Debatte Palästina und die Gründung Israels: Es fehlt eine Vision für den Frieden

Heute gedenken die Palästinenser ihrer Flucht und Vertreibung aus Israel vor 60 Jahren. Doch eine Zweistaatenlösung ist im Nahostkonflikt weiter entfernt als je zuvor.

60 Jahre Israel, das ist kein Grund zum Feiern. Auch in Israel selbst ist von Feierstimmung nicht viel zu spüren. Natürlich können viele Israelis in der Tatsache, dass der jüdische Staat bis heute existiert, schon einen Grund zur Freude sehen. Aber das vermag kaum darüber hinwegzutrösten, dass ihr Land heute keineswegs den Träumen seiner ideologischen Gründerväter entspricht. Denn auch wenn die Schriften von Theodor Herzl durchaus von kolonialistischem Gedankengut geprägt waren, so hat der Begründer des Zionismus doch immer auf ein friedliches Zusammenleben der Völker im Nahen Osten gehofft. Ein Israel, das sich nur mit Angriffen aus F16-Militärflugzeugen auf Gaza zu behaupten weiß, zählte gewiss nicht zu seinen Vorstellungen.

In seinem Buch "Der Judenstaat" forderte Herzl: "Und fügt es sich, dass auch Andersgläubige, Andersnationale unter uns wohnen, so werden wir ihnen einen ehrenvollen Schutz und die Rechtsgleichheit gewähren." Doch aus seiner Idee ist ein Staat hervorgegangen, der seit 60 Jahren ein Fünftel seiner Bevölkerung als Bürger zweiter Klasse behandelt - die nichtjüdischen Araber, also die in Israel verbliebenen Palästinenser, die in institutionalisierter Form diskriminiert werden. Israel ist zudem ein Staat, der seit über 40 Jahren gegen das Völkerrecht verstößt, indem er Gebiete besetzt, ohne den Verpflichtungen einer Besatzungsmacht gegenüber der Zivilbevölkerung nachzukommen: Das überlässt er lieber der UNO und ausländischen Hilfsorganisationen. Unter diesen Umständen von der "einzigen Demokratie im Nahen Osten" zu sprechen, klingt nicht nur in palästinensischen Ohren wie Hohn.

Immerhin können die Palästinenser, insbesondere die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO), für sich beanspruchen, die Palästinafrage auf die internationale Agenda gesetzt zu haben. Bis Mitte der Siebzigerjahre hinein hatten es israelische Regierungen ja kategorisch abgelehnt, sich überhaupt mit dem Problem auseinanderzusetzen. Legendär ist die Antwort von Golda Meir, Israels Ministerpräsidentin von 1969 bis 1974, als sie gefragt wurde, was sie zum Palästinenserproblem sagen würde. Sie schaute sich nach links und rechts um, bevor sie antwortete: "Ich sehe hier keine Palästinenser. Sie etwa?"

Heute würde sich jeder israelische Politiker der Lächerlichkeit preisgeben, wenn er das Problem schlicht leugnen würde. Die palästinensischen Organisationen aber, die seit dem Vertrag von Oslo von 1993 in den besetzten Gebieten aktiv sind, tun sich heute vor allem dadurch hervor, dass sie sich gegenseitig lähmen. Fatah und Hamas trachten in beschämender Weise danach, sich gegenseitig zu vernichten, wohl wissend, dass sie damit einzig die palästinensische Sache zu Grabe tragen.

Derzeit lassen sich die Palästinenser - hauptsächlich nach geografischen Gesichtspunkten - in vier Gruppen unterteilen: Neben der Million, die in Israel lebt, sind das vor allem jene 3,5 Millionen, die in den besetzten Gebieten leben, die im Sechs-Tage-Krieg 1967 von Israel erobert wurden. Daneben haben sich mehrere Millionen als Flüchtlinge über die benachbarten arabischen Ländern verstreut, und viele leben in der Diaspora, in Europa und den USA.

Palästinensern wie Israelis fehlt eine Vision, wie sich die Zukunft beider Völker gestalten sollte. Bisher schien die Sache klar: Mehrmals haben sich israelische wie palästinensische Politiker zu einer Lösung bekannt, die zu zwei Staaten führen würde: einem palästinensischen, der rund 22 Prozent der Fläche des historischen Palästinas umfassen würde, und Israel, das sich auf 78 Prozent beschränken müsste. Diesem Plan haben auch die Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga bei ihrem Treffen 2002 in Beirut zugestimmt, ihr Angebot an Israel gilt bis heute.

Die Vielzahl der Probleme, die mit diesem Plan verbunden sind, wird allerdings gerne verdrängt. Denn für die meisten Palästinenser hängt die Zustimmung zu einer Zweistaatenlösung von drei Bedingungen ab. Erstens müssten die israelischen Siedlungen im Westjordanland, die völkerrechtswidrig erbaut wurden und somit illegal sind, geräumt werden, zweitens sollte Ostjerusalem zur Hauptstadt des palästinensischen Staats werden, und drittens sollte es zu echten Verhandlungen über das Rückkehrrecht von Palästinensern kommen, denen laut UN-Resolution 194 vom Dezember 1948 eine "frühestmögliche" Rückkehr ausdrücklich zusteht. Zu keinem Zeitpunkt haben Israels Regierungen auch nur ein Minimum an Bereitschaft gezeigt, ernsthaft über diese drei Essentials zu verhandeln. Faktisch steht Israel damit einer Zweistaatenlösung im Wege, und die ständigen Friedensverhandlungen und Konferenzen samt ihren hohlen Absichtserklärungen sind zu einem leeren Ritual verkommen, das keinen Schritt näher zu einer Lösung geführt hat.

Verschärft wird das Problem dadurch, dass es im gesamten Nahen Osten heute an Führungspersönlichkeiten fehlt, die in der Lage wären, eine grundsätzliche Lösung unter ihr Volk zu bringen. Israels Regierungschef Olmert ist von Affären angeschlagen, und nicht mit Ariel Scharon oder Menachem Begin zu vergleichen, und auch Mahmud Abbas oder die aktuelle Führung der Hamas besitzen nicht den Einfluss an ihrer Basis, den einst ein Jassir Arafat oder ein Scheich Jassin hatten. Ägyptens Präsident Mubarak sorgt sich vor allem um den eigenen Machterhalt, und auch Syriens Staatschef Assad reicht nicht an das Charisma seines Vaters heran.

Angesichts der zunehmenden Teilung und Zersiedlung des Westjordanlands stellen sich immer mehr Israelis und Palästinenser die Frage, ob die viel beschworene Zweistaatenlösung noch zeitgemäß ist. Bedeutet Frieden nicht, langfristig bestehende Grenzen zu überwinden, wie es der heutigen EU gelungen ist? Warum sollte dies im Nahen Osten nicht möglich sein? Schließlich lässt es sich nicht leugnen, dass sämtliche Grenzziehungen in dieser Region, ob es sich nun um Palästina, Israel, den Libanon oder den Irak handelt, künstliche waren, die das kulturelle, gesellschaftliche, religiöse und ethnische Mosaik der Bevölkerung in keiner Weise widergespiegelt haben.

Ein Frieden mit offenen Grenzen, Entmilitarisierung und Demokratisierung der Region wären ein Ziel, für das es sich einzusetzen lohnte. Klar, dass auch die arabischen Regierungen einer solchen Lösung im Wege stehen. Schließlich haben sie die Lage der Palästinenser dazu missbraucht, ihren Militärregimes Legitimität zu verleihen und so skrupellose wie korrupte Geheimdienstapparate auszubauen, die glaubten, sich unter dem Vorwand der "Verteidigung gegen den zionistischen Feind" alles erlauben zu können. Gerade die EU könnte und sollte sich hier mit ihrer Erfahrung, aber auch aus Verpflichtung gegenüber dieser Region stärker einbringen. Schließlich waren es europäische Großmächte wie Frankreich und Großbritannien, die als ehemalige Kolonialmächte das heutige Gesicht der Region mit geprägt haben. Von den USA ist ein solcher Einsatz kaum zu erwarten.

Fotohinweis:

Tarafa Baghajati, 1961 in Damaskus geboren, wohnt seit 1986 in Österreich. Er ist Mitgründer der Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen und Mitglied von Enar, dem European Network against Racism.

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