Krieg im Kongo: Humanitäre Katastrophe
Zehntausende Menschen fliehen vor dem neuen Krieg im Kongo. Es könnten Hunderttausende werden. Hilfswerke kritisieren die Nähe der UN-Truppen zur Regierungsarmee.
GOMA taz Die Zahl der Kriegsvertriebenen in der ostkongolesischen Provinz Nord-Kivu steigt, aber immer weniger von ihnen bekommen Hilfe. Wie die humanitäre Abteilung der UNO (OCHA) gestern in Nord-Kivus Provinzhauptstadt Goma mitteilte, ist die Zahl der registrierten Vertriebenen in der vom Krieg betroffenen Südhälfte der Provinz seit Beginn der neuen Kämpfe zwischen Regierung und Rebellen vor zehn Tagen von rund 224.000 auf rund 295.000 gestiegen. Nur rund 50.000 von ihnen sind überhaupt für Hilfswerke zugänglich. In der ganzen Provinz gibt es jetzt rund 700.000 Vertriebene, und die UNO rechnet mit einem Anstieg auf über eine Million - ein Fünftel der Bevölkerung.
"Immer wenn es Kämpfe gibt, gibt es zehntausende Vertriebene", resümiert der OCHA-Leiter in Goma, Patrick Lavandhomme. "Und immer wenn irgendwo Soldaten hinkommen, gibt es Übergriffe gegen die Bevölkerung."
Das Vertriebenenelend hat sich durch den neuen Krieg zwischen Regierungstruppen und dem Tutsi-Rebellenführer Laurent Nkunda dramatisch verschärft. "Zum ersten Mal im Kongo haben wir vertriebene Bevölkerungen, die zu hundert Prozent von Lebensmittelhilfe abhängig sind", berichtet das UN-Welternährungsprogramm WFP. Sogar in den UN-versorgten Lagern - eine Minderheit - seien 17 Prozent der Menschen unterernährt. Auf dem Landweg ist es jetzt aber aufgrund der Kämpfe nicht mehr möglich, Lebensmittel aus der Provinzhauptstadt Goma in den Rest der Provinz zu bringen.
Auch der Luftweg ist nicht sicher: Nachdem Kongos Regierung diese Woche mit einem Kampfhubschrauber die Zivilbevölkerung des Rebellengebiets in den Masisi-Bergen bombardierte, musste ein UN-Hubschrauber mit Lebensmitteln kehrtmachen.
Dass die UN-Mission im Kongo (Monuc) die Regierungstruppen mit Transportflügen unterstützt, macht die UNO in den Augen der Kongolesen zur Kriegspartei. Das macht UN-Hilfswerken die Arbeit noch schwerer. "Ihr seid mit der Monuc, also seid ihr mit der Regierung", fasst ein Helfer das Vorurteil der Bevölkerung zusammen. Manche Organisationen verzichten inzwischen aus Sicherheitsgründen auf eine UN-Eskorte - ein perverses Resultat einer Friedensmission.
Der Verlust der 25.000 Einwohner zählenden Stadt Sake 30 Kilometer westlich der Provinzhauptstadt Goma, bisher die wichtigste Frontstellung der Regierungstruppen gegen die Nkunda-Rebellen, hat die Angst der Menschen verschärft. Die Regierungstruppen zogen sich am Donnerstagnachmittag aus Sake zurück und riefen die gesamte Bevölkerung zur Flucht auf, um den Ort bombardieren zu können, nachdem Nkundas Rebellen dort eingerückt waren. Die UN-Mission handelte daraufhin eine Feuerpause für Sake aus und überredete Nkundas Kämpfer, den Ort den Blauhelmen zu überlassen. Aber dennoch machten sich zehntausende Zivilisten und Soldaten aus Sake auf den Weg nach Goma, die Teerstraße am Kivu-See entlang.
Das erzeugte am Donnerstagabend in der Provinzhauptstadt den Eindruck, es sei eine Massenflucht vor vorrückenden Rebellen im Gange. Es kam zu Panikszenen und Unruhen. UN-Fahrzeuge in Goma wurden mit Steinen beworfen.
Rund 10.000 Menschen kampieren nun in Mugunga auf halbem Weg zwischen Sake und Goma unter freiem Himmel, ohne jede Hilfe. "Sie haben nicht einmal Plastikfolien, um sich vor dem Regen zu schützen", konstatierte Dick Anderson vom US-Hilfswerk "Heal Africa" nach einem Besuch in Mugunga.
Weil der Krieg sich Goma nähert, werfen viele Menschen der UNO vor, nicht genug gegen Nkundas Rebellen zu tun. Aber sie misstrauen auch der Regierungsarmee, deren Soldaten für Plünderungen und Vergewaltigungen verantwortlich sind. "Die UN-Mission sollte dem Schutz der Zivilbevölkerung Priorität vor der Unterstützung der Regierungstruppen einräumen", fordert ein Helfer. "Leider ist dies derzeit nicht zu erkennen."
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