Brasilien: Landlose wettern gegen Agrosprit

Auf ihrem nationalen Treffen hat die Landlosenbewegung MST eine Wende in der Wirtschafts- und Umweltpolitik gefordert.

Proteste von Landlosen in Brasilia 2005 Bild: dpa

Brasiliens Landlose sind in der Defensive. So lautet das Fazit von João Pedro Stedile, Chefstratege der Landlosenbewegung MST. "Jene Agrarreform, von der wir geträumt hatten, existiert nicht mehr." Dagegen setzten die 17.500 AktivistInnen, die fünf Tage in der Hauptstadt Brasília debattierten und demonstrierten, ihre Forderung nach einer "neuen Landreform". Demnach soll die Regierung Lula ihre Wirtschaftspolitik zugunsten des Agrobusiness aufgeben und die Landlosen in der Nähe der Städte ansiedeln, damit sie ihre Produkte auch vermarkten können.

Multinationale Konzerne, das Finanzkapital und brasilianische Großgrundbesitzer hätten ein wirkungsvolles Bündnis zur Nutzung der Agrarflächen im Riesenland Brasilien geschlossen, meint Stedile. Besonders offensichtlich ist dies beim Anbau von Zuckerrohr für die Herstellung von Agrotreibstoffen. Seit dem letzten Jahr stiegen US-Investoren bei 13 modernen Ethanolfabriken als Mehrheitseigner ein. Im Bundesstaat São Paulo kaufte der Agrarmulti Cargill die größte Ethanolfabrik, 3.560 Quadratkilometer Zuckerrohrfelder inklusive. Diese Entwicklung treibt die Bodenpreise und befördert die Landkonzentration: 2006 verteuerte sich das Agrarland in São Paulo um 70 Prozent.

Eine "Demokratisierung der Besitzverhältnisse", wie sie die MST fordert, sähe anders aus. Schon jetzt sind in Brasilien 60 Prozent der Anbauflächen in der Hand von 3,5 Prozent aller Landbesitzer, die ärmsten 40 Prozent Bauern müssen ein Prozent untereinander aufteilen. Auch seit dem Amtsantritt von Luiz Inácio Lula da Silva vor viereinhalb Jahren hat sich daran wenig geändert, obwohl nach Regierungsangaben 381.000 Landlosenfamilien angesiedelt wurden.

"Oft sind das kurzfristige Maßnahmen zur Entschärfung sozialer Konflikte", kritisiert Stedile. Zudem liegen zwei Drittel der Neuansiedlungen im Amazonasgebiet, was eine Vermarktung der Produkte erschwert und den Druck auf den Regenwald weiter erhöht. Gut 140.000 Familien warten derzeit immer noch in Zeltlagern an Landstraßen auf ihr eigenes Stück Land.

Lula möchte es dem Agrobusiness und den Kleinbauern recht machen, räumte Guilherme Cassel ein, der Minister für ländliche Entwicklung. 2007 bekämen die Kleinbauern günstige Kredite in Höhe von umgerechnet 4,7 Milliarden Euro, 20 Prozent mehr als 2006, versprach Cassel und sagte: "Die Agrarreform bleibt eine unserer Prioritäten." Die Diskussion über die Zukunft der Landwirtschaft hält er für "legitim". "Auch ich bin für weniger Großgrundbesitz, weniger Monokulturen, eine vielfältige Produktion, die Arbeitsplätze schafft und der Bevölkerung genügend Nahrungsmittel garantiert." Der Präsident hätte das ähnlich formuliert. Doch für derartige Beteuerungen wollten ihm die Landlosen kein Forum bieten. "Mit Freundlichkeiten kommen wir nicht weiter", sagte MST-Sprecher Gilmar Mauro und kündigte weitere Besetzungen an.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.