Wie Israel Geburtstag feiert: Jeder für sich, oder nicht
Beim jüdischen Geburtstagsgrill für 60 Jahre Israel wird die Umsiedlung der Araber propagiert. Die Araber feiern nicht.
JERUSALEM taz Grillen und Unabhängigkeitstag sind in Israel praktisch Synonyme. Hunderttausende zog es gestern, an Israels 60. Geburtstag, in die öffentlichen Parks, Grünanlagen oder in Strandnähe, um dort ihre Barbecue-Utensilien auszupacken und die Kohlen anzuzünden. "Es ist schön, wenn das ganze Volk so zusammen feiert", meint Pawel Eisendorf und nimmt einen Schaschlikspieß vom Feuer. Pawel ist vor fünfzehn Jahren aus Russland nach Israel gekommen. "Der Unabhängigkeitstag ist ein Ereignis, das die Menschen vereint", meint er.
Ganz so gemeinsam findet das Grill-Happening dann doch nicht statt. Zwar machen es sich neben Pawel und seinen Freunden, die allesamt russische Einwanderer sind, nun mehrere aus Äthiopien stammende Israelis gemütlich. Und eine Familie jemenitischer Herkunft, die außerdem religiös ist, sitzt nur ein paar Meter entfernt auf der anderen Seite. Dennoch kommt es zu keinerlei Interaktion. Jede Familie bleibt strikt für sich.
Milka Cohen freut sich über den freien Tag und das schöne Wetter. "Wir genießen es, heute nicht arbeiten zu müssen", sagt die fromme Frau. Natürlich sei der Unabhängigkeitstag immer ein Grund zu feiern. "Nur schade, dass wir noch immer keinen Frieden haben." Wie soll es den geben? "Die Araber müssen gehen", so die einfache Lösung der Endzwanzigerin: "Schließlich gibt es genügend arabische Staaten, die sie aufnehmen könnten." Pawel und seine Freunde sehen das ganz ähnlich. Er selbst stimmte bei den letzten Wahlen für Avigdor Lieberman von der rechtsnationalen Partei Israel Beteinu. Seine Lösung für den Nahost-Konflikt heißt ebenfalls "Transfer", sprich: die Umsiedlung der Araber.
In verschiedenen Städten unterhielt die Luftwaffe die Ausflügler und Bummler mit aeronautischer Akrobatik. In Tel Aviv, wo direkt am Mittelmeerstrand die Hauptvorstellung stattfand, verpasste ein Fallschirmspringer seinen Landepunkt und wurde vom Wind in die Zuschauermenge gerissen. Dabei trugen acht Menschen zum Teil schwere Verletzungen davon. Schon am Vorabend gab es zum Teil riesige Lasershows und Feuerwerke. In Tel Aviv traten vor dem Hintergrund eines ans Rathaus projizierten blauen Davidsterns bekannte Popsänger auf, darunter auch Ishar Cohen und Dana International. Cohen hatte 1978 den Euro-Schlagerwettbewerb Grand Prix gewonnen, International 1998.
Für den 30-jährigen Araber Imran Ramadan aus Ostjerusalem, der an einer Tankstelle im Grünen arbeitet, war gestern kein besonderer Tag. "Für mich gibt es keinen Grund zu feiern", sagt er. Einige Palästinenser in Ostjerusalem hatten zu Protestdemonstrationen aufgerufen. "In meiner Familie wird nicht über Politik geredet", sagt Imran rasch und blickt etwas angestrengt zur Seite, wo seine beiden jüdischen Kollegen aufmerksam mithören.
Die israelische Polizei war schon seit den frühen Morgenstunden mit einem Aufgebot von tausenden Beamten im Einsatz und postierte landesweit Straßenkontrollpunkte. Ein knappes Fünftel der israelischen Bevölkerung ist arabisch. Sie richten sich nach der christlichen Zeitrechnung und begehen das 60. Jubiläum erst am 15. Mai. Allerdings nicht mit Freudenfeiern über die israelische Unabhängigkeit, sondern dem Gedenken an den "Nakba"-Tag, dem "Tag der Katastrophe" und der Vertreibung von hunderttausenden Palästinensern aus ihrer Heimat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Wahlkampf-Kampagne der FDP
Liberale sind nicht zu bremsen