"Penthesilea" an der Berliner Schaubühne: Der Krieg als Droge

Bei Luc Percevals Inszenierung des Kleist-Stückes geht es weniger um die Liebe zwischen Penthesilea und Achill. Im Zentrum steht der besinnungslose Rausch der Zerstörung.

Katharina Schüttler als blasse Penthesilea im Kampfesrausch. Bild: dpa

Auf der Berlinale lief im Forum ein Dokumentarfilm, der von den Drogenexzessen junger Israelis nach Ende ihrer dreijährigen Wehrpflicht erzählt. Die Soldaten fahren nach Indien und dröhnen sich zu. Das Trauma soll durch träumen besiegt werden. Doch vielen gelingt diese sanfte Variante nicht, wie schon der Titel des Films nahelegt: "Flipping Out". Im Publikumsgespräch merkte ein älterer Mann an, dass die Verbindung von Krieg und Drogen doch schon auf Vietnam zurückginge. Tatsächlich geht sie viel weiter zurück. Die alten Griechen mögen es nicht so leicht gehabt haben, sich Stoff zu besorgen, aber das hinderte sie nicht, sich zu berauschen: Krieg ist eine Droge.

Penthesilea ist eine, die ausflippt. Sie handelt unlogisch in Heinrich von Kleists Drama, von Anfang an. Die Feinde ihrer Feinde sind auch ihre Feinde. Sie kämpft mit ihren Amazonen gegen die Trojaner und gegen die Griechen, obwohl jedes dieser Heere ihr gegen das andere zur Seite stehen würde. "Soweit ich weiß, gibt es in der Natur Kraft bloß und ihren Widerstand, nichts Drittes", kommentiert Odysseus ratlos, aber Penthesilea ist das Dritte, die pure Gewalt. Sie handelt "trunken", "rasend", "sinnberaubt". Am Ende bringt sie selbst den um, den sie liebt. Warum? Weil sie eine Amazone ist? Weil sie ein Eroberer ist und sich selbst einer umwerfenden Liebe nicht unterwerfen kann? Luk Percevals Inszenierung antwortet: Weil Krieg ist. Und Krieg Droge ist. Da kann man keinen guten Grund finden, du machst weiter, bis alles kaputt ist.

Für seine Inszenierung an der Berliner Schaubühne hat Perceval den Text auf knapp zwei Stunden gekürzt und einen Musiker mit E-Gitarre und einem großen Verstärker auf die Bühne geholt. Jean-Paul Bourelly, geboren 1960 in Chicago als Kind haitianischer Einwanderer, startete seine Karriere, als er 1979 nach New York zog - das Jahr, als "Apocalypse Now" in die Kinos kam. Seine Komposition für die Berliner "Penthesilea" ist laut, brachial, schmerzhaft und betäubend: ein Trip. Gleich in der ersten Szene übertönt sie alles, lässt von den Berichten, die die Boten vom Schlachtfeld geben, nur Fetzen zum Publikum durchdringen. Diese Fetzen sind selbstredend mit Bedacht gewählt: Das Elektrogewitter verstummt, wenn von den ersten Begegnungen Penthesileas und Achilles gesprochen wird; eine Begegnung, die Unerhörtes verheißt. "Wie zwei Sterne", wird es später jemand formulieren, "schmettern sie aufeinander ein."

Die Bühne, die Annette Kurz für diesen Krieg der Sterne entworfen hat, zeigt vor der runden Betonwand des Raumes nur einige riesige, zu einem Scheiterhaufen arrangierte Hölzer. Rundherum hängen Mikros vom Himmel. Der durch sie gestaltete Zirkel dient gleichzeitig als Laufbahn für die Krieger, die immer wieder bis zur Erschöpfung ihre Runden drehen, das Stampfen ihrer Stiefel durch die Tonabnahme verstärkt. Die Männer tragen schwarze Arbeitshosen, die Frauen aus unerfindlichen Gründen baumwollene Nachthemden von etwa 1905 (Kostüme: Ursula Renzenbrink). Dazu sind alle mit weißem Schlamm eingerieben, was der Szenerie etwas Atavistisches verleiht und diesen Krieg gleichzeitig zeitlos macht. Wenn die Männer zur Musik rhythmisch "Heil dir, Achill!" brüllen, sind wir bei den Griechen, in Preußen, bei den Nazis und im Fußballstadion.

Kleist erzählt die Geschichte einer pathologischen Liebe. Penthesilea und Achilles treffen sich auf dem Schlachtfeld, sind auf der Stelle unsterblich ineinander verliebt und damit sterblich. Sie möchten den anderen nicht gewinnen, sie müssen ihn besiegen: "Ich will zu Staub ihn sehen, der mir das kriegerische Hochgefühl verwirrt." Immer wieder fordern sie sich zum Zweikampf heraus, als wollten sie ein Gefühl vernichten. Achilles schließlich, der im Kampf triumphiert, unterwirft sich: "Ein Entwaffneter in jedem Sinne, leg ich zu Euren Füßen mich." Die Amazonin kann das nicht erkennen, weil Hingabe außerhalb ihrer Koordinaten liegt. Sie fällt mit ihren Hunden über den Wehrlosen her und zerfleischt ihn wie eine Bestie mit den eigenen Zähnen.

In der Fassung von Luk Perceval hat die Liebe nicht so viel Platz. Rafael Stachowiaks Achilles ist ein Schnösel mit Popstarallüren, dessen Verlangen sich eher wie eine coole Pose ausnimmt. Er wirkt verpeilt und mehr bei sich, wenn er mit den Jungs Machogesten üben kann. Auch Katharina Schüttler bleibt als Penthesilea blass. Ihr Nachthemd erscheint bald wie eine Zwangsjacke, in der sie ausrastet oder wie sediert ins Leere starrt. Ein großes Gefühl zwischen beiden ist selten zu spüren.

Das "große Gefühl" als Hoffnungsträger hat Perceval aufgegeben. Die Liebe ist in seinem Drama nicht fehlgeleitet, sondern durch permanenten Kriegszustand und andauernde Erniedrigung unmöglich. Wenn du über Generationen vergewaltigt wurdest, reicht nicht der Anblick eines schönen Mannes, dich von dem Trauma zu befreien. So ist es folgerichtig, dass Penthesilea hier am Ende nicht aus dem Rausch erwacht und sich aus Schmerz über die eigene Tat selbst tötet, sondern einfach geistig wegtritt, brabbelnd in der Wiederholungsschleife gefangen. Wie alle Krieger, Süchtige: reif für die Klinik.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.