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Schwarzarbeit im Schlafzimmer

70.000 bis 100.000 Osteuropäerinnen pflegen in Schwarzarbeit alte Menschen in Deutschland. Eine Rumänin finanziert mit der Betreuung einer 87-jährigen Demenzkranken das Germanistikstudium ihrer Tochter.

Teodora Bordon* als Gastarbeiterin zu bezeichnen, wäre gar nicht so falsch. Denn für die 50-jährige Rumänin haben die Seiferts* vor eineinhalb Jahren extra ein neues Gästezimmer eingerichtet, das nur mit einer Schiebetür vom Wohnzimmer abgetrennt ist. Dort wohnt und schläft die 87-jährige Irmgard Seifert. Sie ist der Grund, warum Bordon zu Gast in Deutschland ist.

Irmgard Seifert ist demenzkrank - und Bordon ihre Pflegerin. Sie kocht für sie, gibt ihr Medikamente, fährt sie im Rollstuhl spazieren, wäscht sie und bringt sie ins Bett. Eine Arbeitserlaubnis hat sie nicht. Bordon ist damit nicht nur Gastarbeiterin. Sondern auch Schwarzarbeiterin.

Alle drei Monate wechselt sich Bordon mit einer anderen Rumänin ab. Anfang des Monats war es mal wieder so weit: Die 30-jährige Manuela Iovan* setzte sich in den Bus und fuhr zurück in die Heimat. Und Bordon bezog das 15 Quadratmeter große Gästezimmer der Seiferts, in einem Haus irgendwo in Norddeutschland.

Über ihre Arbeit verliert die Rumänin nur wenige Worte. "Die Familie ist sehr nett", sagt Bordon knapp. "Und wenn ich im Dorf auf den Markt gehe, sind alle freundlich." Doch der Job ist kein leichter: Sollte nachts etwas sein, kann Irmgard Seifert mit einer Funkklingel läuten. In der Regel ist zwei Mal pro Nacht etwas, und wenn es sich nur um den Gang zur Toilette handelt. An zwei Nachmittagen in der Woche bekommt Bordon für einige Stunden frei. "Dann gehe ich im Wald spazieren."

DIE WEGE ZUR OSTEUROPÄISCHEN PFLEGERIN

Auf verschiedenen Wegen finden Angehörige eine Betreuerin oder Pflegekraft aus Osteuropa.

Der offizielle Weg führt über die örtliche Arbeitsagentur oder die Zentralstelle für Arbeitsvermittlung (ZAV) in Bonn (Hotline: 01 80-1 00 30 60). Diese Stellen vermitteln Haushaltshilfen etwa aus Polen, Rumänien oder Ungarn inklusive Arbeitserlaubnis. Der Nachteil: Pflegeaufgaben dürfen diese Kräfte offiziell nicht übernehmen. Die Kosten liegen bei rund 1.400 Euro im Monat.

Die zweite Möglichkeit ist der Weg über die Regelungen zur so genannten Dienstleistungsfreiheit in den EU-Ländern. Dabei sind die Pflegekräfte bei einer Agentur im Ausland angestellt und sozialversichert und werden über eine hiesige "Pflegekräfte-Maklerin" in deutsche Haushalte vermittelt. Diese kommerziellen Vermittler finden sich im Internet, wenn man das Stichwort "pflege privat" oder "Pflegekräfte" googelt. Die Pflegekräfte kosten zwischen 1.300 und 1.900 Euro im Monat plus Vermittlungsgebühr. Die Krux: Die Helferinnen erhalten nach Sozialabgaben, Steuern und hohen Provisionen an die Agentur im Ausland netto mitunter nur die Hälfte des vom Pflegehaushalt gezahlten Entgeltes. Wenn gültige Werkverträge zwischen den Agenturen im Ausland und dem deutschen Haushalt abgeschlossen werden, sei diese Variante legal, heißt es auf Anfrage bei der ZAV in Duisburg.

Der dritte, billigste, illegale und weitaus am häufigsten gewählte Weg ist die private Vermittlung ohne schriftliche Verträge, oft über Mundpropaganda oder auch Adressen im Internet. Hier werden 800 bis 1.000 Euro im Monat direkt an die Pflegekraft gezahlt. Oft nehmen die Angehörigen dann keinen deutschen ambulanten Pflegedienst ergänzend in Anspruch, aus Angst, die illegale polnische Helferin könne gemeldet werden. BD

Am schwersten fällt Bordon, die Hälfte des Jahres fernab von zu Hause zu sein. Auf ihrem Nachttisch steht ein Foto ihres Mannes und ihrer Kinder, täglich telefoniert sie mit ihrer Familie. "Es ist nicht leicht, so weit weg von ihnen zu sein, ganz alleine", sagt sie. "Aber es geht nicht anders." Bordon braucht das Geld, um ihrer 21-jährigen Tochter das Germanistikstudium zu finanzieren. "Meine Tochter soll es einmal besser haben als ich." In Rumänien würde Bordon nur 300 Euro verdienen. Von den Seiferts bekommt sie monatlich 850 Euro. Bar auf die Hand. Viel Geld für Bordon - und aus Sicht der Seiferts ein unschlagbarer Preis für eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung.

Und alles andere als ein Einzelfall: 70.000 bis 100.000 Osteuropäerinnen pflegen in Schwarzarbeit alte Menschen in Deutschland, schätzt der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa). Ein Heer von Betreuerinnen, für die Öffentlichkeit weitgehend unsichtbar, bewohnt die Dachkammern deutscher Häuser. Die Polinnen, Rumäninnen, Tschechinnen und Ungarinnen übernehmen eine Arbeit, die Deutsche zu diesem Preis nie und nimmer machen würden. Und die Situation wird sich in Zukunft noch verschärfen: Die Zahl der Pflegebedürftigen soll Prognosen zufolge von momentan 2,1 Millionen Menschen auf rund 4 Millionen im Jahr 2040 steigen. Fielen die ausländischen Hilfskräfte weg, würde wohl das gesamte Pflegesystem zusammenbrechen. Und weil dem so ist, wird dieser Graubereich von Politik und Gesellschaft weitgehend toleriert.

Wie leicht es ist, Pflegerinnen aus Osteuropa anzuheuern, zeigt ein Blick ins Internet. Dort stößt man schnell auf Seiten wie www.datenbank-polen.com, auf denen Einträge wie etwa der einer Polin stehen: "Ewa, 37 Jahre alt mit vierjähriger Erfahrung bei Pflege im Privathaushalt sucht Arbeit. Ich spreche deutsch, bin liebenvoll und geduldig."

Gesetze sind egal

"Moderne Sklaven", ohne jegliche Arbeitnehmerrechte, nennt Bernd Tews, Geschäftsführer des bpa, solche Menschen und fordert die Politik auf, schärfer gegen Schwarzarbeit in der Pflege vorzugehen. "Das sind kriminelle Strukturen", sagt er. Tews vertritt die Interessen von bundesweit über 4.500 Pflegeeinrichtungen, deshalb wohl auch der scharfe Ton. Denn immer mehr seiner Verbandsmitglieder klagen über die illegalen Billigkonkurrenten, manche seien kurz vor dem Bankrott, so Tews.

Doch was aus Sicht der deutschen Pflegeeinrichtungen richtig sein mag, ist vielen Menschen offenbar egal. Wenn es um das Wohl der Eltern geht, sind Gesetze zweitrangig. Irmgard Seiferts Tochter, Susanne Heesen*, begann sich Sorgen zu machen, als ihre Mutter immer öfter die Kaffeetassen in den Kühlschrank stellte. Als Seifert stürzte und sich den Oberschenkel brach, musste Heesen handeln.

Doch die demenzkranke Mutter ins Altenheim zu geben, kam für Heesen und ihre drei Geschwister nicht in Frage. "Dort wäre sie mit Psychopharmaka stillgestellt und vor dem Fernseher geparkt worden", sagt die 54-jährige Ärztin. So habe sie es bei Bekannten erlebt.

Also überlegte Heesen, wie sie ihre Mutter zu Hause pflegen lassen könnte. Doch auch die Angebote, die sie von ambulanten Pflegediensten bekam, gefielen ihr nicht. "Die wären nur mehrmals täglich kurz vorbeigekommen: waschen, füttern, ins Bett legen, fertig", sagt Heesen. "Da bleibt doch kaum Zeit, jemanden in den Arm zu nehmen oder auch mal aus der Zeitung vorzulesen." Eine 24-Stunden-Betreuung, die Heesen für nötig hielt, hätte um die 5.000 Euro im Monat gekostet - für die Geschwister nicht finanzierbar.

Auf einer Familienfeier bekam Susanne Heesen, 54, dann einen Zettel zugesteckt. Darauf die Nummer einer Rumänin, die ihr schließlich Teodora Bordon und Manuela Iovan vermittelte. 100 Euro im Monat erhält die Vermittlerin dafür.

Heesen ist nicht die Einzige, die in ihrer Hilflosigkeit keine andere Lösung mehr sieht als die illegale. Wie weit verbreitet Schwarzarbeit in der Pflege ist, zeigt auch der Prozess gegen die polnische Vermittlerin Bogumilia G., der letzten Herbst in Darmstadt stattfand. Sie hatte zusammen mit ihrem Mann fast 200 Polinnen ohne Arbeitsgenehmigung an Pflegebedürftige vermittelt. In den Ermittlungsakten tauchten als Arbeitgeber Bauunternehmer, Lehrer, Ärzte, Rechtsanwälte, Steuerberater, Kripo-Beamte und ein ehemaliger Fernseh-Intendant auf.

Doch während der Zoll bei Schwarzarbeit auf Baustellen knallhart durchgreift, müssen sich Pflegerinnen ohne Arbeitsgenehmigung um ihre privaten Arbeitgeber wenig Sorgen machen. Wohnungen werden von den Schwarzarbeitfahndern so gut wie nie durchsucht, und wird dennoch jemand ertappt, beläuft sich das Bußgeld meist nur auf 200 bis 300 Euro. "Jemand, der die Oma pflegen lassen will, sollte nicht die große Rechnung zahlen", begründet René Matschke von der Finanzkontrolle Schwarzarbeit in München die niedrigen Strafen. Der Zoll habe es auf die großen Fische abgesehen: "Wir wollen an die Vermittler ran, die sich illegal eine goldene Nase verdienen."

Aber selbst große Fische werden von den Gerichten relativ milde abgeurteilt. So erhielt Bogumilia G. nur eine Haftstrafe auf Bewährung und ein Bußgeld von 60.000 Euro - weniger, als sie mit ihrer Vermittlungsagentur verdient hatte. Die Richterin am Landgericht Darmstadt befand, dass es sich nicht um eine verwerfliche Ausbeutung von Ausländern gehandelt habe. Vielmehr habe die Polin versucht, einen Notstand zu mildern: Die Deutschen seien offenbar nicht in der Lage, ihre Alten angemessen zu pflegen. "Ein gesellschaftspolitischer Missstand", so die Richterin.

Völlig untätig ist die Politik denn aber doch nicht. Seit Anfang 2005 existiert auch eine legale Lösung. Oder zumindest eine halblegale. Die Zentrale Arbeitsvermittlung (ZAV) in Bonn vermittelt Osteuropäerinnen und Osteuropäer an Privathaushalte als Haushaltshilfen, sofern diese aus EU-Mitgliedsstaaten stammen. Bezahlt werden sie nach Tariflohn. Und sie sind, wie jeder andere Arbeitnehmer, gegen Krankheit, Unfälle und andere Risiken versichert. Allerdings dürfen die Haushaltshilfen - zumindest offiziell - nur "hauswirtschaftliche Arbeit" leisten: Kochen, Putzen, Einkaufen. Pflegen dagegen sollten sie die alten Menschen streng genommen nicht. Sie dürfen ihnen weder Pillen verabreichen noch sie waschen noch ins Bett bringen.

Kontrollen sind selten

Das geschieht natürlich dennoch, auch die ZAV will das nicht ausschließen. Kontrollieren kann dies aber niemand. "Das ist nicht unsere Aufgabe", sagt Sabine Seidler, Sprecherin der ZAV. Und auch der Zoll sieht sich nicht zuständig. "Wir wollen und können nicht in die Haushalte rein und nachschauen, wer wem welche Pillen gibt", sagt der Münchner Schwarzarbeitsfahnder René Matschke. "Es bleibt ein Graubereich."

Doch von 2005 an bis heute haben nur 4.606 Menschen den Weg über die ZAV gewählt. "Der bürokratische Aufwand ist für viele wohl eine Hemmschwelle", gesteht ZAV-Sprecherin Seidler ein. Denn vom Antrag bis zu dem Tag, an dem die Haushaltshelfer ihr Zimmer beziehen, kann es gut und gerne zwei bis drei Monate dauern.

Ein weiterer Weg ist die Beschäftigung von PflegerInnen, die bei Agenturen im Ausland angestellt sind und von diesen offiziell nach Deutschland "entsandt" werden. VermittlerInnen in Deutschland "vermakeln" diese Pflegekräfte. Existiert für deren Entsendung ein Werkvertrag, gilt diese Beschäftigung in den Augen der ZAV als legal. Nur leider kassieren die ausländischen Agenturen hier einen Löwenanteil des Gehaltes.

Mit umständlichen und intransparenten Vermittlungswegen wollen sich viele Menschen denn auch gar nicht erst abgeben. So wie Susanne Heesen. Sie wollte einfach nur das Beste für ihre demenzkranke Mutter Irmgard Seifert. Und das hat sie, ihrer Meinung nach, mit Teodora Bordon und Manuela Iovan bekommen - auch wenn beide keine ausgebildeten Pflegerinnen sind. "Die sind top", sagt Heesen. "Eine Engelsgeduld haben die im Umgang mit meiner Mutter." Und die anfänglichen Sprachprobleme seien längst Vergangenheit. So dass die beiden Irmgard Seifert, wann immer sie es will, aus der Zeitung vorlesen können.

Ein schlechtes Gewissen hat Susanne Heesen nicht. "Wieso sollte ich?", fragt sie. Schließlich bezahle sie den beiden Pflegerinnen neben ihrem Gehalt auch noch eine Krankenversicherung und die Fahrtkosten nach Rumänien. Dazu kommen Verpflegung und Unterkunft. "Ich sehe das relativ cool", sagt Heesen. "Wenn den beiden das Geld nicht reichen würde, würden sie die Arbeit auch nicht machen."

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