Nonstop Shoppen: Gute Nacht, Tariflohn
Einkaufen zu jeder Tages- und Nachtzeit: Möglich machen dies unter anderem die Billiglöhne der für die Nachtschicht eingeteilten Reichelt-Mitarbeiter. Die Arbeitnehmer und die Gewerkschaft Ver.di reagieren darauf noch gelassen.
"Verkaufsstellen dürfen an Werktagen von 0.00 Uhr bis 24 Uhr öffnen", so Paragraf 3, Absatz 1 des umstrittenen neuen Ladenöffnungsgesetzes vom 17. November 2006. Mehr als ein halbes Jahr später wird es mit dem Biosupermarkt Fresh n Friends in Prenzlauer Berg und der Wilmersdorfer Reichelt-Filiale zum ersten Mal umgesetzt. Die Gewerkschaft Ver.di betrachtet diesen Vorstoß zunächst gelassen. "Wir denken nicht, dass sich das Konzept durchsetzen wird", sagt Jürgen Stahl, Gewerkschaftssekretär im Bereich Besondere Dienstleistungen bei Ver.di. Ausweitungen des Billiglohnsektors könnten aber auf längere Sicht nicht ausgeschlossen werden.
Denn Reichelt hat für die Nachtschicht zwischen 22 und 6 Uhr insgesamt 15 neue Mitarbeiter und eine Gruppe von neun Regalauffüllern eingestellt, die mit Ausnahme der Filialleiter alle von der Potsdamer Dienstleistungsfirma ISS bezahlt werden. Im Gegensatz zu ihren tagsüber arbeitenden Kollegen, die tariflich mit knapp 13 Euro die Stunde entlohnt werden, verdienen sie nur etwas mehr als die Hälfte, und das inklusive 25 Prozent Nachtzuschlag. "Die Regalauffüller sind ausnahmslos geringfügig beschäftigt und bekommen einen Mindestlohn von 7 Euro netto die Stunde", so Michael Mechtle von ISS. "Kassenkräfte sind dagegen entweder geringfügig oder als Teilzeitkräfte eingestellt."
Zudem wüssten die Leute oft gar nicht, unter welchen Tarifbedingungen sie arbeiten, bemerkt Jürgen Stahl von Ver.di. "Sie treffen ihren Arbeitgeber meist nur ein einziges Mal bei der Einstellung und sind froh, einen Arbeitsvertrag unterschrieben zu haben." Hans Scharfe, Regalauffüller bei Reichelt, ist einer von ihnen. "Ich weiß gar nicht genau, welche Firma das ist. Irgendein Subunternehmen, glaube ich." Der 56-jährige war 16 Jahre bei der Commerzbank angestellt. Jetzt arbeite er auf 400-Euro-Basis fünf Tage die Woche von 0 bis 4 Uhr bei Reichelt und tagsüber in einem Callcenter. Das Geld reiche gerade so zum Leben. "Einkaufen tue ich hier nicht. Das ist mir zu teuer", sagt er.
Seine 26-jährige Kollegin Uzcu K. ist von ISS als Kassenkraft eingestellt worden und arbeitet werktags von 1 bis 7 Uhr. "Ich war vorher arbeitslos. Da hat sich der Job einfach gut ergeben", sagt sie. Und nimmt in Kauf, dass sie anstatt des Tariflohns als Billigarbeitskraft eingesetzt wird.
"Die unterschiedlichen Löhne für Tag und Nacht sind sicherlich nicht unproblematisch", meint Andreas Laubig, Sprecher des Mutterkonzerns Edeka. "Aber es handelt sich bei der Filiale ja zunächst um einen Einzelfall in einer Testphase, in der wir - gerade auch was die Belegschaft angeht - mit größtmöglicher Flexibilität agieren müssen." Flexibilität heißt auch, dass den Billiglohnarbeitern jederzeit gekündigt werden kann. Nicht nur ihrem Gehalt zufolge kann man sie als Mitarbeiter zweiter Klasse bezeichnen. "Ich denke aber nicht, dass es zu einer Spaltung der Belegschaft führen wird", winkt Laubig ab.
Anton Kerler, Inhaber des Bioladens Fresh n Friends, zahlt seinen 17 Mitarbeitern einen Einheitslohn. "Bei mir bekommen alle dasselbe Gehalt, tags und nachts", sagt er. Konkrete Zahlen will er aber nicht nennen. Seine 17 Angestellten seien alle Akademiker und würden überdurchschnittlich bezahlt, meint er lediglich - und versteckt sich ansonsten hinter seinen Kunden: "Ich bin ein Dienstleister und muss mich meinen Kunden anpassen." Nur den Tarif für die studentischen Teilzeitkräfte verrät er. Sie arbeiten auf 400-Euro-Basis und verdienen 8 Euro die Stunde. Die Bezahlung erfolge pauschal und ohne Nachtzuschlag. Möglicherweise ist das ein Grund, warum er nach eigenen Angaben Schwierigkeiten hat, Mitarbeiter für die Nachtschicht zu finden.
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