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M.I.A.Wie ein Marmorkuchen

Geschichten zählen auf M.I.A.s neuem Album "Kala": Von Huren und Schmugglern, Freiern und Babymothers. Verwirrend gute Sounds aus allen Gegenden der Welt.

Mit der ganzen Welt gut gefeiert: Maya Arulpragasam Bild: Promo

Maya Arulpragasam ist wieder da. Und zwar "with power, power", sprechsingt sie im Opener ihres neuen Albums "Kala". Sie war lange unterwegs, in Indien, in Trinidad, Australien, Jamaika, in Japan und den USA. Wollte sie erst nur im Sinne von Auszeit verreisen, hat sie dann doch überall, wo sie war, wild rumgenetzwerkt, hat sich in Studios eingemietet, hat Sounds aufgenommen und Tracks verschraubt. In Indien hat sie Perkussionisten, in Nigeria einen Rapper eingespannt, in Australien hat sie gleich einen ganzen Aborigine-Knabenchor auf ihre Festplatte singen lassen.

Maya Arulpragasam aka M.I.A. hat also ein bisschen den Alexander Hacke gemacht: Ihr musikalisches Material an Weltenden zusammengesammelt, neue Stücke aus unterschiedlichen geografischen Materialschichten zusammengebacken wie einen Marmorkuchen. Und jetzt steht sie da, mit einem Pass voller Visa-Stempel, als bestätigte Globetrotterin des Pop. Sie hat die Glossolalie der Metropolen-Slangs und Patois-Eloquenz mit zurückgebracht, und ist jetzt ein "Bamboo Banga" und ein "Big Timer", macht den "Duppa Bounce" und den "Jun cha cha gegujun cha". Vor allem aber ist sie aber "back with power, power." In dem Moment setzt die Bassdrum ein. Und alle Arme fliegen hoch.

Mit ihrem Erstling "Arular" machte M.I.A. 2005 ordentlich Wirbel. Ihre Adaption des Peaches-Konzepts "1 Frau, 1 Maschine, 1 Mikro" verschnitt südamerikanischen Baile Funk, arschwackelnden Miami Bass, asiatische Bhanghra-Tunes und hingerotzte Vocals. Man sprach elektrisiert von neuem Globalpop und kramte seinen Homi K. Bhabha aus dem Buchregal, weil man endlich ein wunderbar griffiges Anwendungsbeispiel für dessen Hybriditätstheorie gefunden zu haben glaubte.

Zu allem Überfluss verfügte M.I.A. noch über eine passgenaue Lebensgeschichte: Ein Vater, der mit der tamilischen Befreiungsarmee abtaucht, die Flucht aus dem Bürgerkriegsland Sri Lanka nach Indien, Hunger und Krankheit in Madras, die Emigration in einen rassistisch geprägten Londoner Stadtteil - und schließlich ein hart erkämpfter Platz auf einer Upperclass-Kunsthochschule. An ihrem letzten Hochschultag sprengt sich in Colombo einer ihrer Cousins als Selbstmordattentäter in die Luft. "Arular" wird dann für den Mercury Prize nominiert und dieser Erfolg macht M.I.A. von jetzt auf gleich zu einem popmusikalischen Schwergewicht.

Aber von diesem Gewicht hat sie sich nicht beeindrucken lassen. Wenn eines deutlich wird auf "Kala", dann das: Geld ist ihr egal. Wenn irgendetwas zählt auf "Kala", dann das: Leute auf die Landkarte zu setzen, die noch nie eine Landkarte gesehen haben. Ihre Geschichten erzählen, die Geschichten von Huren und Wegelagerern, von Schmugglern und Mördern, von Freiern und Baby Mothers, in allen möglichen machtpolitisch eher peripheren Weltgegenden. M.I.A. meint es ernst. Im CD-Booklet dankt sie allen, die von sich sagen können: "Ich bin Weltbürger und meine Religion ist es, Gutes zu tun."

Aber sie betreibt das Ernste irgendwie unernst, und das rettet sie vor der Bono-haftigkeit. Sie faselt in ihren Lyrics viel zu viel unverständliches Zeug, und sie häuft viel zu viele Soundbröckchen und -Referenzchen übereinander, als dass da noch eine Herkunftsverortung und damit irgendeine Art von klarer politischer Aussage möglich wäre. Überall leuchten die Slogans hervor, nichts aber gerinnt zum Manifest. Alles bleibt ein Spiel mit Bedeutungen, Sprachklängen, beatgemäßem Redefluss und einer glitzernden Mannigfaltigkeit von Sounds. "Kala" ist ein im besten Sinne verwirrtes Album geworden. Ein großartiges Album.

Da ist zum Beispiel "Jimmy". Darin singt M.I.A. - ja, sie versucht es diesmal mit dem Singen, mit sympathischem Misserfolg: "Take me on your genocide tour, take me on a truck to Darfur". Dann geht das Stück weiter und ist plötzlich nur noch Liebeslied, verpackt in einen Village People-artigen Discotrack, mit stilechten Space-Sounds, Schmierstreichern und Oktavbass. In dem Stück "20 Dollar", das es schafft, mit schneidenden Synthies New Orders "Blue Monday" und die Pixies in einem Rutsch zu zitieren, geht es darum, dass man in Afrika für 20 Dollar eine Kalaschnikow bekommt und auch mal für ein Bandana mordet. Die crunkige Rumba "Hussel" erzählt in Kollaboration mit dem Rapper Afrikan Boy aus Nigeria von Afrikanern, die sich abmühen, um im Ausland Zahnarzt zu werden, und im Anschluss zuhause den Larry raushängen lassen, weil sie ihrer Familie Hershey-Riegel kaufen können. Vielleicht ist das alles sogar richtig lustig, vielleicht ist es tragisch, vielleicht verarbeitet M.I.A. auch die Dinge, die sie erschrocken haben da unten und da drüben. Nur mit dem Zeigefinger wackeln tut es sicher nicht.

Absolute Höhepunkte der Platte sind "Boyz", die fetteste Ode an den Bass-Sound und die triolischen Rhythmen des Karnevals in Rio ever, "Bamboo Banga", M.I.A.s Meisterstück an supercoolem Ein-Ton-Ausspuck-Rap auf Favela-Booty-Bett - und schlussendlich "Paper Planes", ihre erste süße Hiphop-Ballade, inklusive hochgepitchten Kleinkindstimmen, Clash-Samples und einem ingeniös gesetzten Pistolenschuss.

Nach "Kala"-Hören bleibt ein wunderbares Lost-in-Translation-Gefühl. Etwas dumpf regt sich etwas in einem gegen die Gewalt, die Korruption und die Scheiße rigider Geschlechterrollen in Gegenden, die man im Lebtag nicht richtig verstehen wird. Problemen, die vielleicht auch M.I.A. noch nicht zur Gänze durchstiegen hat. Aber sie hat definitiv gut gefeiert mit all diesen Leuten.

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