Umstrittenes Gesetz in Frankreich: Gen-Pflanzen rücken näher
Hauchdünne Mehrheit für ein neues Gesetz über genveränderte Organismen in der Landwirtschaft. Umweltschützer sprechen von einer Kapitulation vor der Gen-Lobby.
PARIS taz OGM - das Kürzel steht für "genmanipulierte Organismen". Jahrelang bestimmte es in Frankreich das Engagement von UmweltschützerInnen und BiobäuerInnen. Die gingen mit der Machete auf Genmais-Felder. Verteidigten sich politisch vor Gericht. Und kamen ins Gefängnis. Gegen die industriell betriebene Landwirtschaft, gegen multinationale Konzerne wie Monsanto und gegen die rechte Bauernlobby versuchen sie, den Einsatz von genveränderten Pflanzen in Europas größter Landwirtschaft zu verhindern. In der französischen Bevölkerung haben sie Erfolg: Laut Umfragen sind 70 Prozent der FranzösInnen gegen OGM.
Die Fachhochschule Nürtingen-Geislingen wird in den nächsten fünf Jahren keine gentechnisch veränderten Pflanzen mehr aussäen. "Wir haben seit zwölf Jahren versuchsweise gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut, aber stets starken Widerstand aus der Bevölkerung gespürt. Jetzt wollen wir Schaden von der Hochschule abwenden", begründete FH-Präsident Werner Ziegler die Entscheidung gegenüber der taz. Die rund 20 Personen, die auf einem Feld nahe Nürtingen seit einer Woche campierten, um die Aussaat von Gen-Mais zu verhindern (siehe taz vom 9. April 2008), feierten das als ihren Erfolg. In Gießen dauert hingegen die Besetzung eines Versuchsfeldes der Uni an. Zwar hatte Hochschulpräsident Stefan Hormuth der taz am Montag versichert, dass dort keine genveränderte Gerste gepflanzt werden sollte, doch die Besetzer trauen dieser Aussage nicht: Sie wollen bleiben, bis die Universität den Versuch beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit abmeldet.
In dieser Woche haben die OGM die Spitze des politischen Frankreich erreicht. Ein Regierungsmitglied, Umweltstaatssekretärin Nathalie Kosciusko-Morizet, wäre beinahe darüber gestolpert. Und die rechte Präsidentenpartei UMP erzielte bei der Abstimmung über ein von ihr selbst eingereichtes OGM-Gesetz nur eine hauchdünne Mehrheit. Sogar eine Handvoll rechter Abgeordneter stimmte gegen den Entwurf aus den eigenen Reihen. Weitere knapp 100 Rechte enthielten sich oder gingen gar nicht erst zur Abstimmung ins Parlament.
Staatssekretärin Kosciusko-Morizet hatte am Dienstag, während der Debatte über das OGM-Gesetz, zwei starken Männern aus der UMP in einem Interview einen "Wettbewerb der Feigheit" vorgeworfen. Die Strafe dafür folgte umgehend und fiel knallhart aus: Regierungschef François Fillon verlangte eine öffentliche Entschuldigung. Außerdem verbot er der Staatssekretärin für die Dauer der Debatte über das Gesetz die Regierungsbank im Parlament und schloss sie von einer Japan-Reise aus. Nachdem Kosciusko-Morizet, bislang Aushängeschild der Regierung in Umweltfragen, sich in einem Kommuniqué bei ihren beiden Kollegen entschuldigt hatte, sagte Borloo am Donnerstag, ihr seien "die Nerven durchgegangen". Aber nun sei alles gut.
Tatsächlich nehmen die Führung der rechten UMP sowie die großbäuerliche Lobby, die schon lange darauf wartet, dass der Einsatz von genveränderten Pflanzen in Frankreich legalisiert wird, der Staatssekretärin nicht nur ihre Kritik übel, sondern ihr Umweltengagement überhaupt. Schon im vergangenen Herbst fühlte sich die Großbauernlobby durch das von Kosciusko-Morizet organisierte "Umwelt-Grenelle" an den Pranger gestellt. Im Januar empfand diese Lobby öffentliche Wangenküsschen zwischen der rechten Staatssekretärin und dem linken Bauerngewerkschafter José Bové, seit Jahren ein Gen-Schnitter, als Affront. Doch am schwersten wiegt, dass Kosciusko-Morizet Anfang dieser Woche mehrere parlamentarische Änderungsanträge von linken und rechten OGM-Kritikern an dem Gesetz durchgehen ließ.
Wegen dieser Änderungsanträge sieht das Gesetz nun vor, dass HerstellerInnen landwirtschaftlicher Qualitätsprodukte in bestimmten Gegenden den Einsatz von OGM verhindern können. UMP-Abgeordnete haben aber angekündigt, dass sie diese Änderung, die ein Abgeordneter der KPF eingebracht hat, in der zweiten Lesung nächste Woche wieder rückgängig machen wollen.
Das neue Gen-Gesetz ist die Umsetzung einer EU-Richtlinie in französisches Recht. Corinne Lepage, prominente Anwältin der Umweltbewegung, erklärte am Donnerstag in Paris, trotz geringfügiger Verbesserungen gegenüber der EU-Richtlinie sei das französische Gesetz eine "Kapitulation vor der OGM-Lobby".
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