwehrlaster. Es ist dunkel, gleich rasten alle aus, sie fangen an zu tanzen. Eine Szene aus dem Video zu Safis Single „Ausgebrannt“. Vorgeschmack auf das neue Album der Leipziger Musikerin. „Janus“ erscheint kommende Woche – endlich.

Als über Safi zuletzt berichtet wurde, hatte sie gerade den Produzenten der Strokes gefeuert, während sie im ehemaligen Rundfunkhaus der DDR in Berlin neue Songs aufnahm. Das ist vier Jahre her. Inzwischen hat sie ihr Label gewechselt und ist mehrmals nach Los Angeles gereist, um mit dem Produzenten Matthias Schneeberger zu arbeiten, der sonst die Werke des Drone-Doom-Duos Sunn O))) im Studio inszeniert.

Große Teile der Songs sind unterwegs auf Zugfahrten entstanden, als Grafikerin arbeitet sie mobil und ist ständig auf Reisen. Mit Kopfhörern mischte sie im Zweite-Klasse-Abteil Störgeräusche in die Musik. „Krachsituation“ nennt sie das Ganze. Neben ihrer Gitarre, einer zweiten Gitarre und dem Schlagzeug baut sie Field Recordings in ihre Songs ein, die sie mit dem Mobiltelefon aufnimmt. Ratternde Güterzüge morgens um fünf am Magdeburger Bahnhof sind zu hören, das Quietschen von Gleis 2. Sie verfügt inzwischen über ein Schall­archiv solcher Geräusche. Alles wird ineinander und aneinander gesetzt, wie es gerade passt.

„Wir haben traditionelle Songstrukturen aufgelöst“, sagt die ehemalige Studentin an der Hochschule für Grafik und Buchkunst, die großen Wert auf künstlerischen Anspruch legt. So arbeitete sie für ihre Videoclips mit den Künstler E. S. Mayorga aus Mexiko und dem Dramaturgen Florian Vogel zusammen.

Auf ihrem zweiten Album vermag es Safi noch mehr als bei ihrem Debütalbum „Kalt“ die Hörgewohnheiten zu bedienen, diese aber gleichzeitig auch zu zerstören. Lärm trifft Stille. Ohrenbetäubendes Gitarrengedengel macht Platz für ein urplötzliches Pssst, das aus der Ferne zu kommen scheint.

Zwischen Punk und Noise

Bei Safi geht es vor allem um Musik, die man im Niemandsland zwischen Punk – im Sinne von spontanen Ausprobieren – und Noise verorten kann. Immer steht ihre Stimme im Vordergrund. Mal Geschrei, mal Gesang, mal Getöse, mal nur noch Gehauche.

So reiht sie Wort- und Satzfetzen aneinander wie „Die Menschen fallen aus allen Wolken“, „Wir lügen uns die Augen leer“ oder „Ich massenverbreite die aktuelle Agenda“.

Dabei sind keine Protestsongs entstanden, Safi will nicht gleich die Welt verbessern, sie beobachtet einfach nur Banalitäten des Alltags, die nicht selten in Verzweiflung münden.

Unterhält man sich mit Safi, kann man sich kaum vorstellen, dass diese zierliche, nachdenkliche Person mit der leisen Stimme auf einer Bühne und im Studio völlig durchdrehen kann. Live wird sie von den beiden Musikern Matthias Becker und Frank Semmer unterstützt, die Songs komponiert sie selbst, beziehungsweise bastelt sie alleine im Studio zusammen. Dabei ist mit „Janus“ ein Album entstanden, das die Hörerin im positiven Sinne überfordert. Was war das denn gerade, möchte man fragen, ohne eine Antwort abzuwarten. „Ich sammle Fragezeichen“, singt Safi. Und die Hörerin sammelt eifrig mit.

Die Welt sei durcheinander, erklärt die Leipzigerin auch die Story hinter dem Video von „Ausgebrannt“. „Menschen, die ein Leben wie Zombies führen, wachen auf und fangen an zu leben, zu tanzen.“ Dass sie eingesperrt und unzufrieden sind, hält sie für einen permanenten Zustand. Dabei muss die Lösung nicht sein, dass jetzt alle auf die Straße gehen. „Aber mal darüber nachdenken: Ist es das, was ich machen will?“ Das ist schon die konkreteste Botschaft, die man von Safi im Gespräch zu hören bekommt. Denn die 38-Jährige weiß in ihren Liedern keinen Rat und hat auch keine Lösungsvorschläge. Vielmehr scheint sie aus der Distanz auf Situationen zu blicken, gibt Stimmungen vor und weckt Assoziationen. „Was man dann daraus macht, bleibt jedem selbst überlassen.“

Safi: „Janus“ (PIAS);Livekonzerte: 25. Juni „Tati goes underground“ in Berlin, 26. Juni „Ilses Erika“ in Leipzig, 3. Juli „Kleiner Donner“ in Hamburg, 18. Juli „Phunk Department“ in Solingen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen