Daniel Cohn-Bendit über UN-Reform: "Veraltete Weltordnung"

Mehr Mulitlateralismus würde den Vereinten Nationen gut tun, meint Daniel Cohn-Bendit und fordert für Europa einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat.

Wurde wegen seiner Vorschläge freundlich für verrückt erklärt: Daniel Cohn-Bendit. Bild: dpa

taz: Herr Cohn-Bendit, Sie haben gerade in Washington Ihre radikalen Ideen einer UN-Reform präsentiert. Dass allerdings zu einer Zeit, wo sich die ganze Nation eigentlich nur für die Vorwahlen und die Wirtschaft interessiert. Hatten sie etwa gehofft, dort Zustimmung zu finden?

Daniel Cohn-Bendit: Es ist eine politische Provokation. Ich wollte mal ausprobieren, wie außenpolitisch versierte und offene US-Amerikaner, die in den Washingtoner Denkfabriken arbeiten, auf eine multilaterale Vision reagieren.

Man hat Sie ganz freundlich für verrückt erklärt. Denn Sie sagen, dass die internationale Gemeinschaft gemeinsam zu einer global governance kommen sollte, und zwar zu einer, die sich nicht automatisch den Interessen der USA unterwirft....

... was für Amerikaner unvorstellbar ist! Die Reaktionen geben mir eine Ahnung davon, wie schwierig es sein wird, eine solche Vision durchzusetzen. Die halte ich aber für absolut notwendig.

Was genau schlagen Sie vor?

Zwei Reformen. Erstens, die Integration aller internationalen Verträge zur Umwelt und zur Arbeit in das Regelwerk des Welthandels, also der Welthandelsorganisation WTO. Das heißt, der Welthandel müsste sich künftig den Kriterien der Nachhaltigkeit und einer sozialverträglichen Entwicklung unterwerfen. Zweitens, bin ich der Meinung, dass die Vereinten Nationen und der UN-Sicherheitsrat Ausdruck einer veralteten Weltordnung, nämlich der am Ende des zweiten Weltkrieges, sind. Seien wir doch mal ehrlich, zum Beispiel das Sicherheitsratsmitglied Frankreich, oder Großbritannien. Die sind allein doch gar nicht mehr vetofähig. Die einzigen, die vetofähig sind, sind die USA und die Russen gemeinsam mit den Chinesen.

Kommen Sie jetzt mit dem Wunsch der früheren rot-grünen Regierung an, einen Sitz für Deutschland im Sicherheitsrat zu fordern?

Einen Sitz für Deutschland finde ich falsch. Europa sollte einen Sitz erhalten.

Ist das nicht angesichts der Tatsache, dass Europa noch keinen Außenminister hat, geschweige denn, eine gemeinsame Außenpolitik, etwas absurd?

Umgekehrt. Ein europäischer Sitz würde die Position eines europäischen Außenministers stärken und den Zwang auf die Europäer erhöhen, dass sie sich außenpolitisch einigen. In den EU-Verträgen steht doch schon längst drin, dass jeder EU-Mitgliedsstaat sich vor der Ratifizierung anderer internationaler Verträge mit den übrigen EU-Mitgliedern im Sinne eines europäischen Interesses koordinieren muss. Das ist also schon längst da. Die Frage ist, wie wir das jetzt beschleunigen.

Sie haben offenbar einen Vorschlag?

Wir müssen bei der Erderwärmung ansetzen. Jeder weiß, dass uns eine Kursänderung nicht gelingen wird, wenn es nicht global geschieht. Wir müssen also zunächst die internationalen Konventionen zur Umwelt und zur Arbeit in die Regeln der WTO einbauen. Das ist die erste Auseinandersetzung.

Man hat Sie in Washington deshalb belächelt, weil von dort aus schon die EU mit nur 27 Mitgliedsstaaten in diesen Fragen nicht als wirklich überzeugend und handlungsfähig gesehen wird.

Natürlich muss sich die EU handlungsfähiger machen. Aber wir alle sind darauf angewiesen, dass wir zu einer sozialökologischen Regulierung der Globalisierung kommen. Dazu benötigen wir dringend Instrumente. Ich weiß doch auch, dass das nicht unmittelbar zu realisieren ist und stelle doch nur die Frage, ob es langfristig richtig oder falsch ist, wenn wir zu einer solchen Weltordnung kämen. Die kleinen Schritte, die wir heute bereits machen, sollten sich an einer solch fernen Vision orientieren.

US-Politiker sind immer mehr der Ansicht, dass die Zeit der großen, schwerfälligen, internationalen Organisationen passé ist. Viele sehen in „Koalitionen der Willigen“, also kurzfristigen Zusammenschlüssen von Staaten gleicher Interessenlage das realistischere Modell der Zukunft.

Dem liegt eine Vorstellung zugrunde, dass der Führungsanspruch der Amerikaner Gott gegeben und für ewig ist...

Weshalb man für Ideen wie ihre ja auch wenig Verständnis hat.

Koalitionen der Willigen, dass klingt nicht so böse und bolschewistisch wie Bush. Im Grunde sind sie aber das Gleiche. Sie sind Unilateralismus mit menschlichem Antlitz. Das größte Problem der UN ist doch nicht ihre Größe, sondern die Diskrepanz zwischen demokratischen und undemokratischen Mitgliedsstaaten.

Umso mehr ein Grund Sie zu fragen, wie sich Multipolarität in den internationalen Organisationen so gestalten lässt, dass sie zum Wohl aller wirkt?

Ein einzelner Staat darf nicht alles blockieren können und damit automatisch definieren dürfen, was getan werden muss und was internationales Recht ist, wie es jetzt der Fall ist. Für mich ist eine mulitlaterale Weltordnung eine Ordnung, in der die großen regionalen Zusammenschlüsse und die großen Staaten eine gleichberechtigte Partnerschaft haben. Da muss man mit hochqualifizierten Mehrheiten abstimmen und nicht mit einem Veto. Und für bestimmte Entscheidungen, wie zum Beispiel friedenserzwingende Maßnahmen, braucht man eine Dreiviertelmehrheit.

Die USA sagen aber, kein anderer Staat dieser Erde kann ihnen im Bedrohungsfall militärischen Schutz bieten, weshalb Washington sich das Recht heraus nimmt, mit den für angemessen gehaltenen Mitteln weltweit zu agieren.

Die Amerikaner sind verletzt und befinden sich in einer Krise, die sie alleine nicht meistern können. Sie sind im Irak verletzt und kommen alleine da nicht raus, Afghanistan können sie allein nicht befrieden. Sie müssen feststellen, dass sie bei der Klimapolitik viel zu spät dran sind, ihre Finanzorganisation ist angeschlagen. Nach meiner Reise bin ich umso überzeugter, dass es sehr wichtig wäre, dass Barack Obama die Wahl gewinnt, denn er bedeutet eine Öffnung zur Welt.

Was macht sie da so sicher? Obama wird mit dem gleichen Apparat regieren müssen, wie andere US-Präsidenten auch.

Wenn es die USA schaffen, nur vier Jahrzehnte nach 1968 ihren Rassismus zu überwinden und einen Schwarzen zum Präsidenten zu wählen, wäre das eine ebenso unglaubliche zivilisatorische Leistung wie die Schaffung der Europäischen Union. Mit Obama würde sich ein Fenster der Möglichkeit zur Zusammenarbeit öffnen, weil die Welt Amerika auch anders sehen würde.

Sie sind ja ganz der Obamania anheim gefallen! Im außenpolitischen Team von Obama sind aber auch so alte Kämpen wie Zbigniew Brzezinski. Dämpft das Ihre Begeisterung nicht etwas?

Brzezsinski hat einen interessanten Weg hinter sich. Er ist einer dieser kalten Krieger der gleichzeitig immer gesagt hat, wir müssen zu einer neuen Definition des Multilateralismus kommen. Auch andere im Obama-Team sagen das, das sind die neuen Ansätze, die ich da sehe.

Gemessen an ihrer eigenen Lust am Querdenken: Ist Obama etwa auch crazy?

Obama ist crazy!! Den Mut, den er aufgebracht hat, als er letzte Woche diese schwierige Rede über die Rassenbeziehungen hielt, nachdem er so in Bedrängnis wegen seines Predigers geraten war, das ist crazy. Welcher Politiker wählt im Wahlkampf als Ausweg aus einer schwierigen Situation etwas noch schwierigeres?

INTERVIEW ADRIENNE WOLTERSDORF

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