Callcenter: Berufsziel Dampfplauderer

Drangsalierte Mitarbeiter, unlautere Geschäftsmethoden - kaum eine Branche hat einen so schlechten Ruf wie die Callcenter. Wie sie versucht ihr Schmuddelimage loszuwerden.

Bisher war im Callcenter arbeiten eine Verzweiflungstat. Jetzt wird es Ausbildungsberuf. Bild: dpa

Eine junge Frau hetzt durch den morgendlichen Berufsverkehr, in dem viele young urban professionals unterwegs sind. Eine davon ist Anja Hoffmann. Im Büro angekommen, geht sie zuerst an ihr Schließfach, dann in den Personalraum, wo zwei Kollegen sitzen. Der eine ist in die Lektüre einer Zeitung versunken, die andere begrüßt Anja. Nach etwas Smalltalk geht sie zu ihrem Arbeitsplatz, stöpselt ihr Headphone mit integriertem Mikro an den Computer und beginnt mit einen Lächeln ihren Arbeitstag.

Diese Szene ist nicht aus dem wirklichen Leben, sondern aus einem Werbefilm des Branchenverbandes Call Center Forum Deutschland (CCF), bei dem die meisten der 20.000 Betriebe organisiert sind. Der Film hält neben der Karrierefrau "Anja Hoffmann", die junge Mutter "Erika Sundermann", den südländisch wirkenden HipHop-Fan "Dieter Müller" oder den ergrauten Arbeitnehmer "Egon Sittel" parat. Er soll den Eindruck vermitteln: Bei uns sind alle dabei. Und wir kümmern uns um unsere Mitarbeiter. Denn wir sind eine grundsolide Branche.

Warum die Callcenter-Branche derlei Werbemaßnahmen nötig hat, liegt auf der Hand. Sie ist in Verruf geraten: entrechtete Mitarbeiter, lausige Arbeitsbedingungen, schlechte Ausbildung, Einschüchterung durch Vorgesetzte und unlautere Geschäftsmethoden lauten die Vorwürfe. Nicht zufällig war es in der ersten Talkshow von Anne Will eine Callcenter-Agentin aus Sachsen, die als schlimmes Beispiel für Billigarbeit in Deutschland herhalten musste.

Die Verkäufer (Outbound): Hier fängt fast jeder an, der die ersten Schritte in der Callcenter-Branche macht. Adressen und Telefonnummern potenzieller Kunden werden im großen Stil gekauft. Dann geht es darum, Zeitschriften-Abos, Lotterielose oder Kaffeemaschinen per Telefon loszuschlagen. Gearbeitet wird in Großraumbüros mit Trennwänden. Nebenan sitzen die Teamleiter und überwachen das Verkaufsgeschick. Es herrschen strenge Quoten an Telefonnummern, die pro Stunde abtelefoniert werden müssen. Provisionen gibt es meist erst nach einer bestimmten Menge von Verkäufen. Viele Kunden wissen oft nicht, dass es bei telefonischem Kauf bis zu einem Wert von 200 Euro kein Widerrufsrecht gibt.

Die Zurückholer (Outbound): Hier werden Kunden, die bereits im Register stehen, aber etwa ein Abo gekündigt haben, angerufen, um sie umzustimmen. Zumeist ältere Kunden lassen sich so manchmal wieder einfangen - oft in dem Glauben, es sei tatsächlich "ihre" Zeitung, die sich bei ihr meldet.

Die Manualisten (Inbound): Wenn Kunden von sich aus zum Telefonhörer greifen und anrufen, ist das die angenehmere Situation für den Callcenter-Agenten. Im Inbound ist das Arbeitsklima besser und die Fluktuation niedriger. Inbound-Center, wie sie beispielsweise die Telekom oder die Bahn betreiben, sind häufig über die ganze Republik verteilt. In dieser Callcenter-Sparte treffen auch die Notrufe beim ADAC ein, oder der Kunde kann den Status seiner Neckermann-Bestellung erfragen. Die Agents beantworten einfache Fragen; bei den Telekommunikationsservices etwa schauen sie in ihren Bedienungsanleitungen nach, die auf dem Rechner aufrufbar sind, und lesen den Anrufern vor.

Die Experten (Inbound): Sie sind die Oberklasse der Telefondienste. Diese Callcenter, mitunter direkt zu Herstellerfirmen gehörend, sind darauf spezialisiert, exakte Auskünfte zu geben. Sei es die Lufthansa, die verloren gegangenes Gepäck wieder aufspürt, eine Hotline, die bei Vergiftungen den entscheidenden Tipp geben muss, oder der Software-Support des Computerherstellers Dell. Hier müssen geschulte und sachkundige Agents sitzen, andernfalls liefe das Unternehmen Gefahr, Kunden zu verprellen, und Notrufdienste verlören ihre Glaubwürdigkeit. Viele Agents, die hier arbeiten, verdienen ein festes Gehalt und können häufig auch wegen der Unternehmensgröße auf die innerbetriebliche Mitbestimmung zählen. BD, JON

Kürzlich kündigte Bundesjustizministerin Brigitte Zypries einen Gesetzentwurf gegen Telefonverträge an. Und Seniorenportale ermutigen Konsumenten, bei ungewollten Anrufen von Callcenter-Agenten schnell aufzulegen. "Die unerwünschte Telefonwerbung hat sich zu einem flächendeckenden Problem entwickelt", sagt Zypries.

Der Branche ist die Kritik nicht entgangen. Seit einiger Zeit versucht sie, dem Ruf der halbseidenen Werber entgegenzuwirken. Das zeigt sich schon beim Streit über die Zahlen. Denn in Callcentern wird zwischen "Inbound" und "Outbound" unterschieden, also zwischen dem Bereich, in dem Anrufe von Kunden bearbeitet werden, und jenem, in dem Mitarbeiter von sich aus Leute anrufen, meist, um ihnen etwas zu verkaufen. Zwei Drittel der 400.000 "Callcenter-Agents" seien im Outbound tätig, meint Lothar Zindel, ein für Bildung zuständiger Sekretär der Gewerkschaft Ver.di. "Falsch", widerspricht Manfred Stockmann, der Präsident des Branchenverbands CCF. Zwei Drittel der Callcenter-Agenten arbeiteten im Inbound, also im Telefonservice, schätzt er. Hotlines, bei denen sich Verbraucher Rat suchend melden, haben einen besseren Ruf als lästige Werbeanrufe.

Zu einer Verbesserung des Ansehens sollen auch die neuen Ausbildungsberufe beitragen. Seit August vergangenen Jahres gibt es den dreijährigen Ausbildungsberuf "Kaufmann/frau für Dialogmarketing" und die zweijährige Ausbildung zur "Servicefachkraft für Dialogmarketing". Jeweils rund 1.500 Ausbildungsverträge wurden in den beiden ersten Ausbildungsjahren abgeschlossen - angesichts der 400.000 Beschäftigten, die in 5.600 Callcentern tätig sind, recht magere Zahlen.

Bei Ver.di sieht man die neuen Ausbildungsberufe kritisch. Die zweijährige Ausbildung zur "Servicefachkraft für Dialogmarketing" wurde ohne Beteiligung der Gewerkschaft festgelegt. Es bestünde die Gefahr, dass Ausbildungsverträge abgeschlossen würden, um Beschäftigte für ein Lehrlingsgehalt arbeiten zu lassen, ohne dass diese nach zwei Jahren auch übernommen würden, meint Zindel, der für Ver.di die ergebnislosen Verhandlungen mit dem Branchenverband geführt hat. Die kaufmännischen Grundlagen, die den Lehrlingen auch in anderen Branchen Chancen eröffnen könnten, würden erst im dritten Lehrjahr des Berufsbildes des "Kaufmanns für Dialogmarketing" gelehrt.

In der Tat könnte man durch billige Lehrlinge sparen: So bekommt ein Lehrling in Frankfurt am Main im dritten Lehrjahr 650 Euro im Monat. Ansonsten liegen die Stundenlöhne für Callcenter-Agenten bei 5 bis 10 Euro, wobei Provisionen durch zu hohe Vorgaben zumeist nicht erreicht werden. "Für einen Monatslohn von 1.500 Euro brutto muss ein Agent oft mehr als vierzig Stunden wöchentlich arbeiten - abzüglich aller Arbeitspausen", schildert ein 39-jähriger Exmitarbeiter eines Berliner Callcenters, der anonym bleiben will. Über die Praktiken seiner Firma erzählt er: "Die haben einige Mitarbeiter dafür eingesetzt, neue zu akquirieren. Es gab Listen von arbeitslos gemeldeten Menschen, die systematisch abtelefoniert wurden. Jede Woche kamen so hundert neue Leute, die meisten mussten die erste Woche umsonst arbeiten. Viele waren wegen dem grässlichen Druck nach ein paar Tagen wieder weg. Geld haben die nie gesehen."

Vertreter der Branche betonen hingegen die Chancen, die der Job biete. "Wir stellen auch 60-Jährige ein. Jemand mit Lebens- und Berufserfahrung kann auch in sechs bis zwölf Wochen den Beruf erlernen", sagt CCF-Präsident Stockmann.

Um zu gewährleisten, dass die betriebliche Weiterbildung für die Agenten gewissen Standards entspricht, geht der CCF nun neue Wege. "Wir arbeiten gerade an einem Gütesiegel für die Betriebe und fordern empfindliche Geldstrafen für die Betreiber, die mit unlauteren Methoden agieren", berichtet Stockmann. Bis zum Januar kommenden Jahres sollen Portale für Verbraucher und Mitarbeiter entstehen: ein Portal für geschädigte Kunden, das andere, um Verstöße gegen das Arbeitsrecht entgegenzunehmen. Im CCF sind jedoch nur 280 Unternehmen organisiert.

Justizministerin Zypries plant einen Gesetzentwurf, laut dem im Unterschied zur bisherigen Regelung auch für Telefonverträge über Abonnements von Zeitschriften und Lotterielosen ein Widerrufsrecht gelten soll.

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