Kommentar Fremdenfeindlichkeits-Studie: Angst vor dem Absturz
Die Fremdenfeindlichkeit sinkt, Vorurteile gegen Arbeitslose und soziale Konkurrenz dagegen steigen - die neue Bielefelder Studie beschreibt merkwürdig widersprüchliche Trends.
D ie Ressentiments gegen Minderheiten wie Homosexuelle und Muslime nehmen, laut der Studie des Bielefelder Sozialforschers Wilhelm Heitmeyer, in Deutschland ab. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte kommt gleich hinterher: nämlich frappierende Vorurteile gegen Arbeitslose. 40 Prozent der Deutschen meinen, dass zu viel Rücksicht auf Versager genommen wird. Das sind unchristlich viele.
Stefan Reinecke, 48, lebt in Berlin-Kreuzberg, war früher Redakteur der taz-Meinungsseite und ist seit fünf Jahren Autor der taz. Er beschäftigt sich vor allem mit Innenpolitik, Parteien und Geschichtspolitik.
Diese Zahlen stellen die - von Blättern wie Bild befeuerte - endlose Neiddebatte vom Kopf auf die Füße. Nach dieser sollen Leistungsunwille und Neid auf die Erfolgreichen die Geißel der bundesrepublikanischen Gesellschaft sein. So ist es aber nicht: Das Problem ist keineswegs, dass die, die unten sind, denen, die oben sind, engherzig nichts gönnen. Stattdessen gönnen die unten sich gegenseitig nichts. Die meisten Ressentiments gegen Langzeitarbeitslose hegen nicht die aus der Mittelschicht, sondern jene, die im sozialen Ranking knapp über Hartz-IV-Empfängern stehen. Dieser Befund wirkt wie eine Blaupause für einen Fassbinder-Film: Die unten treten gegen die, die noch weiter unten stehen. Solidarität ausgeschlossen. Auch dass weit eher zur Fremdenfeindlichkeit neigt, wer seinen Arbeitsplatz bedroht wähnt, wirkt altbekannt - so bekannt, dass man zwischenzeitlich glatt vergessen konnte, dass es wirklich so ist.
Neu ist das Uneinheitliche, Widersprüchliche der Trends. Die Gesellschaft wird, etwa was sexuelle Vorlieben angeht, liberaler - was Soziales angeht, indes härter. Die Libertinage nimmt zu, ein rücksichtsloses Nützlichkeitsdenken auch. Zu merken war dies schon in der Unterschichtendebatte vor einem Jahr, in der der faule RTL2-süchtige Hartz-IV-Empfänger als Übeltäter dingfest gemacht wurde.
Die aus Angst geborene Verachtung der Schwachen ist eine Tendenz. Sie ist nicht in Stein gemeißelt und nicht unumkehrbar. Sie hat wohl auch etwas mit der neuen Sichtbarkeit der Unterschicht zu tun. Hartz IV hat vielen erst vor Augen geführt hat, was zuvor verdeckt war. Ein mulmiges Gefühl allerdings bleibt. Wenn die soziale Konkurrenz schon im Aufschwung so massiv ist, wie geht es zu, wenn die Arbeitslosigkeit wieder steigt?
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