Black or White

Race Gestört? Die US-Aktivistin Rachel Dolezal kam als Weiße zur Welt und gab sich jahrelang als Schwarze aus. Nun ist sie als Präsidentin der Ortsgruppe der NAACP zurückgetreten.

Früher glattes Haar, heute Afro: Rachel Dolezal  Foto: Colin Mulvany/ap

Dorothea Hahn

„Ich betrachte mich selbst als black“, hat die Bürgerrechtlerin Rachel Dolezal erklärt. Niemand in ihrem Umfeld zweifelte das an. Doch seit bekannt ist, dass die junge Frau als Weiße zur Welt gekommen ist, herrscht Aufregung in der „postrassistischen“ Gesellschaft. Die Reaktionen auf ihr „Passing“ in umgekehrter Richtung reichen von moralischer Entrüstung über „Lüge“ und „Verrat“ und dem Ruf nach der Justiz bis hin zu der Feststellung, diese Frau sei „psychisch gestört“. Auch aus dem Inneren der Bürgerrechtsorganisation National Association for the Advancement of Colored People (NAACP), für die Rachel Dolezal arbeitet, kommen Aufrufe, sie möge alle Karten auf den Tisch legen.

Am Montag hat die 37-Jährige einen ersten Schritt getan. Auf Facebook veröffentlicht sie ihre Rücktrittserklärung als Präsidentin der Ortsgruppe der NAACP in Spokane in Washington. „Ich bleibe der Bewegung treu“, schreibt sie darin. Und versichert, dass sie sich weiterhin gegen Diskriminierungen bei Polizei, Justiz, Arbeit und Bildung einsetzen werde. Die Erklärung, warum sie sich jahrelang als „black“ ausgegeben hat, bleibt sie schuldig.

Auch eine Aussprache mit der NAACP sagt sie ab. Doch noch am selben Abend wird bekannt, dass sie am Dienstag Interviews mit mehreren TV-Sendern hat.

Die Race-Frage

Rachel Dolezal hat die „Race-Frage“ unfreiwillig auf die Tagesordnung gebracht. Es ist eines jener Themen, das jeder kennt, und über das fast niemand redet. Selbst der erste schwarze Präsident des Landes äußerst sich nur selten dazu. Seine Berater meinen, dass die „Race-Frage“ bei der Basis so ankommt, als würde der Präsident „Interessenvertretung“ der eigenen Minderheit machen.

Die Frau im Zentrum der Aufregung stammt aus einer weißen konservativen, christlichen Missionarsfamilie in Montana. Als sie ein blauäugiger Teenager, mit glatten blonden Haaren ist, adoptieren die Eltern zusätzlich vier schwarze Kinder. Auch beim Studium an der traditionell schwarzen Howard-Universität in Washington D.C., ist Rachel Dolezal noch weiß.

Als die Universität ihr eine Stelle verwehrt wird, strengt sie ein Verfahren wegen Diskriminierung an. Später geht sie auf Distanz zu ihren Eltern. Bekommt ein Kind mit einem schwarzen Mann. Und legt sich – im westlich von Montana gelegenen Nachbarbundesstaat Washington – eine neue Identität zu. Fortan trägt sie ihr Haar dunkel und dicht gelockt.

Ein Adoptivbruder, der sie besucht, empört sich darüber, dass sie ihre Haut eindunkelt und „afroamerikanisch“ redet. Sie macht Karriere. Arbeitet als Dozentin für Africana Studies an der örtlichen Universität, Präsidentin der Ortsgruppe der NAACP und Ombudsfrau bei der Polizei.

Die NAACP, die größte Bürgerrechtsorganisation der USA, ist einst von afroamerikanischen zusammen mit weißen Bürgerrechtlern gegründet worden. Bis heute sind längst nicht alle Aktivisten schwarz. Und einige Weiße leiten auch Ortsgruppen. Don Harris, weißer Präsident der NAACP in Phoenix, fragt: „Was gewinnt sie dadurch, dass sie sagt sie sei Afroamerikanerin?“

Rachel Dolezal hat die „Race-Frage“ unfreiwillig auf die Tagesordnung gebracht. Es ist ein Thema, das jeder kennt und über das fast niemand redet Selbst der erste schwarze Präsident des Landes äußerst sich nur selten dazu

Die Enttarnung von Rachel Dolezal haben ihre eigenen Eltern verursacht. Die beiden geben zur Zeit an manchen Tagen mehrere ­Fernsehinterviews, in denen sie ihre Tochter öffentlich beschul­digen, ihr „Unwahrheit“ vorwerfen, ihre Geburtsurkunde veröffent­lichen, von „genetischer Identität“ reden, Entschuldigungen ver­langen und zugleich hoffen, dass die Tochter zu ihnen zurückkomme.

In der schwarzen Bürgerrechtsbewegung schreibt die Schriftstellerin Yasmin Nair über ­Rachel Dolezar dass sie „entweder eine Rassistin oder eine zutiefst gestörte weiße Frau, die Hilfe braucht“ sei.

Die Lüge

Aber der Africana-Wissenschaftler Jelani Cobb geht anders an das ganze Thema heran. „Race“, so erklärt er, gehe auf eine „ori­ginale Lüge“ zurück. Die hatte die Funktion, die Ausbeutung durch die Sklaverei zu rechtfertigen. Auch nach seiner Interpretation hat Rachel Dolezar gelogen. Aber, so sagt er: „Sie hat über eine Lüge gelogen“.