Poststreik und keine Ende in Sicht: Ausgeliefert

Seit aus der Post ein DAX-Unternehmen geworden ist, hat sich nicht nur der Ton geändert. Drei Briefträgerinnen erzählen über die Angst um ihren Job.

Eine Postbotin auf einem Rad mit Anhänger

Erwerbs- und Aufstiegsmöglichkeiten, auch in der Provinz, auch für Frauen, das war mal die Post. Foto: imago/Steinach

AUS DEM SAARLAND taz | Es geht nicht ums Geld, um das gleich zu sagen. „Wir verdienen gut,“ bestätigt Maria. „Noch!“, korrigiert Ulrike. Gisela schweigt und raucht. Drei Frauen sitzen nach Feierabend zusammen, irgendwo in einer Einfamilienhauszeile im Saarland. Wo genau, wollen sie nicht in der Zeitung lesen, ihre richtigen Namen auch nicht. Gern hätten sie ihre Arbeit gezeigt, beteuern sie. Wie sie die Postberge in aller Herrgottsfrühe sortieren, wie sie die Stapel in ihre Zustellbezirke schaffen, sie dann in den Vorortsiedlungen, den Hauseingängen und Postkästen verteilen. Solide Arbeit, gut bezahlte Arbeit. Wo hat man noch einen Stundenlohn von 15,37 Euro brutto?

Aber jetzt löst sich die Gewissheit auf, für gute Arbeit gut bezahlt zu werden. Jetzt hocken drei Briefträgerinnen geradezu konspirativ um einen Tisch und kommen sich vor wie Verschwörerinnen. Das Misstrauen gegenüber dem Postmanagement ist enorm. Die Angst ist es auch. Die Angst, abgeschoben zu werden in die Tochtergesellschaft DHL Delivery-GmbH. Die neueste Schöpfung der Postoberen, um die „Kostenstruktur“ zu optimieren.

Die Furcht, von der Post, für die sie fünfzehn, zwanzig und mehr Jahre gearbeitet haben, verladen zu werden, ist groß. Der Aschenbecher füllt sich rasch. Die Nervosität könnte man an den Kippen abzählen. Es reicht.

Wieder und wieder summen die Telefone auf dem Tisch. Nachrichten laufen ein, von der Facebook-Gruppe, von Verdi, von Kollegen. Die drei, alle Verdi-Mitglieder, streiken noch nicht, ihre Niederlassung ist noch nicht im Ausstand. „Jeden Morgen könnte es heißen: Der Betrieb wird bestreikt“, sagt Gisela. Glücklich wirkt sie nicht. „Keiner streikt gern“, schickt sie nach. Die beiden anderen nicken. Doch wenn sie keinen Ausweg sehen? Drei Frauen zwischen 40 und 50 Jahren, die bei der Post arbeiten, bei der Deutschen Post AG, seit 2015 Deutschen Post DHL Group. Sie arbeiten gern. Eigentlich.

Nur das Gelb bleibt

Group, Delivery, Outsourcing – nicht nur der Klang hat sich verändert bei der Post, auch die Richtung. Eine Bundesbehörde mit Postminister, Beamten und Briefmonopol hat sich zu einem Dax-Unternehmen gewandelt mit Niederlassungen in über 60 Ländern. Nur das kräftige Gelb erinnert noch an vergangene Zeit. „Mit den Briefkastenentleerern fing es an“, beginnt Ulrike. Im Saarland waren es Ende der neunziger Jahre auch Taxifahrer, die im Dienst der Deutschen Post AG die Briefkästen leerten. „Da waren Leute unterwegs, die einen Zusatzjob brauchten“, ergänzt Gisela. „Und so bezahlen sie die Leut’ auch.“ Sie bläst eine Wolke in die Luft. Das Postgeheimnis in der Hand von Gelegenheitsarbeitern, Chauffeuren, Rentnern. War das nicht schon merkwürdig?

Später verschwanden die Postämter. Postagenturen und Paketshops breiteten sich aus, beim Bäcker, im Supermarkt und in leidlich hergerichteten Läden. „Alte Leute haben ein Problem, beim Bäcker Geld aufs Sparbuch einzuzahlen“, sagt Maria. Kuchen, Kaffee und Geld, alles an einer Theke, sie schüttelt den Kopf. Nee, das ist nicht seriös.

Marias Telefon vibriert. „Heute morgen wurde uns das doppelte Gehalt angeboten, wenn wir rüber fahren und die Briefe liegen lassen“, liest Maria die Nachricht von einem Kollegen vor und reicht das Handy wie ein Beweisstück herum. Briefe liegen lassen, um anderswo Pakete zu sortieren? Als Streikbrecher doppeltes Geld kassieren und dafür den eigenen Briefbezirk liegen lassen? „Was sind das für Zustände!“ Gisela nimmt einen Schluck Bier.

Mit dem Zukauf des US-amerikanischen Luftexpressdienstes DHL 2002 beschleunigte sich die Verwandlung. „Die Post geht in die Luft“ lautete eine Schlagzeile. Unterdessen liefen sich die drei Frauen im Saarland die Hacken ab. „Als die DHL gekommen ist, sind auch neue Verträge gekommen“, erzählt Ulrike. „Der Lohn blieb gleich“, räumt sie ein. Aber wer noch nicht so lange dabei war, hat keinen „Sozialzuschlag“ mehr erhalten.

Es geht heute Abend viel um den Sozialzuschlag, also die Summe der tariflich garantierten Zulagen wie das dreizehnte Monatsgehalt und Urlaubsgeld von 300 Euro. Inzwischen heißt der Sozialzuschlag postintern „Besitzstand“. Ein semantischer Wink? Aus den drei Frauen macht es jedenfalls Besitzstandswahrerinnen. Kein freundliches Wort. Es klingt nach Verhinderung, nach Sturheit. „Man hat seinen Lebensstandard, da will man auch nicht verzichten“, wirft Maria ein. Sie lebt allein, hat einen schulpflichtigen Sohn. Soll sie nebenbei noch putzen gehen, fragt sie.

Nicht spektakulär, aber sicher

„Früher, als ich angefangen habe bei der Post und meinen ersten Lohnzettel in der Hand hielt. Oh, ich war wie im siebten Himmel!“ Gisela strahlt plötzlich. „So viel D-Mark hatte ich noch nie.“ – „Und das als Frau!“, springt ihr Ulrike bei. Die Arbeit bei der Post war attraktiv. Nicht spektakulär, aber sicher. Es gab Erwerbs- und Aufstiegsmöglichkeiten, auch in der Provinz, auch für Frauen. Das war die Post, ehrbar wie der Postbeamte Walter Spahrbier, den die Frauen noch aus dem Fernsehen ihrer Jugend kennen, zuverlässig wie die Bundesbahn, robust wie ein VW – das Unterfutter der alten Bundesrepublik.

„Am Anfang hab ich gedacht, dass das mit der Delivery-GmbH eine gute Sache ist“, gesteht Ulrike. Schließlich würden Leute fest eingestellt.“Aber da war mir noch nicht klar, dass es um mich geht.“ Nervös zieht sie wieder eine Zigarette aus der Schachtel. „Ich bin richtig krank. Ich hätt’ heute alles hinschmeißen können“, erzählt sie. „Ich hab’s gesehen. Wenn du am Morgen schon zwei Zigaretten rauchst“, bemerkt Gisela. „Man wird morgens wach, Durchfall, Existenzangst“, fährt Ulrike fort. „Ich hab zwei Kilo weg“, offenbart Maria.

Delivery GmbH – das Unwohlsein hat einen Namen. Er schlägt den Frauen auf den Magen. Die Post will bis 2020 ihre befristet beschäftigten Paketzusteller in 49 regionale Tochtergesellschaften auslagern – mit Festanstellung, aber zu den schlechteren Konditionen der Speditions- und Logistikbranche. Postangestellte mit Altverträgen betreffe dies nicht, beteuert das Unternehmen. Zudem läge die Bezahlung deutlich über Mindestlohn.

Kann man das glauben? Und beschränkt sich die „Delivery“ wirklich nur auf Pakete? Maria blättert in ihrem Telefon und zeigt eine Stellenausschreibung der Delivery GmbH für Brief- und Paketzusteller in Mainz. Also doch auch Briefe? „Werden wir alle da reingedrängt zum Schluss?“, fragt sie. Ohne Weihnachtsgeld? Ohne Urlaubsgeld? Dafür auf Mindestlohnniveau? „Die Neuen bei Delivery haben tausend Euro weniger“, rechnet Ulrike vor.

Gut gelaunte Aktionäre

Der nächste Schritt könnte mit der sogenannten Verbundzustellung folgen, argwöhnen die drei, dem gemeinsamen Ausliefern von Briefen und Paketen. Gisela ist die erste. Ihr Bezirk, bisher nur auf Briefe zugeschnitten, verkleinert sich, doch die Fracht nimmt deutlich zu, Pakete bis zu 31 Kilo. Hundefutter in 30-Kilo-Säcken, im Internet bestellt, seien derzeit im Kommen, erzählt Gisela. Sie bekommt für die Ladung einen Transporter. „Ich lass mich überraschen“, sagt sie nur.

Zumindest die Aktionäre der Post blicken beim Konzernumbau gut gelaunt in die Zukunft. Vorstandschef Frank Appel verbreitete auf der Hauptversammlung der Deutschen Post DHL Group Ende Mai frohe Kunde: Ertrag, immerhin knapp drei Milliarden Euro, und Umsatz liegen auf Rekordniveau, die Dividende wird steigen. Der Gewinn soll bis 2020 um durchschnittlich acht Prozent jährlich wachsen. Die umgekrempelte Post und ihre neuen Eigentümern – es geht ihnen prächtig. Mit 21 Prozent, die von der Kreditanstalt für Wiederaufbau gehalten werden, gehört auch der Bund dazu.

Und die Briefträgerinnen im Saarland? Ein Spaziergang war die Arbeit nie, erzählen sie. Tabletten haben alle drei griffbereit bei ihren Touren. „Ohne Schmerzmittel geht es nicht“, sagt Maria. Die Ellbogen, der Rücken, die Füße, Kopfschmerz – irgendein Weh meldet sich bestimmt. Und wie soll das gehen bis zur Rente? Werden sie noch mit 65 Jahren Weinkisten und Hundefutter schleppen?

Wieder summt ein Telefon. In der Braunschweiger Niederlassung der DHL Home Delivery GmbH sollen ab 1. Januar 2016 hundert Stellen gestrichen werden, liest Maria vor. Der Grund: „Die Teilnahme von fast allen Beschäftigten an den Warnstreiks der Gewerkschaft Verdi im Rahmen der aktuellen Tarifauseinandersetzungen.“ Sie blicken sich an. „Ob das alles so stimmt?“, fragt Ulrike. „Das macht uns verrückt.“

Wie im Propagandakrieg

Einstellungen, Stellenstreichungen, Streik, Streikbrecher, Dividendenerhöhung – es ist wie im Propagandakrieg. Als „Lügenmärchen“ bezeichnet die Post in einer „Klarstellung“ die Behauptung, nach den Paketzustellern würden auch die Briefträger ausgegliedert. Wer glaubt, dass es bei der Paketzustellung bleibe, „der glaubt wahrscheinlich auch noch an den Osterhasen!“, kontert ein Verdi-Flugblatt, das Maria auf ihrem Handy vorzeigt.

„Wir wollen nur unseren Job machen zu unseren Konditionen, so wie wir es kennen“, fasst Ulrike zusammen. „Ich hoffe, dass Verdi das durchzieht und das Geld reicht!“, sagt Maria. „Ja, ansonsten bin ich raus“, platzt es aus Gisela heraus.

Knapp 20.000 Beschäftigte seien im Ausstand, meldet Verdi. Das Hauptziel: Dass die Delivery-GmbHs den Post-Haustarif übernehmen und weitere Ausgliederungen unterbleiben. Im Gegenzug will Verdi in diesem Jahr auf Gehaltserhöhungen verzichten. Für eine Gewerkschaft ungewöhnlich. Es geht hier eben nicht ums Geld.

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