Spoken-Word-Prophet Saul Williams: Weltverbesserung zum Runterladen

Nach Radiohead versucht sich Saul Williams am Eigenvertriebs-Experiment im Netz. Und macht gemeinsame Sache mit Trent Reznor von Nine Inch Nails.

Bild: screenshot niggytardust.com/

Nach Radiohead hat nun auch Saul Williams neue Vertriebswege beschritten. In der Hoffnung, Konsumenten würden freiwillig für gute Musik zahlen, bietet der als Spoken-Word-Prophet bekannt gewordene Sänger sein neues Album ausschließlich und zunächst kostenlos im Internet an. Für den Vorstoß in die autarke Online-Distribution hat er sich mit Trent Reznor von Nine Inch Nails zusammengetan, der nicht nur die Musik produziert hat. Seit der viralen Marketingkampagne um sein eigenes Album experimentiert der Industrial-Rockstar im Internet, um seine Fans nach dem Niedergang der Tonträgerindustrie bei der Stange zu halten. Dabei sind die beiden Überforderungsmusiker einen Schritt weiter gegangen als die britische Indie-Band, deren Album kostenlos nur in mieser Qualität erhältlich war. So kann "The Inevitable Rise Of Niggy Tardust!" gleich mit anständiger Datenrate von 192 kbit/s heruntergeladen werden, 5 Dollar kostet die hochwertigere Version.

Zwei Monate nach dem selbstbestimmten "leak-date" zieht Reznor in seinem Blog allerdings eine ernüchternde Bilanz: Nur etwa ein Fünftel der über 150.000 offiziellen Downloader haben den Obolus entrichtet. Die bittere Einsicht lautet: Ob nun von Robbie oder Saul Williams - in Internet wird Musik zum Nulltarif bevorzugt. Da hilft auch kein Underground-Bonus. Zugleich räumt Reznor ein, dass die Stücke von Saul nun auf mehr iPods denn je kursieren. Und so dürfte sich das Eigenvertriebs-Experiment vor allem als Werbung für die Tour auszahlen. Versagt blieb ihnen indes die mediale Aufmerksamkeit des Radiohead-Hypes. Zudem überschattet der Bohei um die Veröffentlichungsstrategie die rar gesäte Rezeption. Schade, denn Saul Williams liefert mit "Niggy Tardust" sein bisher geschlossenstes und intensivstes Album ab.

Nachdem Rick Rubin das Debüt "Amethyst Rockstar" etwas überproduziert hatte und Williams sich mit dem entgrenzten Nachfolger ins Niemandsland zwischen Hiphop und Dance-Punk beförderte, stellt Reznor der überbordenden Sprachgewalt des Sängers nun ein kongenial brachiales Sounddesign gegenüber: immer schön auf die Fresse. Pathetische Power-Chord-Simulationen und krachig verzerrte Beats bilden die klaustrophobischen Ruinen, aus denen sich Williams Alter Ego "Niggy Tardust" mit tausend Zungen erhebt. Als Metaphern spuckende Hydra, exaltierter Bluesbruder und Cyber-Voodoo-Priester aus dem Vokoder greint, rappt und singt der einstige Sklave der Musikindustrie gegen ökonomische und spirituelle Ausbeutung an. Auch in den ruhigen Songs bleiben die Inhalte politisch aufgeladen und radikal, so dass einem nach knapp einer Stunde Spielzeit gehörig die Ohren schallern.

Während Williams seine Gesellschaftskritik mittlerweile als lyrischen Subtext verdichtet hat, wettert der afroamerikanische Elite-Uni-Professor Cornel West gerne mit erhobenem Zeigefinger gegen soziale Misstände, um sich auch abseits des Campus Gehör zu verschaffen. Seit seinem Standardwerk "Race Matters" von 1993 ist der 54-jährige Promi-Gelehrte mit Lehrauftrag in Princeton für seine Ausflüge aus dem Elfenbeinturm bekannt. Er spielte in der "Matrix"-Trilogie mit und lässt keine Talkshow aus, um wild um sich fuchtelnd gegen Präsident Bush, soziale Ungerechtigkeit, Rassismus und Gangsta Rap zu polemisieren.

Auf seinem zweiten Album "Never Forget: A Journey Of Revelations" (Hidden Beach) hat sich der engagierte Intellektuelle mit namhaften Musikern verbündet, um das politische Bewusstsein der Jugend mit den Mitteln des Hiphop und Neo-Soul zu mobilisieren. Darauf rechnen Talib Kweli und KRS-One in gewohnt kämpferischer Manier mit der Bush-Regierung ab, Jill Scott hält für ihre Schwestern die Fackel hoch, und der geläuterte Prince sorgt sich um das Klima.

Doch der Star des Albums ist West selbst. In der Tradition von Gil Scott-Heron und den Last Poets ruft er statt "Bitches & Bling" Martin Luther King, Jr. an: "Let freedom ring." Dann paraphrasiert er mit melodischem Sprachfluss und dringlichem Ton seine These über die Folgen des 11. Septembers 2001. Demnach verstehe die weiße Bevölkerung nun, was es heißt, Opfer von willkürlicher Gewalt zu sein, wie sie seit über 400 Jahren die schwarze Bevölkerung trifft. Das trojanische Pferd auf "Never Forget" aber ist "The N-Word", ein zwölfminütiger Dialog mit seinem Kollegen Michael Eric Dyson über den Gebrauch des angeeigneten Schimpfworts "Nigga". Unterlegt von lässiger Funkmusik fügt sich der intellektuelle Freestyle-Battle auf hohem Niveau und doch mühelos in das amtlich produzierte Album ein.

Wests erklärtes Ziel, die Jugend zu erreichen und Hiphop damit wieder zum Sprachrohr der Unterdrückten zu machen, scheint jedoch ins Leere zu laufen, vergeblich googelt man nach einer Sicherheitskopie von "Never Forget". Unbedingt sollte jemand diese pralle Ladung an klugem Weltverbessertum ins Netz stellen.

Saul Williams: The Inevitable Rise Of Niggy Tardust! (www.niggytardust. com) Cornel West & BMWMB: Never Forget: A Journey Of Revelations (Hidden Beach)

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