Eine Familie kehrt nach Bagdad zurück: Zurück ins Ungewisse

Weil die Lage ruhiger geworden ist, kehren viele Flüchtlinge in den Irak zurück. Auch Familie Ghazi hofft auf ein sicheres Leben in Bagdad.

Optimistischer Blick in die eigene Zukunft: Familie Ghazi Bild: Karim El-Gawhary

Sie wirken glücklich, fast ausgelassen. "Wann gehen wir in den Vergnügungspark?", fragt das Kind, während der Vater ein stabiles Vorhängeschloss aufschließt und die ganze Familie eintreten lässt, um das einst zurückgelassene Heim wieder mit Leben zu füllen. "Wir danken Gott, dass wir zu unseren Leuten und in unser Land zurückgekehrt sind", verkündet der sichtlich erleichterte Mann.

So sieht der neue Werbefilm aus, mit dem die irakische Regierung für die Rückkehr der zweieinhalb Millionen irakischen Flüchtlinge per Satellitensender wirbt. Der von der Regierung finanzierte Trailer endet mit dem Slogan: "Wie süß ist es, wieder in die irakische Heimat zurückzukehren."

Für in den Irak zurückkehrende Flüchtlinge ist die Sicherheitslage nach wie vor schlecht. Trotz leichter Verbesserungen warnen die Vereinten Nationen vor einer massenhaften Rückkehr - das Land könne eine große Zahl Repatriierter noch nicht verkraften. Gegenwärtig kehren nach UN-Angaben tausend mehr Menschen in den Irak zurück, als ihn verlassen.

4,2 Millionen Irakerinnen und Iraker haben nach UNHCR-Angaben seit Kriegsbeginn 2003 ihr Land verlassen. 1,5 Millionen Menschen seien nach Syrien geflüchtet, drei viertel Millionen nach Jordanien, aber auch nach Libanon, Ägypten und andere Staaten. Besonders schlimm ist die Lage der Flüchtlinge in Libanon, wo erschreckend viele Iraker interniert werden, weil sie keine Papiere haben. Die einzige Möglichkeit, freizukommen, sei die Rückkehr in den Irak.

Sorge macht dem UNHCR die Prostitution irakischer Flüchtlingsfrauen und -mädchen. Bei sogenannten Wochenendehen würden Mädchen gegen Geld an einem einzigen Wochenende traditionell verheiratet und am Sonntag gleich wieder geschieden. Dies werde zwar nicht Prostitution genannt, tatsächlich aber handele es sich um bezahlten Sex, der das Überleben vor allem allein erziehender Frauen und ihrer Kinder sichern soll.

Erfolgsmeldungen aus dem Irak sind rar. Kein Wunder also, dass sich die Regierung von Premier Nuri al-Maliki über jede freut. Die Nachricht von zehntausenden irakischen Flüchtlingen, die in den letzten Wochen ins Land zurückkehrten, ist endlich mal eine. 46.000 Iraker sollen sich laut Regierungsstatistik zwischen Mitte Oktober und Mitte November vor allem aus Syrien wieder auf den Weg nach Hause gemacht haben. Im November kamen jeden Tag 1.500 Iraker aus Syrien zurück, in der gleichen Zeit gingen nur 500 dorthin. Als Grund dafür nennt der Premier die durch die Verstärkung der US-Truppen verbesserte Sicherheitslage. Die Regierung bietet kostenlosen Transport sowie 600 Dollar Startkapital. "Die Rückkehr ist ein großer Sieg für die Durchsetzung von Ordnung und für die Versöhnung", schwärmt der Sprecher der irakischen Armee, General Kassem al-Mussawi.

Auch die Ghazi-Familie sitzt in Kairo vor dem Fernseher und schaut sich einen Bericht über die Rückkehr der Flüchtlinge an. Bei der Ankunft werden die Heimkehrer von einer Gruppe tanzender Männer empfangen, anschließend bekommt jeder einen Briefumschlag mit Geld. Es ist ein sehr optimistischer Blick in die eigene Zukunft der Ghazis. Vor einem Jahr sind die drei aus Bagdad nach Kairo geflohen - aus Angst vor marodierenden Milizen, sagt Schaiman, die Mutter. Während sie erzählt, packt sie erneut ihre Taschen. Diesmal, um nach Bagdad zurückzukehren. Baschar, ihr Mann, spielt mit der sieben Monate alten Tochter Rania und erklärt dabei, warum sie zurückgehen. "Uns ist einfach das Geld ausgegangen. Alles Ersparte ist weg, und ich habe hier in Kairo keine Arbeit gefunden. Da habe ich gehört, dass es in Bagdad wieder etwas ruhiger geworden ist", erklärt er. Schaima macht sich kaum Illusionen über die Rückkehr in ihre Heimat. "Das Leben hier in Ägypten ist zweifelsohne besser und sicherer. Aber wie lange können wir ohne Arbeit und Geld überleben?", fragt sie. "Da ist es doch besser, zurückzugehen."

Pleite auf der Flucht

Die Motive der Ghazis decken sich mit Umfrageergebnissen des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR). In Syrien, wohin seit Beginn des Krieges anderthalb Millionen Iraker geflüchtet sind, hat die Organisation 110 Flüchtlingsfamilien nach ihren Beweggründen für die Heimkehr befragt. Fast die Hälfte gab an, sich den Aufenthalt im Exil schlichtweg nicht länger leisten zu können. Mehr als 25 Prozent gaben strengere Visaregeln als Grund an. Nur 14 Prozent lockt die verbesserte Sicherheitslage. Für eine Entwarnung in Sachen Sicherheit sei es zu früh, mahnt auch das UNHCR. "Wir ermutigen und organisieren derzeit keine Rückkehr von Flüchtlingen in den Irak. Das sollte nur geschehen, wenn die Bedingungen für ihre Sicherheit gegeben sind", warnt UNHCR-Nahostsprecherin Abeer Etefa. Was sie nicht sagt: Washington macht Druck auf die UN, mehr für die Rückkehr der Iraker zu tun.

Was auf den ersten Blick wie eine Erfolgsgeschichte Washingtons und Bagdads aussieht, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Niederlage. Die internationale Gemeinschaft war bisher nicht in der Lage, den arabischen Nachbarstaaten des Irak zu helfen, den Flüchtlingen ein Überleben im Exil zu sichern. Länder wie Syrien und Jordanien fühlen sich dabei vollkommen allein gelassen. Beide nicht gerade wirtschaftlich starken Länder haben eine irakische Flüchtlingsgemeinde aufgenommen, die einem Zehntel ihrer eigenen Bevölkerung entspricht.

Einige Iraker haben sich über Syrien bis in den Libanon durchgeschlagen. Möglicherweise ein Fehler, denn in Beirut geht man besonders willkürlich mit den Neuankömmlingen um. Immer wieder verhaften die libanesischen Behörden irakische Flüchtlinge ohne Papiere und stellen sie vor die Wahl: Entweder sie gehen auf unbestimmte Zeit ins Gefängnis, oder sie kehren freiwillig zurück. Dieses ungesetzliche Vorgehen hat kürzlich die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch dokumentiert, Titel der Studie: "Verrotte hier oder stirb dort."

Während die Zahl der Flüchtlinge im Exil leicht sinkt, steigt die der Binnenflüchtlinge im Irak an. Auf 2,3 Millionen schätzt der Irakische Rote Halbmond die Zahl derer, die im eigenen Land auf der Flucht sind. Und es könnten noch mehr werden. Denn viele Rückkehrer aus dem Ausland können keineswegs einfach ihr Haus wieder aufschließen, sondern treffen dort auf neue Bewohner. Wer heute als Sunnit in sein jetzt ausschließlich von Schiiten bewohntes Viertel zurückkehren will oder umgekehrt, kann das vergessen. Die Ankunft der Familien aus dem Ausland könnte sich gerade in den einst gemischten Vierteln als ein Funke im Pulverfass erweisen.

Immerhin melden sich trotz staatlicher Förderung der Rückkehr auch erste kritische Stimmen aus der irakischen Regierung selbst. "In Wirklichkeit können wir keine Rückkehr von Flüchtlingen in großem Stil verkraften", sagte Abdul Samad Rahman, Minister für Migration, diese Woche. "Die Rate der Rückkehrer steht in keinem Verhältnis zur verbesserten Sicherheit."

Fraglich ist auch, ob dem brüchigen Frieden in Bagdad zu trauen ist. "Manchmal habe ich das Gefühl, es ist im Moment nur ruhiger, weil alle eine große Dosis Schlafmittel genommen haben", meint Walid Abdul Jawad zum Befriedungsprogramm der US-Armee und der irakischen Regierung. Er wohnt im schiitischen Teil al-Amels in Südbagdad, der selbst von einer sunnitischen Enklave umschlossen ist.

Bunte bewaffnete Truppe

Keiner dort weiß, ob die Ruhe von Dauer ist. Sichern sollen sie die neuen sogenannten Nachbarschaftswächter, von denen die US-Armee bisher 12.000 in Bagdad angestellt hat. Eine bunte Truppe, die im kommenden Jahr auf 45.000 anwachsen soll. Für 300 Dollar Monatsgehalt, ausgerüstet mit einem Ausweis, der sie zum Tragen einer Waffe berechtigt, tun die Nachbarschaftwärter ihren Dienst. Auf sunnitischer Seite verdienen sich auf diese Weise viele einstige Aufständische ihren Lebensunterhalt, von den Schiiten verdingen sich dort auch ehemalige Kämpfer der Mahdi-Miliz. Nicht die verstärkte Präsenz der US-Armee, sondern dass Milizenführer Muktada al-Sadr seine Leute angewiesen hat, ihre Waffen zeitweise niederzulegen, sehen viele Bagdader als Hauptgrund für die Verbesserung der Sicherheitslage. Dass das kein Dauerzustand sein muss, davor warnte al-Sadr diese Woche mit den drohenden Worten: "Wir warten auf den Befehl von Gott."

Wie willkürlich und zerbrechlich der von den neuen Nachbarschaftswachen durchgesetzte Frieden ist, erkennt man am Standort der Kommandozentrale der sunnitischen Wächter von al-Amel. Die aus US-amerikanischen Steuergeldern finanzierten Wächter haben sich im Haus einer vertriebenen schiitischen Familie eingerichtet.

Übrigens hat sich die Ghazi-Familie gleich nach ihrer Ankunft in Bagdad telefonisch gemeldet. Ihr Flugzeug aus Kairo hatte mehrere Stunden Verspätung, deshalb kamen sie mitten in der Nacht am Flughafen an. Dort haben Schaima, Baschar und Rania dann in der Ankunftshalle übernachtet. Keiner ihrer Verwandten hat sich getraut, sie nachts von dort abzuholen.

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