SS-Marsch in Riga: "Gitler kaputt"

Jedes Jahr sorgt der Marsch der früheren lettischen SS-Legionäre für internationale Proteste. Die Bilanz dieses Jahres: Große Polizeipräsenz, ein paar hundert alte Männer

Jedes Jahr das Gleiche: Alte Männer, Blumen und viel Polizei. Bild: ap

RIGA taz Jedes Jahr am 16. März herrscht in der Innenstadt von Riga Ausnahmezustand. So auch dieses Mal. Es ist der Erinnerungstag der ehemaligen SS-Legionäre, die im Zweiten Weltkrieg mit der Wehrmacht gegen die Rote Armee gekämpft haben. Viele von ihnen sind nicht mehr am Leben, so ist der Zug übersichtlich. Dafür ist der Bürgermeister Janis Birks dabei, Mitglied der nationalistischen "Vaterlandspartei".

Etwa 200 alte Männer ziehen, nachdem sie im Dom von Riga gebetet und gesungen haben, zum Freiheitsdenkmal um die mitgebrachten Blumen niederzulegen. Sie wollen ihrer lettischen Kameraden gedenken, die in den Kesselschlachten verblutet sind und denjenigen, die in den sibirischen Straflagern ums Leben gebracht wurden, nachdem die sowjetische Militärpolizei sie als Faschisten zur Zwangsarbeit verurteilt hat. Sie wollen ihnen soldatische Ehre erweisen, mehr nicht.

Es gibt keine Reden, niemand salutiert, keine Abzeichen. Einige Wenige tragen die braune Uniform der nationalistischen "Dünaburg- Falken" aus den Vorkriegsjahren. Unter Hitler war sie verboten. In der ersten Reihe ein junges Paar in der alten Tracht der Kuren. Mit Filzschuhen, trotz Regen. Es sind viele lettischen Fahnen zu sehen, auch drei estnische und ein litauische, sie werden von jungen Männer mit kurzen Haaren und Lederjacken getragen. Sie gucken streng gerade aus und singen patriotische Lieder. Einer schlägt die Trommel. Vor dem Freiheitsdenkmal bilden sie ein Fahnenspalier, durch das alle gehen müssen, um zum Denkmal zu gelangen.

Die 200 alten Männer und die etwa 1.000 Menschen die mit ihnen gehen, die meisten von ihnen ebenfalls alt und sehr alt, wissen, dass ihr Marsch polarisiert. Lokal. International. In Deutschland und in Russland. Ein Wald von Kameras ist auf sie gerichtet.

Zwei Gegendemonstrationen sind angemeldet. Ihre Teilnehmer sind nicht weniger nationalistisch als die früheren SS-Legionäre. Vielleicht genauso so wie der Bürgermeister, dessen Teilnahme die politischste Manifestation des Tages ist. Es sind junge Russen, etwa 100, alle mit tief ins Gesicht gezogenen Wollmützen und in schwarzen Anoraks. Als die Legionäre an ihnen vorbeiziehen, rufen sie "Gitler kaputt", so wie es die Soldaten der Roten Armee im Mai 1945 den Deutschen ins Gesicht geschrieeen haben. Aber sie rufen auch "fuck off". Eine Art Pressesprecher der Gruppe erklärt den Umstehenden in Russisch, dass die alten Männer, Nazis seien, SS-Schergen, Mörder, Verbrecher, Handlanger des internationalen Revisionismus. Das sie den wachsenden Neonazismus Vorschub leisten. Oder der Wiedergeburt des Faschismus. Etwas diplomatischer hat dies der russische Botschafter in Lettland, Alexander Veshnyakov, im Fernsehen auch gesagt. Und dass er deshalb dieses Jahr die Augen besonders weit aufmachen würde.

Die Gegendemonstranten wissen oder wollen nicht wissen, dass die allermeisten Männer der "Lettischen SS-Freiwilligen-Legion" eigentlich tragische Figuren gewesen sind, keineswegs Freiwillige, wie die Deutschen mit Rücksicht auf die Haagener Konvention, die die Rekrutierung von einheimischer Bevölkerung besetzter Gebiete verbot, die Formationen nannte. Die "Legionäre", waren auf Himmlers Befehl 1943 und 1944 für den Fronteinsatz gezogen, weil die eigenen Soldaten schon verbraucht waren. Sie wurden nur dort eingesetzt, wo die Kämpfe besonders grässlich waren. Wie an der Oder, und im Kurland-Kessel. 52.000 Soldaten zählten die 15. und die 19. Lettische SS-Divisionen, fast alle von ihnen zwischen 18 und 22 Jahre alt. Als sie fielen stockte man die Divisionen mit lettischen Jugendlichen auf, die man zum Arbeitsdienst nach Ostpreußen geschickt hatte.

Als auch sie starben, mit Männern, die man wegen leichter Delikte in das KZ Salaspils gesteckt hatte. Es sind nicht die SS-Legionäre gewesen, die mithalfen Juden zu erschießen, Ghettos zu bewachen, Züge in Konzentrationslager zu begleiten, den Aufstand in Warschau niederzuschlagen und die russischen Partisanen zu jagen. Das waren geschlossene lettische Polizeibataillone, die nur aus Freiwilligen bestanden. Zwei ihrer Bataillone mit zusammen 1002 Mann wurden später in die Lettische Legion eingegliedert. All das wissen die Demonstranten in Riga nicht. Und die Legionäre distanzieren sich auch nicht von den Polizeibataillonen. Es ist so wie in Deutschland. Die Wehrmacht war anständig, nur Einige nicht.

Die jungen Russen pfeifen immer lauter. Aber man kann sich nicht näher kommen. Die Freiheitsplatz ist mit spanischen Reitern abgesperrt. Hinter ihm beginnt der Park und nach wochenlangen Regen ist er glitschig wie eine Eisbahn. Vor den Gittern stehen viele Polizisten. In der ersten Reihe die Ungeschützten mit Namen auf der Uniform. In der zweiten Reihe, die in Kampfmontur ohne Namen. In der Altstadt verteilen sich weitere Hundertschaften. Die starke Polizeipräsenz soll einschüchtern. Man will keine Ausschreitungen wie 2005. Es soll wie 2006 bleiben. Da war es ruhig. Aber das war vor dem Denkmalstreit in Tallinn.

Eine andere Demonstration wird wenig beachtet. Es sind Russen und Letten. Auch sie sind alt aber sie haben aktuellere Probleme als den Faschismus. Sie suchen Aufmerksamkeit, dafür ist der 16. März auch ein guter Tag. Ihre Renten sind zu viel zu mickrig um würdig leben zu können und das geltende Mietrecht erlaube, sie aus ihren Wohnungen herauszuwerfen, ohne ädequaten Ersatz. 50 Prozent der lettischen Bevölkerung bekommen Renten, die unter der festgesetzten Armutsgrenze von 134 Lat (191 Euro) pro Monat liegen, sagen sie. Das Sozialministerium hat diese Zahlen eine Woche vor den Demonstrationen veröffentlicht. Und auch, dass 90 Prozent aller Rentner weniger als 150 Lat im Monat Rente erhalten, obwohl die Lebenshaltungskosten westeuropäisches Niveau erreicht haben.

Nach etwa einer Stunde lockert sich die Situation am Freiheitsdenkmal. Ein alter Mann verkauft seine Erinnerungen an die Legion und das Straflager in Workuta. Sie wären anständige Soldaten gewesen, sagt er, das lettische Volk könne stolz auf sie sein Sie hätten nicht für die Deutschen, sondern mit den Deutschen gegen die sowjetische Armee gekämpft. Ein früherer "Dünaburg-Falke" wird von Journalisten interviewt. Hitler und Stalin wären Verbrecher aus dem gleichen Holz, erklärt er, sie hätten damals geglaubt sich von beiden "Teufeln" befreien zu können. Dafür stehe der 16. März. Denn er erinnert an den Tag im Jahr 1944, an dem die beiden lettischen SS-Divisionen am Fluß Welikaja gegen die vorrückende Rote Armee kämpften und gewannen, während die Wehrmacht schon den Befehl gegeben hatte, sich zurückzuziehen. Für die hinzugetretenen russischen Patrioten, die vielleicht doch Lettisch verstehen, macht das die Sache nur noch schlimmer. Aber sie wissen nicht wohin mit ihrem Protest. "Fuck off" alleine reicht nicht. Die Kameras blenden ab. Allmählich verlaufen sich die alten Legionäre in der Menge. Es regnet. Die Luft ist raus. Es ist nichts passiert.

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