Sicherheitsstreit in Großer Koalition: Langsam, aber sicher

Der Union ist es nicht so wichtig, alle Vorschläge zu verwirklichen. Es geht darum, die SPD vor sich her zu treiben - und das eine oder andere durchzusetzen.

Zerfetzen von Initiativen als Konstante der großen Koalition: Steinmeier und Merkel Bild: dpa

Blanke Empörung schlug der Union entgegen, nachdem am Wochenende ihre Vorschläge für eine neue Sicherheitsstrategie bekannt geworden waren. Einen "Weg in die Vergangenheit" nannte Außenminister Frank-Walter Steinmeier die Initiative, SPD-Generalsekretär Hubertus Heil sprach von einer "simulierten Scheinpolitik", und Dietmar Bartsch, der Geschäftsführer der Linken, meinte, das Papier sei ein Versuch, "Panik zu machen".

Die einhellige Ablehnung der Pläne, die am Mittwoch offiziell diskutiert werden sollen, dürfte die Union freilich einkalkuliert haben. Niemand konnte ernsthaft erwarten, dass auf linker Seite die im Papier formulierten Ideen auf Begeisterung stoßen: ein gestärkter Sicherheitsrat im Kanzleramt etwa, Auslandseinsätze ohne vorherige Zustimmung des Bundestags oder der Einsatz der Bundeswehr im Innern.

Die Provokation des politischen Gegners gehört insbesondere bei sicherheitspolitischen Initiativen zum machttaktischen Kalkül. Und es gehört auch zu den Konstanten in der großen Koalition, dass derartige Initiativen vom Gegner erst einmal zerfetzt werden. Alles normal also?

Nicht nur Verfassungsrechtler erheben Einspruch. "Das ständige Vorpreschen der Union droht irgendwann die Trennung zwischen innerer und äußerer Gefahr aufzulösen", sagt Ulrich Preuß von der Hertie School of Governance. Preuß hat noch zu gut die Debatten aus den vergangenen Jahren im Kopf. Und die lehren, dass es sich auch mit der aktuellen ähnlich wie bei Tarifverhandlungen verhalten dürfte: Man steige mit exorbitanten Forderungen ein, einige sich schließlich zwar weit unter den ursprünglichen Vorstellungen, aber immer noch deutlich über dem Status quo.

Ob Vorratsdatenspeicherung oder Onlinedurchsuchung - immer war der Ärger zunächst groß. Zu Gesetzen geworden sind diese umstrittenen Instrumente aber inzwischen alle, wenn auch unter teils erheblichen Einschränkungen. "Drei Schritte vor, zwei zurück, einer gewonnen", nennt der Jurist Preuß diese Verschiebung der sicherheitspolitischen und rechtlichen Koordinaten. "Langsam, aber sicher wird so unsere verfassungsrechtliche Ordnung unterminiert."

Der tatsächliche Nutzen der Instrumente ist dabei meist völlig unklar. Dies gilt auch für die von der Union geplante Sicherheitsstrategie. Unter Verweis auf eine veränderte globale Bedrohungslage und unklare Grenzen zwischen äußerer und innerer Sicherheit fordert sie etwa einen Nationalen Sicherheitsrat. Etliche Länder haben bereits ein solches Gremium, wenn auch in einem anderen politischen Gefüge. Doch im Unionspapier findet sich kein einziger Beleg für die Sinnhaftigkeit. Dass der Rat trotz sozialdemokratischer Empörung dennoch irgendwann kommt, ist so unwahrscheinlich nicht - denn auch der SPD ist der Gedanke daran nicht ganz so fremd. "Die neue Bundesregierung wird dem Bundessicherheitsrat seine ursprünglich vorgesehene Rolle als Organ der Koordinierung der deutschen Sicherheitspolitik zurückgeben und hierfür die notwendigen Voraussetzungen schaffen", hieß es im rot-grünen Koalitionsvertrag von 1998.

Die Sinnfrage stellt sich auch beim Einsatz der Bundeswehr im Innern - selbst bei Experten, die für eine Überholung der deutschen Sicherheitspolitik plädieren. "Wenn man die parteitaktischen Punkte herausnimmt, ist das gar kein schlechter Vorschlag. Die im deutschen politischen System häufig ungebremste Eigendynamik der Ministerien, allen voran des Innenministeriums, könnte so eingeschränkt werden", sagt Guido Steinberg, Terrorexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. "Aber erweiterte Befugnisse der Bundeswehr im Innern sind völlig unnötig." Beim Katastrophenschutz greife sie ohnehin ein, und bei anderen Szenarien, für die die Polizeibehörden angeblich nicht ausreichend vorbereitet seien, "helfen auch keine gesetzlichen Regelungen".

Einer, der sich mit den Debatten über Truppen auf den Straßen und Trojaner im Computer ebenfalls bestens auskennt, ist Andreas Pfitzmann. Der Informatiker von der TU Dresden, der im Jahr 2001 ein Datenschutzgutachten für den damaligen SPD-Innenminister Otto Schily schrieb, diagnostiziert eine wachsende Hysterie auf dem Feld der inneren Sicherheit. "Die Terrorbekämpfung ist vollkommen maßlos", sagt Pfitzmann. "Terror ist ein drittrangiges Problem. Wir haben weit mehr Opfer im Verkehr und tote Patienten durch mangelnde Hygiene in Krankenhäusern." Nur habe die SPD beim Thema Sicherheit zu wenig Rückgrat, um Vorschlägen aus der Union auf Dauer Paroli zu bieten. "Der Gegner wird schlicht weichgeschossen."

Da hilft auch keine eigene Sicherheitskonferenz der SPD. Die war am Montag. Viel Aufsehen hat sie nicht erregt.

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