Aids-Medikamente: Indien stoppt Pharmariesen

Gericht weist Novartis-Klage zurück: Indien ist weltweiter Hauptlieferant von Aids-Medikamenten und darf uneingeschränkt weiterproduzieren.

Aidswarnung an einer Hauswand in Soweto, Johannesburg Bild: dpa

NEU-DELHI taz Novartis hat im Patentstreit mit dem indischen Staat eine weitere Niederlage erlitten. Das Oberste Gericht des Bundesstaates Tamil Nadu in Chennai hat sich am Montag für unzuständig erklärt, die Klage des Basler Chemiekonzerns zu entscheiden, die das Unternehmen im vergangenen Jahr eingereicht hatte.

Weltweit sterben jedes Jahr rund drei Millionen Menschen an Aids und seinen Folgen. Sie könnten weiterleben, wenn jeder Aidskranke auf der Welt medizinische Versorgung hätte - in reichen Industrienationen sorgen Aidsmedikamente inzwischen dafür, dass HIV-Infizierte lange am Leben bleiben können. 40 Millionen Menschen sind auf der Welt HIV-infiziert, 6,5 Millionen sind aidskrank und brauchen antiretrovirale Aidsmedikamente. Aber nur knapp 1,5 Millionen werden derzeit behandelt. In Afrika, wo zwei Drittel aller HIV-Infizierten der Welt leben, kriegt nur jeder achte Kranke Medikamente. Die anderen dämmern dahin und warten auf den Tod. Ein Grund für diesen Skandal sind die hohen Preise, die internationale Pharmakonzerne für ihre patentierten Medikamente verlangen - trotz drastischer Preissenkungen in den letzten Jahren können sich die Gesundheitsbudgets afrikanischer Länder den massiven Einkauf von Aidsmedikamenten selbst zu reduzierten Preisen nicht leisten. Die Alternative ist die Produktion von Nachahmermedikamenten, sogenannten Generika. Indien, Thailand, Brasilien und Südafrika sind die wichtigsten Generika-Produzenten, und ein Großteil der Aidsbehandlungen in armen Ländern findet mit diesen Produkten statt. Es könnte noch viel mehr in dieser Richtung getan werden: Sogar im Kriegsgebiet des Kongo stellt die deutsche Medikamentenfirma Pharmakina inzwischen Generika zur Aidsbekämpfung her. Auf dem Foto schluckt die neunjährige Franise in Haiti ihre tägliche Dosis Aidsmittel, bevor sie zur Schule geht.

Novartis hatte darin die Rechtmäßigkeit des indischen Patentgesetzes bestritten, das im Jahr 2005 vom Parlament verabschiedet worden war. Darin werden Medikamente vom Patentschutz ausgeschlossen, wenn sie nur geringfügige Verbesserungen bewirken. Für eine Patentgewährung müsse eine "erhöhte Wirksamkeit" bewiesen werden. Novartis hatte argumentiert, dass das WTO-Abkommen über intellektuelles Eigentum - die Trips-Vereinbarung - für solche "geringfügigen Verbesserungen" einen Patentschutz garantiere.

Vier indische Generika-Hersteller und eine Krebspatienten-Organisation hatten dagegen argumentiert, dass das Gericht gar nicht die Kompetenz hat, über die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zu urteilen. Das Oberste Regionalgericht in Chennai ist nun diesem Argument in allen Punkten gefolgt und hat sich als nicht zuständig erklärt. Falls Novartis eine Verletzung des Trips-Abkommens sehe, müsse der Konzern sich an das Schlichtungstribunal der WTO wenden. Das Urteil ist also eine glatte Zurückweisung der Argumentation von Novartis. Eine Unternehmenssprecherin in Basel bedauerte den Entscheid, erklärte aber, es sei unwahrscheinlich, dass Novartis an die WTO herantreten werde. Da die WTO eine supranationale Staatenorganisation ist, können zudem nur Staaten vor die Welthandelsorganisation treten. In diesem Fall wäre das die Schweizer Regierung, und es ist unwahrscheinlich, dass sie sich in den Novartis-Streit mit Indien dort einmischt.

Zahlreiche zivilstaatliche Gruppen haben das Urteil mit großer Erleichterung aufgenommen. Sie haben in dem Gerichtsfall den Versuch der globalen Pharmaindustrie gesehen, den Herstellern kostengünstiger Nachahmermedikamente (Generika) das Handwerk zu legen, indem die Konzerne den Patentschutz alter Medikamente mit Hilfe des sogenannten Evergreening ständig verlängerten. Das bedeutet: Novartis hatte jede kleine molekulare Veränderung an marktgängigen Medikamenten als neues Patent angemeldet und damit verhindert, dass andere Firmen günstige Generika auf den Markt bringen können. Mit der bisherigen Novartis-Praxis sei daher der Zugang armer Menschen zu günstigen Medikamenten gefährdet, insbesondere zu Arzneien gegen Aids, beklagen Hilfsorganisationen.

Novartis hatte den Gerichtsfall ausdrücklich auch als Modellfall verstanden, um in einem wichtigen Markt der globalen Pharmaindustrie zum Durchbruch einer extensiven Auslegung des Trips-Abkommens zu verhelfen. 35 andere Staaten haben bereits die unternehmensfreundliche Interpretation des Trips-Abkommens in ihre Gesetzgebung übernommen. Diese Tatsache hat nach Meinung von Novartis dem Abkommen bindenden Charakter verliehen - und diesen habe Indien demnach mit seinem Gesetz verletzt.

Mit dem Entscheid von Montag wird nun auch ein zweiter Fall hinfällig, der vor der indischen Appellationsinstanz in Patentfragen anhängig ist und der den Gerichtsstreit in Chennai ausgelöst hatte. Novartis hatte nämlich bereits 1997 für das Blutkrebsmittel Glivec den Antrag für einen Patentschutz gestellt. Im Jahr 2003, noch bevor das neue Patentgesetz in Kraft trat, erhielt Novartis dafür exklusive Marktrechte. Die indischen Generika-Hersteller mussten ihre Produktion von billigeren Nachahmer-Arzneien einstellen. Als Novartis nach Inkrafttreten des Gesetzes den Patentantrag erneuerte, erhoben vier Generika-Hersteller und die Organisation Cancer Patients Aid Association dagegen Einspruch. Das Patentamt hat den Einspruch anerkannt und das Patent annulliert. Daraufhin zog Novartis vor die Appellationsinstanz, deren Entscheid in Kürze erwartet wird. Nach dem Urteil vom Montag scheint klar, dass Novartis auch dort den Kürzeren ziehen wird.

Novartis hatte für seinen Angriff ausdrücklich Indien gewählt, weil dessen wachsende Mittelklasse ein wichtiger Markt für Markenprodukte wird. Indien ist aber auch weltweit der wichtigste Hersteller von günstigen Arzneimitteln und den Nachahmerprodukten (Generika). Gerade bei den retroviralen Aids-Arzneien stellen indische Generika-Hersteller sicher, dass die Armen der Welt weiterhin Zugang zu günstigen Medikamenten haben. Hätte Novartis den Fall für sich entschieden, wäre dies ein Signal für andere Pharma-Multis geworden, den indischen Markt mit patentierten Arzneimitteln abzudecken und die Generika-Produktion einzuschnüren. Der Entscheid des Gerichts hat dieser Strategie einen Riegel geschoben.

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